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NORDRHEIN-WESTFALEN/2355: Was bleibt, ist die Zukunft (Li)


Landtag intern 8/2018
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Was bleibt, ist die Zukunft

von Thomas Becker


Wenn im Dezember die beiden letzten Zechen in Bottrop und Ibbenbüren schließen, endet eine mehr als 150-jährige Ära des industriellen Steinkohlebergbaus in Deutschland. Sie hinterlässt allerdings auch jede Menge Arbeit. Denn wer die Welt unter Tage anrührt, bürdet sich Aufgaben für die Ewigkeit auf.


Noch ist nicht Schluss, aber die Tage sind gezählt. Mit einem Gefühl des Abschiednehmens sind daher viele Bergarbeiter zur heutigen Frühschicht aufgebrochen, um in mehr als tausend Meter Tiefe ihren Dienst zu tun. "Bergwerk Prosper-Haniel" steht auf dem Förderturm von Schacht 10 geschrieben, der in der Kirchheller Heide in Bottrop schon aus der Ferne zu sehen ist.

Von hier aus geht es hinab in eine Welt der Förderbänder und Walzenschrämlader, der Flöze und Gleisanlagen, der Hobel und Methangase. Eine Untertagewelt, um zutage zu fördern, was als das "schwarze Gold" des Ruhrgebiets bekannt wurde und dem Land jahrzehntelang einen wirtschaftlichen Aufschwung beschert hat. Mehr als 150 Jahre hat die Ära der industriellen Steinkohleförderung in Deutschland angedauert. Doch zum Jahresende ist Schicht im Schacht. Endgültig.

Manche sagen: Endlich. Die Betriebe Prosper-Haniel in Bottrop und Ibbenbüren im Tecklenburger Land einzustellen, sei ein längst überfälliger Schritt - zu hoch seien die Belastungen für Mensch und Umwelt. Etwa durch giftige Altlasten, die im Untergrund lagern, oder durch absackende Gesteinsschichten, die Häuser und Straßen zum Einstürzen bringen können. Wirtschaftlich völlig unrentabel sei der Steinkohleabbau zudem in Deutschland, da sich das Material in Ländern wie Australien in viel höher liegenden Schichten abtragen ließe.

Andere schauen wehmütig zurück. Denn der Bergbau hat gerade Nordrhein-Westfalen, das Kernland des Steinkohlebergbaus, wie keine andere Industrie geprägt, landschaftlich, kulturell, wirtschaftlich. "Kohle schuf die Welt, in der wir leben", schreibt der aus Bottrop stammende Historiker Franz-Josef Brüggemeier daher in seinem aktuellen Buch "Grubengold". Kohle sei die Grundlage der Industrialisierung, für Wohlstand und den Wiederaufbau nach 1945 gewesen.

Noch ist aber nicht aller Tage Abend. Und am Schacht in Bottrop, der bald verfüllt sein wird, geht es runter in die Grube: Das Schutzgitter des Förderkorbs schließt, der Maschinist gibt das Zeichen zur Abfahrt. Fahrtwind dringt durch die Gitterstäbe, es rüttelt und rattert. Die Luft wird trocken, der Druck auf den Ohren nimmt zu, ebenso die Beklommenheit, wenn man es nicht gewohnt ist, seinen Dienst unter Tage zu tun. Gut zwei Minuten dauert die Fahrt bis zur untersten Sohle, die sich rund 1.250 Meter in der Tiefe befindet, oder "Teufe", wie der Bergmann sagt. Dann bremst der Förderkorb, das Gitter öffnet sich. Frei wird der Blick in eine unterirdische Stadt aus Schächten, Stollen und einem Verkehrsnetz, das sich mehr als hundert Kilometer weit durch den Berg erstreckt. Hier tragen sich Geschichten zu, die man sich in den Kneipen des Ruhrgebiets erzählt, von Kohle und Kumpeln und dem Gefühl, füreinander einzustehen.

Zu den Hochzeiten in den 1950er-Jahren arbeiteten bundesweit rund 600.000 Kumpel im Steinkohlebergbau. Im Juli 2018 waren es noch rund 5.000 Beschäftigte, von denen der überwiegende Teil zum Jahresende in den Vorruhestand geht. So wie Heinrich Müller(*), ein gelernter Vermesser, der seit mehr als drei Jahrzehnten unter Tage arbeitet. Während der Frühschicht im August ist er als Fahrer einer Schwebebahn im Einsatz, der "Dieselkatze", wie die Bahn hier unten heißt.

Bevor er einsteigt, erzählt der hochgewachsene Mann, dass er über das Jahresende hinaus am liebsten weiter im Bergbau arbeiten würde. "Dafür mache ich die Arbeit viel zu gerne", sagt er. Aber schon in ein paar Monaten geht er in den Vorruhestand. Mit 49 Jahren. Er nimmt eine Prise Schnupftabak. Das machen die meisten hier, um damit den Kohlestaub aus der Nase zu schnauben.


Im Allerheiligsten der Zeche

Bis zum Erreichen des Rentenalters erhalten Bergleute ein sogenanntes Anpassungsgeld. Vertreter aus Politik, Gewerkschaft und der Ruhrkohle AG haben sich darauf Anfang der 1970er-Jahre verständigt. Niemand falle "ins Bergfreie", werde also arbeitslos, dieser Satz war damals leitend bei den Verhandlungen. Auch als im Februar 2007 das Ende des deutschen Steinkohlebergbaus besiegelt und auf 2018 datiert wurde, einigten sich die Verantwortlichen darauf, dass der Abschied sozialverträglich organisiert werde sollte: Schloss eine Zeche, erhielten Mitarbeitende die Möglichkeit, in einer anderen Zeche weiterzuarbeiten. Und so wechselte auch Heinrich Müller vor drei Jahren nach Bottrop. Seitdem heißt es nicht nur für ihn Abschied nehmen, Tag für Tag.

Der Bergmann steigt in die Dieselkatze. Die Bahn treibt leicht abschüssig in den tiefschwarzen Berg hinein. Kohlepartikel liegen in der Luft und bedecken jeden Millimeter hier unten, auf Rohren, Fässern und der sich schwarz färbenden Haut. Nach gut einer halben Stunde enden die Schienen und es zeigt sich ein Schauspiel, das die Herzen von Liebhabern des Bergbaus höher schlagen lässt: Wo die Kohle abgebaut wird, im Streb, ertönt ein ohrenbetäubender Lärm. Hier, im Allerheiligsten der Zeche, herrschen Temperaturen wie im Dschungel. Plötzlich zischt ein Kohlenhobel um die Ecke. Wie ein urzeitliches Monster aus einem Fantasy-Film, das sich kompromisslos seinen Weg bahnt.

Der Hobel streift die Außenwand des Strebs und schält Kohlebrocken heraus. "Jetzt nur noch zusehen und genießen", sagt ein Mitarbeiter ehrfürchtig, bevor der Hobel mit seinen Hartmetallmeißeln an ihm vorbeirauscht - ein Anblick für die Geschichtsbücher. Denn in drei Tagen ist das Soll für den Abbau in diesem Streb erreicht. Danach ruht auch der letzte noch aktive Kohlenhobel in Deutschland.


Der Blick geht nach vorne

Klar ist aber auch: Der Bergbau hinterlässt jede Menge Arbeit. Denn die vielen Schächte und Tunnel haben Gebiete des Ruhrgebiets wie einen Schweizer Käse durchlöchert. Manche Gegenden sind bis zu 25 Meter abgesackt. Fast ein Fünftel des Ruhrgebiets liegt durch den Bergbau bedingt unter dem Grundwasserspiegel und muss künstlich trocken gehalten werden. Und dann sind da auch noch die Schwermetalle und anderen Giftstoffe, die Zechen aus früheren Zeiten in sich bergen.

Um Langzeitfolgen und sogenannte Ewigkeitslasten in den Griff zu bekommen, wurde schon 2007 die RAG-Stiftung gegründet. Zu ihren Aufgaben gehört, das Grundwasser in abgesackten Regionen abzupumpen, Dämme zu errichten und neue Wasserläufe anzulegen, um zu verhindern, dass Städte wie Essen oder Duisburg im Wasser versinken. Tauchpumpen sollen zudem davor schützen, dass verunreinigtes und salziges Grubenwasser in stillgelegten Bergwerken ungehemmt steigt und mit dem Trinkwasser in Berührung kommt.

Seit Jahren beschäftigt sich der nordrhein-westfälische Landtag mit Themen wie diesen, vor allem im eigens eingerichteten Unterausschuss "Bergbausicherheit". In der aktuellen Wahlperiode hat sich der Ausschuss beispielsweise damit befasst, wie mit Verunreinigungen des Grubenwassers durch PCB zu verfahren ist, also mit krebserregenden und hochgiftigen Chlorverbindungen, die das Erbgut verändern. Zudem standen Berichte der Bergbehörden, Erderschütterungen und Konzepte zur Grubenwasserhaltung auf der Tagesordnung

Der Blick also geht nach vorne, auch in Bottrop: Bis Frühjahr 2019 sollen die Aufräum- und Säuberungsarbeiten abgeschlossen sein. Danach schlägt die Stunde des Nachbergbaus. Dazu zählt ein modernes Wassermanagement, durch das die RAG-Stiftung das Gruben- und Grundwasser in stillgelegten Zechen überwacht. Es zeigt sich schon jetzt: Die Hinterlassenschaften des Steinkohleabbaus werden die Nachwelt vielleicht nicht bis in alle Ewigkeit, aber doch viele Generationen lang beschäftigen.

(*)Name geändert

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Quelle:
Landtag intern 8 - 49. Jahrgang, 25.09.2018, S. 12-13
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2018

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