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NORDRHEIN-WESTFALEN/2182: Anhörung im Schulausschuss zum Thema "Handschrift" (Li)


Landtag intern 3/2015
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Flüssig oder überflüssig?
Anhörung im Schulausschuss zum Thema "Handschrift"

Von Michael Zabka


22. April 2015 - Grundschulkinder schreiben ihre ersten Texte in Druckbuchstaben. Danach lernen sie die Schreibschrift und verbinden einzelne Buchstaben zu einer Einheit, also zu ganzen Wörtern. Das Ziel: eine flüssige, gut lesbare Handschrift. Offenbar wird dies aber nicht immer erreicht.


Kinder sollten am Ende der Grundschulzeit eine gut lesbare, verbundene Handschrift beherrschen - daran erinnern CDU und FDP in einem gemeinsamen Antrag. Tatsächlich aber klagten Eltern und auch Lehrer weiterführender Schulen, dass dies nicht immer der Fall sei. Im Schulausschuss äußerten sich Expertinnen und Experten zum Thema.

"Der Lehrplan Deutsch für die Grundschule sieht vor, dass Kinder am Ende der Schuleingangsphase flüssig und formklar in Druckschrift, am Ende der 4. Klasse flüssig in einer gut lesbaren verbundenen Handschrift schreiben können sollen", heißt es in dem Antrag. Der Landesregierung liege jedoch offenbar "kein belastbarer Kenntnisstand" vor, ob diese Ziele tatsächlich erreicht werden. CDU und FDP fordern daher u.a. eine Datenerhebung an Grundschulen samt anschließendem Bericht an den Landtag.

Flüssiges Schreiben mit der Hand sei auch in Zeiten von Laptop und PC nicht überflüssig, so Benedicte Deerberg, Lehrerin an der Grundschule Dankersen-Leteln, in ihrer schriftlichen Stellungnahme. Die Zunahme motorischer und feinmotorischer Schwierigkeiten sollte nicht dazu führen, "diese Defizite mit falsch verstandener Schonung der Kinder noch weiter zu verstärken". Im Gegensatz zur Druckschrift lasse sich die Schreibschrift mit ihren "weichen Schwungbewegungen" fließender und somit für die Hand entspannter und schneller schreiben. Viele Kinder kämen mit der Schreibschrift besser zurecht, sie sei zur Ausbildung der Feinmotorik wichtig und sinnvoll. Zur Vermittlung der Rechtschreibung sei sie aufgrund unterschied licher Groß- und Kleinbuchstaben außerdem eindeutiger als die Druckschrift. Aus der verbundenen Schrift könnten Kinder später ihre individuelle Handschrift entwickeln.

Dass Kinder lernen, mit der Hand zu schreiben, sei nach wie vor wichtig, sagte Prof. Dr. Ingrid Barkow (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg). Die erzwungene Umstellung auf die Schreibschrift werde jedoch zunehmend kritisch gesehen. "Kinder fallen in der Entwicklung des Textschreibens häufig zurück, da die korrekte Ausführung der Buchstabenformen und -verbindungen kognitive Aufmerksamkeit bindet, die zulasten der inhaltlichen Textgestaltung geht." Studien hätten gezeigt, dass sich Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe 1 weitgehend von der erlernten Ausgangsschrift trennen und zu einer "geläufigen Form der Druckschrift zurückkehren". Die Abkehr von einer normierten Ausgangsschrift sei zu begrüßen, "da sie den Kindern die Chance auf eine eigenständige und bewusste Schriftentwicklung bietet". Voraussetzung sei jedoch, "dass im Unterricht dem Schreiben die angemessene Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet wird".

Ähnlich argumentierten Linda Kindler und Maxi Brautmeier-Ulrich (beide Grundschulverband, Landesgruppe NRW). Kindlers Überzeugung zufolge benötigen Kinder lediglich die erste Ausgangsschrift, also Druckbuchstaben, um daraus eine eigene Handschrift zu entwickeln. Auch bei dieser Methode verliere die Handschrift nicht an Bedeutung. An ihrer Schule sei vereinbart worden, vom Schuljahr 2010/2011 an kein gesondertes Arbeitsmaterial mehr zum Erlernen einer weiteren Ausgangsschrift anzuschaffen, so Brautmeier-Ulrich in ihrer Stellungnahme. Im Gegenzug sollte der Entwicklung einer persönlichen Handschrift mehr Raum gegeben werden. Alle Kinder ihrer Schule verfügten am Ende der Grundschulzeit über eine gut lesbare persönliche Handschrift.


Neue Methoden

Dr. Christian Marquardt, wissenschaftlicher Beirat im Schreibmotorik-Institut (Heroldsberg bei Nürnberg), empfahl, neue wissenschaftlich fundierte Methoden für den Schreibunterricht vor allem ab der 3. Klasse zu entwickeln. Eine Umfrage des Instituts und des Deutschen Lehrerverbandes unter Pädagogen habe ergeben, dass Schülerinnen und Schüler immer häufiger Probleme mit dem Handschreiben hätten. Hintergrund sei die veränderte Lebenswelt der Kinder, ihre motorische Leistungsfähigkeit nehme ab. In diesem Zusammenhang sei Prävention wichtig. Ein weiteres Ergebnis der Umfrage sei das "zu langsame und zu unleserliche Schreiben in den weiterführenden Schulen". "Unsere wissenschaftlichen Untersuchungen weisen nun tatsächlich darauf hin, dass Kinder beim Beschleunigen der ursprünglich gelernten Ausgangsschriften große Probleme haben und darunter vor allem die Lesbarkeit leidet", so Marquardt in seiner Stellungnahme. Eine unverbundene Handschrift sei flüssiger als eine verbundene: "Wer eine verbundene Ausgangsschrift lernt, schreibt nicht, sondern malt."

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Quelle:
Landtag intern 3 - 46. Jahrgang, 30.4.2015, S. 9
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2015

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