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NORDRHEIN-WESTFALEN/2272: Pro und Kontra zur geplanten Hygiene-Ampel für Lebensmittelbetriebe (Li)


Landtag intern 9/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Grün, Gelb oder Rot
Pro und Kontra zur geplanten Hygiene-Ampel für Lebensmittelbetriebe

Von Sonja Wand


2. November 2016 - Brötchen, Bratwurst, Bauernsalat: Was wir essen, soll schmecken. Was neben dem Geschmack die Appetitlichkeit von Lebensmitteln ausmacht, entzieht sich in der Regel unserer Kenntnis. Und das soll sich nach Planung der Landesregierung ändern. Vorgesehen ist ein Barometer, auch Hygiene-Ampel genannt, das von Grün über Gelb zu Rot verläuft. Es soll mit entsprechender Pfeilmarkierung Verbraucherinnen und Verbraucher über die Hygiene im verkaufenden Betrieb informieren. In einer kontroversen Anhörung im Ausschuss für Verbraucherschutz bezogen Sachverständige zu diesem Vorhaben Stellung.


Im Jahr 2011 hatten sich die Verbraucherschutzministerinnen und -minister der Länder auf das Ziel geeinigt, für mehr Transparenz bei der Lebensmittelhygiene zu sorgen. Da es eine bundesweite Regelung bisher nicht gibt, will nun Nordrhein-Westfalen ein eigenes Hygienebarometer einführen (Gesetzentwurf Drs. 16/12857, Vorlage 16/4289). An der Ladentür oder im Schaufenster von Betrieben, die Lebensmittel verkaufen, soll es für Transparenz sorgen. Betriebe ohne direkten Kundenkontakt müssen das Kontrollergebnis im Internet veröffentlichen, so der Plan.

Die Verbraucherzentralen sprachen sich für den Gesetzentwurf aus. Neben der Transparenz für die Verbraucherinnen und Verbraucher sei auch von einem Anreiz für die Betriebe auszugehen, die in einen Qualitätswettbewerb einstiegen. Aus einer Testphase des Modells in Bielefeld und Duisburg lasse sich großes Interesse ablesen: Mehr als 400.000 Bewertungen seien in rund 1.000 Tagen abgerufen worden.

"Mangelnde Objektivität"

Vonseiten der Betriebe hingegen fiel wiederholt das Argument mangelnder Objektivität. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) verwies in seiner Stellungnahme etwa auf unterschiedliche Bewertungen der gleichen Sachlage durch verschiedene Kontrolleure.

Als geschäftsschädigend bewerteten einige Verbände die Wartezeit, bis ein schlechter Ruf rehabilitiert werden könne. Denn nach einer schlechten Bewertung hätten die Betriebe zwar Gelegenheit nachzubessern. Aber die Nachkontrolle könne bis zu drei Monate in Anspruch nehmen, kritisierte unter anderem der Bundesverband Großhandel, Einzelhandel, Dienstleistungen.

Insgesamt sei der bürokratische Aufwand für die Betriebe zu hoch, befand die Hallo Pizza GmbH in ihrer Stellungnahme. Denn um einwandfrei bewertet zu werden, müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Hygienemaßnahmen dokumentieren. Und da mangelnde Dokumentation ebenso zur Abwertung führe wie tatsächliche Hygienemissstände, hielten die Vertretungen der Rheinischen und westfälischen Bäckerinnen und Bäcker das Kontrollergebnis nicht für aussagekräftig. Dr. Matthias Mainz von der Industrie- und Handelskammer problematisierte zudem veraltete Informationen, wenn seit der letzten Kontrolle einige Zeit vergangen sei. DEHOGA-Sprecher Thorsten Hellwig sprach in der Anhörung von einer "Pseudotransparenz".

Der Fleischerverband Nordrhein-Westfalen stellte infrage, ob die Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehen könnten, wie das Kontrollergebnis zustande gekommen sei. Der Verband bewertete die bisherigen Kontrollen und Sanktionsmöglichkeiten als ausreichend. Johannes Heeg vom Verein Foodwatch entgegnete, das bisherige System bevorteile diejenigen, die sich nicht an die geltenden Hygienevorschriften hielten und somit billiger produzieren könnten: "Betrügen lohnt sich. Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, ist gering." Und die Zahl der Verstöße werde nicht geringer.

Der Rechtsanwalt Prof. Dr. Alexander Schink befasste sich in seiner Stellungnahme mit juristischen Bedenken zum Gesetzentwurf wegen der tangierten Grundrechte auf freie Berufsausübung und informationelle Selbstbestimmung. Er bezeichnete den Gesetzentwurf als verfassungskonform.

Städtetag und Landkreistag sahen im Gesetzentwurf das Konnexitätsprinzip verletzt: Die Kontrollen seien mit erheblichem Mehraufwand verbunden. Kontrollen, Nachkontrollen, Beschwerden, Anhörungen - dafür fehle das Personal. Pro Jahr seien zwischen 5,7 und 8 Millionen Euro notwendig, geht aus den Stellungnahmen der Verbände hervor. Wenn das Land den Kommunen die Aufgaben übertrage, müsse es auch für die Kosten aufkommen. Die Kostenabschätzung der Landesregierung sei "völlig unzureichend".

Aus der Erfahrung in Dänemark, wo es ein fünfstufiges Smiley-System zur Lebensmittelhygiene in Betrieben und Gaststätten gibt, berichtete Poul Ottosen, ehemals Staatssekretär im dänischen Lebensmittelministerium. Auch dort habe es bei Einführung des Kontrollsystems im Jahr 2001 erhebliche Sorgen gegeben. Heute, nach 15 Jahren Praxis, seien 8 von 10 Betrieben dem Smiley gegenüber positiv eingestellt.

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Quelle:
Landtag intern 9 - 47. Jahrgang, 15.11.2016, S. 9
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2016

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