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NORDRHEIN-WESTFALEN/2235: Rechtsextremismus - Altes Gedankengut, neuer Look (Li)


Landtag intern 3/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Rechtsextremismus: Altes Gedankengut, neuer Look

Von Sonja Wand


Rebellisch, unangepasst, cool: So präsentiert sich die rechtsextremistische Szene heute. Ihre wichtigste Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene. Das war Thema der Veranstaltung "Im Feind vereint" im Besucherzentrum des Landtags am 14. April 2016. Der Landtag und die Landeszentrale für politische Bildung hatten rund 100 Schülerinnen und Schüler eingeladen, um mit ihnen die gefährlichen Tendenzen zu beleuchten.


"Früher war die rechte Szene ein Alt-Herren-Verein", erklärte Dr. Thomas Pfeiffer, Referent des Innenministeriums. Aber davon sei heute nicht mehr viel zu sehen. Ebenso wenig wie von offenen nationalsozialistischen Parolen oder Symbolen. Stattdessen setze die "neue Rechte" auf Vorurteile, die auch über die Szene hinaus weit verbreitet seien. Rechtsextremistische Akteure machten sich vor allem die Ablehnung gegenüber Muslimen, Roma und Flüchtlingen zunutze, zeichneten Zerrbilder, schürten Angst.

Die Rechtsextremisten suchten passgenaue Zugänge zu jungen Menschen, erläuterte der Referent: Freizeitangebote, Musik, soziale Medien würden genutzt. Dabei spiele die Rechtsextreme häufig nur eine untergeordnete Rolle. Die Schülerinnen und Schüler aus Duisburg, Mettmann, Grevenbroich und Düsseldorf analysierten T-Shirts verbotener rechtsextremistischer Gruppierungen und die Bildsprache im Internet. Ihnen fiel auf, dass es eines geschulten Blicks bedarf, um Symbole zu erkennen und zunächst unscheinbare Gesten zu entlarven.

Im Besucherzentrum wurde es dunkel, ein Film der Landeszentrale für politische Bildung begann. Zu sehen waren Interviews von Vertretern rechtsextremistischer Parteien in vielen europäischen Ländern. "Eigentlich dürften sich Nationalisten unterschiedlicher Länder nicht besonders gut verstehen", hieß es im Film. Aber: Sie hätten erkannt, dass die internationale Zusammenarbeit das autoritäre Selbstbewusstsein der einzelnen Parteien stärke. Und so erklärten mehrere Anführer rechtsextremistischer Parteien im O-Ton, Ziel sei es, ein "völkisches Europa" wiederherzustellen. Die jeweils (rassisch) Einheimischen gehörten in ihre Herkunftsländer. Alles solle völkisch geordnet, nichts durchmischt sein. Es fiel der Satz "Toleranz ist unser gemeinsamer Feind." In dem Film erklärte der Rechtsextremismusforscher Prof. Dr. Hajo Funke, Rechtspopulisten schliffen an den Ecken der Demokratie. Und genau das sei die Hoffnung der Rechtsradikalen in Europa, wie dann deutlich wurde: Rechtspopulisten sollten den Weg ebnen für rechtsextremistische Gruppierungen.


"Was wollen Sie tun?"

In der anschließenden Diskussion mit Mitgliedern des Hauptausschusses fragte der Schüler Robert Walter aus Düsseldorf die Abgeordneten, was sie gegen rechte Tendenzen unternehmen wollten. Angela Freimuth (FDP) antwortete, man müsse die Probleme lösen, aus denen beispielsweise die Partei AfD Kapital schlage. Außerdem gelte es, sie in Diskussionen zu entlarven, ergänzte Heiko Hendriks (CDU). Unter anderem sei das Gewerbetreiben der Zugewanderten ein ökonomischer Gewinn für Deutschland, sagte Elisabeth Müller-Witt (SPD). "Und damit meine ich nicht nur die Dönerbude um die Ecke." Sie nannte außerdem Aussteigerprogramme als wichtigen Baustein, um Menschen, die der rechten Szene den Rücken kehren wollten, sicher wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

"Seien Sie sich Ihrer Macht bewusst", sprach Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) die Schülerinnen und Schüler an. "Sie wählen, sie stellen die Parlamente zusammen." Dem Wahlaufruf schloss sich Maria Springenberg-Eich, die Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung, an. Mithilfe des Wahl-O-Mats könne jeder und jede testen, welcher Partei er oder sie am nächsten stehe. "Gegen Stiernacken-Nazis habe ich kein Mittel - die sind aber auch nicht das Problem", sagte Michele Marsching (PIRATEN). Sehr wohl aber komme es darauf an, in konkreten Alltagssituationen Nazis auch Nazis zu nennen, sich klar abzugrenzen, Rechtspopulisten nicht zu verharmlosen und ihnen keinen Raum zu geben.

Die Schülerinnen und Schüler fragten nach den Gründen für Fremdenhass und thematisierten das Problem der Angst vor Fremden. "Wo kommt sie her, und was tut die Politik dagegen?", fragte ein Schüler. Angst speise sich aus Unwissenheit, meinte Müller-Witt und betonte die Wichtigkeit von Transparenz, Aufklärung und persönlichen Begegnungen.

Bildung sei der Schlüssel, um rechtsextremistischen Neigungen vorzubeugen - darin waren sich alle Abgeordneten einig. Erstens: Wer zu Werten der Toleranz erzogen werde, werde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht rechtsextrem, argumentierte Hendriks. Zweitens, führte Freimuth an, sei auch Perspektivlosigkeit ein Grund für das Abrutschen ins rechte Milieu. Deshalb komme es darauf an, Chancen zu schaffen und Arbeit zu ermöglichen. Die Schere zwischen Arm und Reich zu bekämpfen, sei nach wie vor eine wichtige Aufgabe von Politik, sagte Müller-Witt.


"Keinen Millimeter"

Landtagspräsidentin Carina Gödecke gab den Schülerinnen und Schülern eine Bitte mit auf den Weg: "Mischt Euch ein, wenn Menschen diskriminiert werden! Lasst nicht zu, dass Menschen Angst haben, weil sie anders sind. In unserem Land muss jede und jeder leben können - ohne Angst, verschieden zu sein. Und weicht vor den Rechten niemals zurück! Lasst Ihnen keinen Raum, keinen Platz, nicht einen Millimeter." Dass die Jugendlichen sich zu Wort meldeten und klar Stellung bezögen, sei deshalb so wichtig, weil sie für Gleichaltrige wesentlich authentischer seien als Erwachsene, erklärte Gödecke. Deshalb komme es ebenso auf sie an wie auf Aufklärung, Prävention, Unterrichtseinheiten oder Veranstaltungen. "Sie tragen auch Verantwortung", sagte die Landtagspräsidentin, "gemeinsam mit uns."



"Das Interesse ist sehr groß"

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Grumke (46) hat die Veranstaltung "Im Feind vereint" moderiert. Er berichtet über Eindrücke und die Situation in NRW.


Frage: Herr Prof. Dr. Grumke, woran erkennt man Rechtsextremisten?

Prof. Grumke: Der Stil im Rechtsextremismus hat sich in hohem Maße geändert. Das klassische Skinhead-Outfit mit Glatze und Springerstiefeln sehen wir in Nordrhein-Westfalen so gut wie gar nicht mehr. Das bedeutet, dass wir Rechtsextremisten und Neonazis von der Kleidung her nicht mehr erkennen können. Es gilt, auf die Symbolik und auf die Aussagen zu achten.


Frage: Zum Beispiel auf die Zahl 88?

Prof. Grumke: Genau. Damit geht es los. Die Szene ist seit langer Zeit sehr aktiv und auch sehr kreativ, wenn es darum geht, geltendes Recht zu umgehen. Es darf sich natürlich niemand den "Hitlergruß" auf sein T-Shirt drucken. Aber die "88", die das Gleiche bedeutet, ist kein Problem. Wir haben es jedoch auch mit eindeutiger Symbolik zu tun, die ebenfalls nicht strafbar ist.


Frage: Wie hat sich die rechtsextreme Szene in NRW entwickelt?

Prof. Grumke: Es gibt in Nordrhein-Westfalen Schwerpunkte, beispielsweise die Szene in Dortmund, die stellvertretend für diesen Stilwandel steht. Sie besteht vor allem aus autonomen Nationalisten, wie sie sich selbst nennen in Anlehnung an die Linksautonomen. Wir haben eine recht lebendige, nicht parteigebundene Szene.


Frage: Wie groß ist diese Szene?

Prof. Grumke: Das lässt sich nicht auf die Zehnerstelle sagen. Sozialwissenschaftlich gesehen haben wir es mit einer sozialen Bewegung zu tun. Eine solche Bewegung besteht aus mehreren Ringen. Es gibt ein Zentrum, die Leute kennen wir. Dann haben wir einen zweiten Kern, das ist der Unterstützerkreis. Den dritten Ring bilden die Mitläufer. Es ist völlig unklar, wie viele das sind. Die gehen mal mit, mal nicht, einige sind sogar nur im Internet aktiv. Um sie herum ist ein weiterer Kreis von stillen Sympathisanten, die das Gedankengut teilen, sich aber nicht zu Wort melden. Einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge handelt es sich dabei um ca. 15 Prozent der Bevölkerung.


Frage: Im Landtag haben sich junge Leute mit dem Thema befasst. Ist es ein Thema, das Jugendliche berührt?

Prof. Grumke: Ja, auf jeden Fall. Im Landtag waren es vor allem Schülersprecher und Schülerzeitungsredakteure, die besonders engagiert sind. Das hat man auch bei der Veranstaltung gemerkt, das ist sehr, sehr gut gelaufen. Aber grundsätzlich mache ich diese Erfahrungen auch bei anderen Veranstaltungen mit Schulklassen zu diesem Thema. Das Interesse ist sehr groß.


Frage: Gab es etwas, das Sie besonders beeindruckt hat?

Prof. Grumke: Zwei Dinge haben mich beeindruckt: Die Schülerinnen und Schüler waren sehr gut informiert, und sie haben auch in der Diskussion mit den Politikerinnen und Politikern immer wieder nachgefragt. Die Vorstellung, dass junge Leute unpolitisch sind, ist falsch. Das war sehr eindeutig.

Von Michael Zabka

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Quelle:
Landtag intern 3 - 47. Jahrgang, 26.04.2016, S. 6-7
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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Telefon (0211) 884-2472, -2324, -2304, -2309
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Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2016

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