Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE


NORDRHEIN-WESTFALEN/2258: Datenspeicherung ab 14 Jahren? (Li)


Landtag intern 7/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Datenspeicherung ab 14 Jahren?
Sachverständige äußern sich zu einer Änderung des Verfassungsschutzgesetzes

Von Michael Zabka


30. August 2016 - Es waren mutmaßlich jugendliche Islamisten, die im April den Bombenanschlag auf einen Sikh-Tempel in Essen verübt haben. Landesregierung und CDU-Fraktion streben nun eine Änderung des NRW-Verfassungsschutzgesetzes an.


Künftig soll es erlaubt sein, Erkenntnisse über jugendliche Extremisten bereits ab 14 Jahren zu speichern. Bislang ist eine Speicherung erst dann zulässig, wenn die Betroffenen das 16. Lebensjahr vollendet haben. In einer Anhörung des Innenausschusses äußerten sich Sachverständige dazu.

Die CDU-Fraktion nennt in ihrem Gesetzentwurf (Drs. 16/11892) den Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen vom 16. April 2016 als Beispiel. Insbesondere bei militanten Islamisten sei eine "fortschreitende Verjüngung des potenziellen Täterkreises" festzustellen. Um eine "zuverlässige Einschätzung des Bedrohungspotenzials" zu ermöglichen, müssten Erkenntnisse über jugendliche Extremisten bereits vor Vollendung des 16. Lebensjahres gespeichert werden dürfen.

Bei Minderjährigen sei zunehmend schon vor Vollendung des 16. Lebensjahres eine Hinwendung zu extremistischen Bestrebungen zu beobachten, heißt es im Gesetzentwurf der Landesregierung (Drs. 16/12120). Dies führe zu "Radikalisierungen und im weiteren Verlauf unter Umständen auch zu Gewaltanwendungen", wie sie sich bereits in islamistisch motivierten Anschlägen geäußert hätten.

Die derzeitige Altersgrenze bei der Speicherung personenbezogener Daten Minderjähriger habe sich als zu hoch erwiesen, so NRW-Verfassungsschutzchef Burkhard Freier in seiner Stellungnahme für den Ausschuss. Man habe Erkenntnisse, dass sich unter den rund 2.700 Salafisten in NRW (Stand: August 2016) zahlreiche Minderjährige befänden. Salafisten hätten Jugendliche immer stärker als Zielgruppe im Blick, sagte Freier in der Anhörung. Er sprach von zunehmender Internetpropaganda, die die Kinderzimmer erreiche. Der Antrag der CDU-Fraktion gehe in die richtige Richtung, sei jedoch "nicht vollständig". Es seien weitere Änderungen erforderlich. Dies gelte beispielsweise für den Informationsfluss zwischen Polizei und Verfassungsschutz. Den Entwurf der Landesregierung bezeichnete er als "ausgewogen".


Schutz der Jugend"

Grundsätzlich seien beide Entwürfe "geeignet, den neu erkannten Problemen zu begegnen", befand Prof. Dr. Christoph Gusy (Universität Bielefeld). Wie Freier hielt auch er den Entwurf der Landesregierung für "vorzugswürdig", weil dieser weitere erforderliche Änderungen im Gesetz berücksichtige. Gleichwohl sah er in beiden Entwürfen Schwächen: "Die Ersetzung der alten Altersgrenze durch eine neue lässt die Frage aufkommen, warum gerade diese und keine andere Altersgrenze sinnvoller wäre." Andererseits habe sie aber den "Vorzug der rechtlichen Klarheit".

Es sei "nicht nur ein legitimes Interesse, dass der Verfassungsschutz auch eine Radikalisierung Minderjähriger in den Blick nimmt", so Prof. Dr. Lothar Michael (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf). Das Verfassungsrecht streite sogar "für einen Schutz der Jugend vor einer Radikalisierung" - und dazu könnten die Verfassungsschutzbehörden beitragen. Beide Initiativen seien von ihrer Zielsetzung her zu begrüßen. Der Regierungsentwurf gehe etwas weiter als der Entwurf der CDU-Fraktion. Michael empfahl, auf eine Altersgrenze ganz zu verzichten.

Prof. Dr. Christian von Coelln (Universität zu Köln) hielt eine Absenkung der Altersgrenze ebenfalls für rechtlich unproblematisch. Schließlich könne man "real existierende Gefahren nicht ignorieren". Auch ein Verzicht auf Altersgrenzen sei seiner Ansicht nach zulässig.

Helga Block, die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW, bewertete die geplante Erweiterung der Datenverarbeitung in ihrer schriftlichen Stellungnahme "grundsätzlich kritisch". Der Schutz der Minderjährigen werde "deutlich eingeschränkt".

Die Herabsetzung der Altersgrenze von 16 auf 14 Jahre sei "keine unbeachtliche Kleinigkeit", befand der Jurist und frühere NRW-Innenminister Dr. Burkhard Hirsch. Er hatte dem Ausschuss ebenfalls eine schriftliche Stellungnahme zukommen lassen. Es falle auf, dass die "Radikalisierung islamistischer Jugendlicher in pauschalen Erklärungen ständig wiederholt und betont wird, ohne dafür, von minimalen Einzelfällen abgesehen, glaubhafte Tatsachen darzustellen, die zu dieser Aussage berechtigen und eine generelle Entwicklung belegen, die gesetzgeberische Handlungen erfordern würde". Eine "Ausdehnung der Datenerhebungen und Speicherung auf Kinder vor Vollendung des 16. Lebensjahres" sei nicht erforderlich und nicht sinnvoll.

*

Quelle:
Landtag intern 7 - 47. Jahrgang, 21.09.2016, S. 7
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-2472, -2850, -2442, -2304, -2107, -2309
Telefax (0211) 884-2250
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang