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OFFENER BRIEF/001: Friedensbindung für die Hochschulen per Zivilklausel in den Koalitionsvertrag (NatWiss)


NATURWISSENSCHAFTLERINNEN-Initiative
VERANTWORTUNG für Frieden und Zukunftsfähigkeit

Offener Brief an die Delegierten der Landesparteitage von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD Baden-Württemberg

Friedensbindung für die Hochschulen per Zivilklausel in den Koalitionsvertrag


29. April 2011

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie viele Menschen bundesweit haben wir uns aufrichtig darüber gefreut, dass nach 58 Jahren CDU-Herrschaft ein starkes Signal dafür gesetzt wurde, endlich in Baden-Württemberg dem Willen der BürgerInnen wieder mehr Respekt zu verschaffen. Voraussetzung für die Beteiligung der BürgerInnen ist es, dass beide Parteien ihre eigenen Wahlaussagen (Kasten) respektieren.

Davon, dass die Hochschulen bzw. die Hochschulforschung in Baden-Württemberg künftig ausschließlich friedlichen Zwecken dienen soll (Zivilklausel), steht aber kein Wort im Koalitionsvertrag.

Die Umsetzung von übereinstimmenden Wahlaussagen der Koalitionspartner im Falle der Übertragung der parlamentarischen Mehrheit und der Regierungsverantwortung durch das Votum der WählerInnen ist keine Frage der Machbarkeit, sondern der Glaubwürdigkeit.

Ein Regierungsantritt voller Hoffnung sollte nicht durch inhaltliche Entleerung enttäuscht werden. Deswegen appellieren wir an Sie, die Aussagen ihrer Wahlprogramme für friedliche Forschung in den Koalitionsvertrag zu übernehmen.

In der Umsetzung der Wahlaussagen bitten wir Sie, die nachfolgenden Argumente zu berücksichtigen:

• Spätestens bei der Novellierung des Landeshochulgesetzes zwecks Wiederherstellung der durch Ministerpräsident Filbinger 1977 abgeschafften Verfassten Studierendenschaft wird die Frage akut werden. Die Landes-ASten-Konferenz hat das Anliegen wiederholt unterstützt und klare Aussagen der Koalition gefordert (Anlage 1).

• Winfried Kretschmann und Nils Schmid haben entsprechend gehandelt und eine Woche vor der Wahl die gleiche Forderung nach einer Zivilklausel für den Uni-Teil des Karlsruher Instituts für Technologie KIT zusammen mit Theresia Bauer, Leni Breymaier, Sylvia Kotting-Uhl, Johannes Stober und anderen, die diese Forderung seit vielen Jahren unterstützen, zusammen mit 450 Persönlichkeiten des In- und Auslands unterzeichnet (Anlage 2).

• Auf Initiative der Studierenden der Universität Tübingen wurde im Rahmen des Bildungsstreiks die Präambel der Grundordnung um die Zivilklausel "Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen." ergänzt, die im September 2010 mit Zustimmung der alten Landesregierung (!!!) rechtskräftig geworden ist. Die Universität Konstanz besitzt durch Beschluss des Großen Senats bereits seit 1991 eine Zivilklausel.

Für die Friedensbindung und die ausschließliche Zivilorientierung der Hochschulen hat sich eine bundesweite "Zivilklausel-Bewegung" (F.A.Z. 12.01.2011 "Wenn sie dir morgen befehlen...") gebildet, die mittlerweile an zwei Dutzend Hochschulen initiativ ist und die tatkräftig von den Gewerkschaften ver.di und GEW unterstützt wird.

Wir versprechen Ihnen namens unserer beiden Initiativen, jegliche uns mögliche Unterstützung bei der Realisierung dieser Ziele.

Mit freundlichen Grüßen

Noara Kebir
Vorsitzende NatWiss*

Dr. Wolfgang Neef
Vorstandsmitglied NatWiss*

Reiner Braun
Vorstandsmitglied NatWiss* und Ini**

Dr. Dietrich Schulze
Beiratsmitglied NatWiss* und Ini**

* NaturwissenschaftlerInnen-Initiative "Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit" e.V., www.natwiss.de
** Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, Web-Dokumentation www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf

Anlage 1: Pressemitteilung LAK vom 8. April 2011
www.ph-freiburg.com/fileadmin/2011-04-08-PM_zu_Koalitionsverhandlungen.pdf

Anlage 2: Pressemitteilung Ini** vom 21. März 2011
www.stattweb.de/files/civil/Doku20110321.pdf


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Landes-ASten-Konferenz Baden-Württemberg
c/o ASta Uni Mannheim

An die Presse
08/04/2011

Landes-ASten-Konferenz fordert klare Aussagen bei den Koalitionsverhandlungen

Mannheim (LAK). Die Landes-ASten-Konferenz Baden-Württemberg (LAK) fordert von den an den aktuellen Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg Beteiligten klare Aussagen und konsequente Handlungen. Nach Jahrzehnten bildungspolitischer Verfehlungen wird es nun endlich Zeit, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Die Wahlprogramme der siegreichen Parteien zeigen viele gemeinsame Punkte auf. Diese gilt es jetzt schnellstmöglich umzusetzen. Ebenso müssen auch andere, in der Öffentlichkeit weitestgehend vernachlässigte Themen schnell bearbeitet werden. Die LAK erarbeitete hierzu auf ihrer letzten Sitzung vom 02. bis 03. April 2011 deutliche Forderungen in vier zentralen Bereichen und verdeutlichte damit ihren Standpunkt, Studiengebühren, Mitbestimmung, das Thema Lehramt sowie die Zivilklausel sind erste zentrale Anliegen des landesweiten Vertretungsgremiums.

Bei dem Thema Studiengebühren gehen die Meinungen der Parteien auseinander. Während die SPD, entsprechend der Forderungen der LAK, die sofortige Abschaffung der Studiengebühren jeglicher Art sowie der Verwaltungsgebühren forderten, versprachen die Grünen eine Abschaffung nur für ein Erststudium. Damit ignorieren sie die Bedeutung der Gebühren bei dem Erhalt der sozialen Ungleichheit im Bildungssystem und verschließen sich scheinbar den Argumenten der Studierenden.

Von zentraler Relevanz ist außerdem der Zeitpunkt der Abschaffung der Studiengebühren. "Die mehr als überfällige Abschaffung muss sofort durchgeführt werden. Wir erwarten hier von den Parteien ein entschlossenes Handeln!" sagt Christoph Bochentin und verdeutlicht damit die Position der LAK. Es liegt nun am Willen der Parteien, ihre Versprechen umzusetzen und endlich im Sinne der Studierenden zu handeln. Selbstverständlich muss den Hochschulen eine vollkommene Kompensation aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellt werden, die ausnahmslos der Lehre zukorrmen soll.

Das Thema Mitbestimmung liegt seit über 33 Jahren im Fokus studentischer Vertretung. Die damals undemokratische und durch Scheinargumente gestützte Abschaffung der Verfassten Studierendenschafl entmündigte die demokratisch legitimierten VertreterInnen der Studierenden. Bede Parteien versprachen vor der Wahl, die Verfasste Studierendenschaft wieder einzuführen und somit die Hochschulen zu redemokratisieren. Sogar ein Gesetzestext liegt seit einem Änderungsantrag im Dezember schon vor. "Einer sofortigen Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft steht somit nichts mehr im Wege" hält Christoph Bochentin, Mitglied im Präsidium der LAK, fest.

Ein weiteres Thema von hoher Bedeutung ist das Lehramt. Hier steht eine Novellierung der Prüfungsordnungen an den Pädagogischen Hochschulen an. Dieses Erbe der alten Landesregierung ist mit eklatanten Fehlern übersäht und darf von der neuen Exekutive nicht in dieser Form durchgesetzt werden. "Die erneuerten Prüfungsordnungen wurden von dem ehemaligen Ministerium aus dem Boden gestampf! und sollen trotz zahlreicher, offensichtlicher Probleme noch in diesem Jahr umgesetzt werden." sagt Laura Elisa Maylein, weiteres Mitglied im Präsidium der LAK. "Damit wiederholt das Ministerium Fehler der Vergangenheit, da erneut kopflos eine Reform durchgebracht werden soll, die die Betroffenen in eine noch misslichere Lage bringt". Die Prüfungsordnungen sehen in novellierter Form unter anderem einschneidende Umstellungen im Bezug auf die Schulpraktika vor. Dabei würde dann jährlich eine für die Schulen kaum zu bewältigende Menge an Studierenden zu betreuen sein.

Besorgniserregend ist auch die zunehmend beobachtbare Involvierung von militärischen Akteuren in Bildungseinrichtungen. "Egal ob Bundeswehr oder Rüstungskonzern, egal ob Grundschule oder Hochschule - Militär und Krieg haben an Bildungseinrichtungen nichts zu suchen!" macht Laura Elisa Maylein deutlich. Bestrebungen, diese Entwicklungen zu stoppen, wie die Einführung einer Zivilklausel, wurden in der Vergangenheit innerhalb einiger Hochschulen kontrovers diskutiert, jedoch nur unzureichend umgesetzt. Auch die LAK fordert hier eine klare Positionierung beider Parteien hin zu Bildungseinrichtungen frei von Militär und Krieg!

Kontakt zum Präsidium
LAK-bawu-praesidium@studis.de


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Presse-Erklärung der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten
http://www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf

21. März 2011

Zivilklausel für KIT Grundsatzung abgelehnt -
Verantwortung der Wissenschaft für Frieden und Demokratie bleibt auf der Tagesordnung!

Die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten hat KIT Präsident Prof. Horst Hippler (Bild) heute vor Beginn der entscheidenden Sitzung des KIT Gründungssenats mehr als 450 Unterstützungsunterschriften für die Zivilklausel übergeben. Die UnterzeichnerInnen fordern die Aufnahme der Zivilklausel in die Grundsatzung der Universität Karlsruhe als Teil des neu gebildeten Karlsruher Instituts für Technologie KIT "Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen."

Die Uni-Leitung macht seit Monaten unisono mit der abgewirtschafteten Landesregierung Stimmung dagegen bzw. wimmelt die Zivilklausel mit einer Ethik-Debatte ab, obwohl exakt die gleiche Bestimmung für die Universität Tübingen mit Zustimmung eben dieser Landesregierung rechtskräftig geworden ist. Die Initiative hat versucht, den Senat mit dem Argument zu ermuntern, dass das, was für Tübingen rechtens ist, Karlsruhe nicht versagt werden kann, und darum gebeten der Zivilklausel zuzustimmen, womit gleichzeitig die längst überfällige einheitliche Norm für das gesamte KIT geschaffen würde. Denn für den Großforschungsteil (u.a. Kernforschung) gilt die bewährte Zivilklausel des Forschungszentrums weiter.

Der Senat hat sich dem Druck gebeugt. Die Zivilklausel wurde nicht aufgenommen. Die Initiative hatte Mühe, die Unterschriftensammlung übergeben zu können. Der Präsident wollte sie nicht entgegen nehmen und Präsidiumsmitglied Alexander Kurz als Vorsitzender Grundsatzungskommission ebenfalls nicht. Er verwies auf den Präsidenten. Im KIT ist ein autoritäres Klima durchgesetzt worden, eine wichtige Voraussetzung zur Fortsetzung von Rüstungsforschung. Die Bundesregierung hat Auskünfte über militärisch relevante Sicherheitsforschung an den Hochschulen unter Geheimschutz gestellt.

Das alles wird nicht so bleiben. Der Druck von Aussen wächst. Freiheit und Autonomie der Hochschulen, Transparenz und Demokratie lassen sich nicht auf Dauer unterdrücken. Die Opposition im baden-württembergischen Landtag wird gestärkt aus den Wahlen hervorgehen und kann möglicherweise die Regierung bilden. Die SpitzenkandidatInnen der Grünen (Winfried Kretschmann), der SPD (Dr. Nils Schmid) und der Linken (Marta Aparicio, Roland Hamm) gehören zu den UnterzeichnerInnen. Alle drei Parteien sprechen sich in ihren Wahlprogrammen für Zivilklauseln für die Hochschulen aus.

Zu den UnterzeichnerInnen gehören über 30 ProfessorInnen aus der Uni Karlsruhe und anderen Unis, die meisten aus Bremen. Dazu kommt eine dreifache Zahl an Studierenden und WissenschaftlerInnen, viele GewerkschafterInnen mit betrieblichen Funktionen, PfarrerInnen und weitere ParlamentarierInnen auf Landes- und Bundesebene. Dazu kommen viele internationale Persönlichkeiten vorwiegend aus Japan, darunter der Bürgermeister von Hiroshima.

Wie die Initiative weiter mitteilt, wächst der Widerstand gegen die Militarisierung der Hochschulen bundesweit. Drei studentische Urabstimmungen für die Einführung einer Zivilklausel in den Unis Karlsruhe, Köln und FU Berlin. Eine Erklärung von über 60 Bremer HochschullehrerInnen gegen einen rüstungs-finanzierten Stiftungslehrstuhl. Ein Internationaler Appell gegen Forschung und Lehre für militärische Zwecke an allen Universitäten. Eine Konferenz zu diesem wichtigen Thema Ende Mai an der TU Braunschweig. Der bundesweite "freie zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs) fordert: Militär und Rüstungsindustrie raus aus Schulen und Hochschulen. Zivilklausel rein in die Hochschulen und die Landeshochschulgesetze. Dafür wird an mittlerweile zwei Dutzend Hochschulen Widerstand entwickelt.

Reiner Braun
hr.braun@gmx.net

Dr.-Ing. Dietrich Schulze
dietrich.schulze@gmx.de

Dagmar Hamdi
dagmar.hamdi@gmx.de


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Quelle:
Offener Brief vom 29. April 2011
NaturwissenschaftlerInnen-Initiative e. V.
c/o IALANA Geschäftsstelle, Schützenstr. 6a , 10117 Berlin
Tel. (030) 20 65-48 57, Fax (030) 20 65-48 58
E-Mail: info@ialana.de
Internet: www.ialana.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2011