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RHEINLAND-PFALZ/2721: Debatte über die Zukunft der Förderschulen (StZ)


StaatsZeitung, Nr. 41/2012 - Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz
Der Landtag - Nachrichten und Berichte, 5. November 2012

Debatte über die Zukunft der Förderschulen



Die Zukunft der Förderschulen stand im Mittelpunkt des Interesses, das die CDU-Fraktion mit der Beantragung einer Aktuellen Stunde verband, die die Pläne des Landes zum Ausbau der Inklusion zur Diskussion stellte.

Auf dem Weg, allen Kindern die Rechte einzuräumen, seien noch einige Schritte zu gehen, sagte Bettina Dickes (CDU). "Wir müssen uns aber auch darüber bewusst sein, dass der richtige Weg für jedes Kind ein anderer ist." Das könne sowohl das Lernen in einer Förderschule als auch das Lernen an einer allgemeinen Schule sein. Daher poche die CDU schon seit Jahren auf den Erhalt eben dieser Förderschulen. Grünen-Fraktionschef Köbler habe von vollständiger und gleichwertiger Inklusion in fünf Jahren gesprochen. Für die Inklusion sollen in den kommenden fünf Jahren 200 zusätzliche Stellen geschaffen werden. "Seitdem diese Zahl bekannt geworden ist, fragt man sich landauf, landab, woher denn die Zahl kommt." Die CDU habe immer wieder nachgefragt und keine Antwort erhalten. Im Bildungsausschuss habe die Ministerin erklärt, die Grundlage für diese Zahl sei eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Diese beschreibe, dass die Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt "Lernen", "Sprache" und "Sozialemotionale Entwicklung" zu 100 Prozent abgeschafft werden sollten "und die übrigen Förderschwerpunkte wollen Sie halbieren". Die Ministerin, die bisher stets gesagt habe, es würden keine Förderschulen geschlossen werden, habe die Studie nicht gelesen, oder sie habe dies gewusst, "dann haben Sie allen Menschen im Land bewusst Sand in die Augen gestreut", erläuterte Dickes.

Bettina Dickes sei nun seit sechs Jahren im Parlament und verfolge seit sechs Jahren die Debatte, "und Sie haben uns anscheinend niemals zugehört", sagte Bettina Brück (SPD) an die Adresse der Vorrednerin. Die Regierungskoalition wolle den Eltern ein Wahlrecht einräumen. Damit sie wählen könnten, müsse ein flächendeckendes Netz an Schwerpunktschulen aufgebaut werden. "Das ist unser System, um die Inklusion darzustellen." Ihre Partei habe noch niemals davon geredet, die Förderschulen im Bereich "Lernen" oder die anderen Förderschulen abschaffen zu wollen. "Welche Förderschule in Frage kommt, wenn sich Eltern für eine Förderschule entscheiden, das bestimmt die Art des festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfs." Die Bundesrepublik Deutschland sei der UN-Behindertenrechtskonvention unterworfen und habe sich dieser verschrieben. "Da geht es nicht darum, irgendwelche Systeme neu zu erfinden, sondern darum, die Systeme den Bedürfnissen der behinderten Menschen anzupassen und nicht andersherum", betonte Brück. Sie habe "das Gefühl, als wollten Sie das Wort Inklusion als Bedrohung darstellen", kritisierte die Abgeordnete die Oppositionsfraktion.

Die Koalition stehe uneingeschränkt zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, sagte Ruth Ratter (Bündnis 90/Die Grünen). Das von der Bundeskanzlerin unterzeichnete Gesetz lasse keinen Zweifel daran, dass das geltende Recht ein inklusives Bildungssystem einfordert. "Die Umsetzung dieses Rechtes wird Auswirkungen auf das Schulsystem und den Bestand der rheinland-pfälzischen Förderschulen haben", erläuterte Ratter. Das, was das Gesetz vorsehe, sei die Ausgestaltung einer inklusiven Gesellschaft und damit zunächst die Änderung des Schulrechts, das das Wahlrecht für die Eltern in Rheinland-Pfalz zu garantieren habe. "Die Gesellschaft ist hier offensichtlich weiter als die Opposition und sieht die Notwendigkeit, den Wandel hin zur inklusiven Gesellschaft als Aufgabe zu gestalten", sagte die Abgeordnete. Die Ermöglichung eines guten Lebens als gelingende Praxis der Lebensführung ist für Ratter "der entscheidende Baustein, der allen Menschen die gleiche volle Teilhabe, unabhängig von ihren persönlichen Unterstützungsbedürfnissen, sichert". Gleichheit meine aber nicht Homogenität, sondern vielmehr Gleichberechtigung und Respekt vor der Unterschiedlichkeit. In keiner der Veranstaltungen zum Thema Inklusion im Mai sei die These von der Abschaffung der Förderschulen formuliert worden. "Was wir in dieser Legislaturperiode ändern werden, ist in der Tat das Schulgesetz. Damit sichern wir den Anspruch auf die Wahl der Schule, regional und nah", erläuterte Ratter.

Die Landesregierung lege "ein klares Bekenntnis zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ab", betonte Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD). Diese fordere das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Die Bundesrepublik Deutschland habe die Konvention ratifiziert und sei damit gesamtstaatliche Verpflichtungen eingegangen, denen man sich nicht nach Belieben entziehen könne, "sondern denen man sich zu stellen hat". Es gehe darum, so der Aktionsplan, dass eine Gesellschaft sich in besonderer Art und Weise daran messen lassen müsse, wie sie mit behinderten Menschen umgehe. "Auch das ist Anspruch für uns in unserer Arbeit." Daraus leite die Landesregierung den Auftrag ab, die Gesellschaft, gerade was die Teilhabemöglichkeiten von behinderten Menschen angehe, nach vorne zu entwickeln. Dies sei "eine riesige Herausforderung". Dabei würden Grenzen spürbar werden. Das Land könne aber auf einem Fundament aufbauen. So habe Rheinland-Pfalz die zweitniedrigste Quote von Schülerinnen und Schülern an Förderschulen, "weil unsere Schulen schon eine erhebliche Integrationsleistung erbringen". Mittlerweile gebe es 255 Schwerpunktschulen, davon 143 im Grundschulbereich und 112 in der Sekundarstufe I. Sie sei überzeugt, dass das Lernen von Kindern ohne Behinderungen mit Kindern mit Behinderungen einen ganz wesentlichen Beitrag zu einem guten sozialen Miteinander, das von Teilhabechancen geprägt ist, leisten könne. "Diese Chance wollen wir nutzen", erläuterte die Ministerin.

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Quelle:
StaatsZeitung, Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz, Nr. 41/2012, Seite 3
Der Landtag - Nachrichten und Bericht
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2012