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NORDRHEIN-WESTFALEN/2192: Interview mit dem Datenschutzbeauftragten (Li)


Landtag intern 5/2015
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

"Ich halte das für eine sehr gefährliche Geschichte"
Interview mit Hüter des Datenschutzes

Von Michael Zabka und Hans Zinnkann


Gehen wir zu sorglos mit unseren Daten um? Landtag Intern sprach mit Ulrich Lepper, dem Datenschutzbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen. Er hatte vor kurzem den Bericht "Datenschutz und Informationsfreiheit" für die Jahre 2013 und 2014 präsentiert.


Landtag Intern: Herr Lepper, nutzen Sie privat soziale Netzwerke? Findet man Sie zum Beispiel bei Facebook?

Ulrich Lepper: Da kann ich mit einem klaren Nein antworten.


Landtag Intern: Warum nicht?

Ulrich Lepper: Wir alle wissen, dass einerseits die Kontakt- und Informationsmöglichkeiten der sozialen Netzwerke ganz neue Dimensionen auftun. Davon hat man etwas. Wir wissen aber genauso gut, dass diese Plattformen nicht aus altruistischen Gründen zur Verfügung gestellt werden. Es besteht ein großes Interesse der Anbieter solcher Dienstleistungen daran, über uns Informationen zusammenzustellen und auswerten zu können - zum Zwecke der personalisierten Werbung und damit Geld zu machen. Das ist das Geschäftsmodell, das dahinter steckt. Ob jemand soziale Netzwerke nutzt oder nicht, muss aber jeder für sich selbst entscheiden. Ich habe mich dagegen entschieden, weil ich nicht möchte, dass in einer unkontrollierten Art und Weise über meine Daten verfügt wird.


Landtag Intern: Sie sind also nicht sehr freizügig mit der Weitergabe Ihrer Daten?

Ulrich Lepper: Ich bin da sehr zurückhaltend. Ich nutze keine Apps, kein Smart-TV, kein Online-Banking. Wir müssen lernen, mit den Möglichkeiten, die die neue Technik bietet, umzugehen. Wenn uns bewusst ist, dass der Preis, den wir zahlen, die Information über unsere Persönlichkeit ist, können wir vielleicht anders damit umgehen. Der Datenschutz verfolgt nicht die Aufgabe, die technischen Möglichkeiten zu verteufeln. Er ist ausschließlich darauf angelegt, sicherzustellen, dass die Betroffenen frei entscheiden, worauf sie sich einlassen. Dazu braucht es Transparenz darüber, wer welche Daten zu welchem Zweck wo wie verarbeitet. Daran fehlt es bei vielen Angeboten.


Landtag Intern: Kaufen Sie online ein?

Ulrich Lepper: Nein.


Landtag Intern: Googlen Sie?

Ulrich Lepper: Gelegentlich.


Landtag Intern: Kommt man heute überhaupt noch ohne Google aus?

Ulrich Lepper: Es gibt Alternativen und die sollte man nutzen.


Landtag Intern: Manche Firmen versprechen Vergünstigungen gegen Datenweitergabe. Gehen wir insgesamt zu lax mit unseren Daten um?

Ulrich Lepper: Da sprechen Sie ein Thema von fundamentaler Bedeutung an. In meinem letzten Tätigkeitsbericht, den ich im Mai dem Landtag übergeben hatte, habe ich mich auch zu einem Geschäftsmodell in der Versicherungswirtschaft geäußert. Es betrifft Kfz-Versicherer, aber auch Krankenversicherer. Kfz-Versicherer bieten einen Individualtarif an, der sich danach bemisst, wie hoch das Risiko ist. Im Auto wird eine Telematikbox eingebaut, die Daten über das Fahrverhalten erfasst. Wenn man sich innerhalb der Toleranzbreite bewegt, wird der günstige Individualtarif angeboten, und wenn nicht, dann bezahlt man eben mehr. Ich halte das für eine sehr gefährliche Geschichte. Die Kfz-Versicherer haben damit angefangen, mittlerweile denken die Krankenversicherer ebenfalls darüber nach.


Landtag Intern: Was planen die Krankenversicherer?

Ulrich Lepper: Die Überlegungen gehen beispielsweise in die Richtung, über eine tragbare Vorrichtung am Körper u.a. den Puls, den Herzschlag und das Bewegungsverhalten schlechthin zu erfassen, so dass sich eine Krankenversicherung über die tagtäglich, stündlich und sekündlich anfallenden Daten ein Bild über den Gesundheitszustand des Betroffenen machen kann. Das ist datenschutzrechtlich möglich, sofern eine Einwilligung vorliegt. Eine Einwilligung setzt allerdings Freiwilligkeit voraus. Ich muss also als Kunde die Gelegenheit haben, mich für oder gegen einen solchen Tarif zu entscheiden. Aber wie sieht es denn mit der Freiwilligkeit aus, wenn die Pflichtversicherer demnächst nur noch einen Individualtarif anbieten? Hier sehe ich ein ganz großes Problem, bei dem auch der Gesetzgeber gefragt ist. Wir brauchen eine politische Diskussion, wie wir eigentlich mit diesen Geschäftsmodellen umgehen sollen.


Landtag Intern: Ein anderes Thema. Sie kritisieren eine Zunahme der Video-Überwachung. Warum?

Ulrich Lepper: Wenn unser Verhalten im öffentlichen Raum - auf der Straße, im Restaurant, in der Bibliothek, im Schwimmbad, im Stadion, in der Sauna, im Fitnessstudio - aufgenommen wird, dann hat das mit der Freiheit, die unsere Verfassung vorsieht, nichts mehr zu tun. Wenn wir im öffentlichen Raum ständig damit rechnen müssen, in unserem Verhalten erfasst zu werden, dann ist diese Freiheit nicht mehr gegeben. Ich kann vor einer Video-Überwachung nur warnen. Der Nutzen wird überschätzt, ein Sicherheitsgefühl ist oft trügerisch - aber die Tendenzen sind ausufernd.


Landtag Intern: Wie sieht es an Brennpunkten mit hohem Kriminalitätsaufkommen aus? Sind Sie da auch gegen eine Video-Überwachung?

Ulrich Lepper: Das nordrhein-westfälische Polizeigesetz sieht die Möglichkeit vor, dass die Polizei - wohlgemerkt: nur die Polizei - an gefährlichen Orten, wenn es andere Möglichkeiten nicht mehr gibt, über Videobeobachtung eingreift und den Sachverhalt erfasst. Diese Regelung wird immer wieder kritisch überprüft. Der Landtag hat aus gutem Grund regelmäßige Evaluierungen vorgesehen, denn es ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen, ob eine Video-Überwachung überhaupt den gewünschten Erfolg bringt. Wir gehen hier in Nordrhein-Westfalen sehr vorsichtig damit um. Eine VideoÜberwachung kann nur dort einen Sinn haben, wo auch die Einsatzkräfte sofort vor Ort sind, wenn sie eine gefährliche Entwicklung sehen.


Landtag Intern: Die EU will den Datenschutz vereinheitlichen. Das ist doch gut, oder?

Ulrich Lepper: Ich begrüße Bemühungen auf europäischer Ebene, den Datenschutz fortzuentwickeln und für ein einheitlich hohes Niveau in Europa zu sorgen - und ich lege die Betonung dabei auf "hohes Niveau". Ich habe allerdings Anlass zu der Sorge, dass das mit dem Schutzniveau nicht so ganz hinhaut. Wir müssen uns in Europa darüber im Klaren sein, welches Niveau wir eigentlich wollen. Die Formulierungen in der Datenschutz-Grundverordnung sind aber vage. Die Bestimmtheit lässt an vielen Stellen zu wünschen übrig. Zu begrüßen ist das Marktort-Prinzip. Das heißt, dass EU-Recht immer dann gelten soll, wenn EU-Bürgerinnen und -Bürger betroffen sind, egal wo der Datenverarbeiter seinen Sitz hat. Das ist wichtig im Hinblick auf Angebote von außerhalb der EU, z.B. aus den USA.


Landtag Intern: Wie viele Hinweise und Fragen zum Datenschutz bekommen Sie im Jahr? Ist eine Steigerung erkennbar?

Ulrich Lepper: Wir haben Wellenbewegungen, die Zahl der Anfragen richtet sich nach aktuellen Ereignissen. Aber die Tendenz ist zunehmend. Es sind pro Jahr meist um die 4.000 Eingaben, die von uns schriftlich bearbeitet werden. Dazu kommen noch ungezählte telefonische Anfragen und E-Mails.


Landtag Intern: Mit welchen Anliegen wenden sich die Menschen an Sie?

Ulrich Lepper: Da gibt es ganz unterschiedliche Anliegen. Alltäglich geht es z.B. um unzulässige Video-Überwachungen am Arbeitsplatz oder unter Nachbarn oder um unerwünschte Werbung. Vielfach werden sehr grundsätzliche Fragen angesprochen, z.B. die Datenverarbeitung in der Cloud, zunehmende Big-Data-Anwendungen, Datentransfers in Drittstaaten, Prognosesysteme wie Scoring bei Banken und Versicherungen, die Datenverarbeitung bei Polizei und Verfassungsschutz sowie die Datensicherheit in Behörden und Unternehmen.


Kasten
 
DER HÜTER DES DATENSCHUTZES

Videoüberwachung, die Nutzung von Smartphones, soziale Netzwerke oder Online-Banking: Das Thema Datensicherheit nimmt nicht zuletzt wegen der rasanten technischen Entwicklung an Bedeutung zu. Über die Sicherheit der Daten wacht in Nordrhein-Westfalen ein eigener Landesbeauftragter. Seit 2010 ist dies der Verwaltungsjurist Ulrich Lepper.


Der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW, so die offizielle Bezeichnung, wird vom Landtag gewählt. Er arbeitet unabhängig und weisungsfrei.

Die Aufgaben des Landesbeauftragten sind vielfältig. Er wacht zum einen über die Einhaltung der Datenschutzvorschriften. Vermuten Bürgerinnen und Bürger beispielsweise einen Verstoß gegen den Datenschutz, können sie sich mit Fragen oder Beschwerden direkt an den Landesbeauftragten wenden.

Darüber hinaus berät er Unternehmen, Verwaltungen und Politik zum Thema Datenschutz und kontrolliert Firmen mit Sitz an Rhein und Ruhr sowie Behörden des Landes und der Kommunen. Bei Verstößen gegen das Datenschutzgesetz kann der Beauftragte Geldbußen von bis zu 300.000 Euro verhängen.

Tätigkeitsbericht

Zudem kümmert er sich darum, dass Bürgerinnen und Bürger ihr Recht auf freien Zugang zu behördlichen Informationen wahrnehmen können, das das Informationsfreiheitsgesetz ihnen gewährt, und beantwortet ihre Fragen dazu.

Der Landesdatenschutzbeauftragte äußert sich auch zu allgemeinen Fragen des Datenschutzes, beispielsweise bei aktuellen bundespolitischen Debatten. Alle zwei Jahre berichtet der Datenschutzbeauftragte dem Landtag und der Öffentlichkeit über seine Arbeit und legt einen umfangreichen Tätigkeitsbericht vor. Im aktuellen Bericht für die Jahre 2013 und 2014, den Lepper am 13. Mai 2015 an Landtagspräsidentin Carina Gödecke übergeben hatte, kritisiert er u.a. den zunehmenden Einsatz von Überwachungskameras durch Privatpersonen und Unternehmen. Eine Überwachung mithilfe von Videokameras greife grundsätzlich in das Recht eines jeden ein, selbst über die eigenen Daten zu bestimmen.

Der gebürtige Düsseldorfer Ulrich Lepper war vor seiner Tätigkeit als Landesdatenschutzbeauftragter bei der Bezirksregierung Arnsberg und lange Zeit im Innenministerium Nordrhein-Westfalen tätig, wo er unter anderem sieben Jahre als Referatsleiter für den Datenschutz verantwortlich war. Zuletzt war er Regierungsvizepräsident in Düsseldorf.

Lepper tritt Ende September in den Ruhestand. Ihm soll als neue Datenschutzbeauftragte die bisherige Landeswahlleiterin Helga Block folgen. Die gebürtige Münsteranerin ist seit 2001 als Abteilungsleiterin im Innenministerium auch für die Themen Verfassungsrecht und Datenschutz verantwortlich. Die Juristin arbeitete zunächst in den Bezirksregierungen Detmold und Düsseldorf. Seit 1989 ist sie mit Unterbrechung im Innenministerium.

Mehr Informationen zum Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationssicherheit finden Sie unter:
www.ldi.nrw.de

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Quelle:
Landtag intern 5 - 46. Jahrgang, 29.6.2015, S. 6-7
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-2107, -2324, -2309
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email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2015

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