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INNEN/2366: Rede Sigmar Gabriel auf dem außerordentlichen SPD-Bundesparteitag am 9.12.2012 in Hannover


SPD-Pressemitteilung 457/12 vom 9. Dezember 2012

Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Sigmar Gabriel auf dem außerordentlichen SPD-Bundesparteitag am 09. Dezember 2012 in Hannover



- Es gilt das gesprochene Wort -

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde, Wegbegleiter und Wegbegleiterinnen der Sozialdemokratie, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste! Hannelore Kraft hat es gesagt: Wir sind heute hier in Hannover zusammengekommen, um unseren Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers zu wählen. Wir tun das in der festen Überzeugung, damit zugleich den vierten sozialdemokratischen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu nominieren.

Und wir wollen den Menschen in unserem Land signalisieren, dass wir Sozialdemokraten geschlossen, entschlossen und bereit sind, alles in unserer Kraft Stehende zu tun, um Deutschland und Europa wieder eine bessere und eine andere Richtung zu geben. Nach vier Jahren Anarchie und Dauerstreit in dieser Regierung, nach vier Jahren wachsender sozialer und kultureller Spaltung in unserem Land, und vor allem nach vier Jahren Lobbyisten- und Klientelpolitik werden wir Sozialdemokraten dafür sorgen, dass endlich wieder das Gemeinwohl zurückkehrt in den Mittelpunkt der Politik in unserem Land.

Ja, die Zeiten sind stürmisch. Die Krise in Europa wird ab dem kommenden Jahr auch Deutschland erreichen. Machen wir uns also nichts vor: Es wird kein leichtes Regieren in den kommenden Jahren. Europa steht mitten in seiner größten Bewährungsprobe, und jetzt rächt sich bitter, dass Angela Merkel und ihre konservativen Freunde nichts, aber auch gar nichts dafür getan haben, dass Wachstum und Arbeit in Europa gefördert werden.

Aber schwierige Zeiten sind für uns Sozialdemokraten nichts Neues: Immer dann, wenn es schwierig wurde für unser Land, waren es Sozialdemokraten, die das Ganze und das Gemeinwohl im Blick behalten haben: Das galt für Willy Brandts Entspannungspolitik ebenso wie für die Politik unserer beiden Bundeskanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, über deren Teilnahme wir uns heute besonders freuen. Herzlichen willkommen hier auf dem Bundesparteitag!

Die Namen dieser sozialdemokratischen Kanzler stehen für Kurs halten auch in Umbruchzeiten, egal ob es um den wirtschaftlichen und sozialen Erfolg unseres Landes ging oder um den Frieden.

Und in genau dieser Tradition wird auch Peer Steinbrück der nächste Kanzler unserer Republik werden.

Deutschland braucht einen Richtungswechsel; denn die soziale und kulturelle Kluft in Deutschland wächst: Alle Untersuchungen der letzten Jahre kommen zu dem gleichen Ergebnis: Die Armut wächst, der Reichtum wächst, und die Mittelschicht dazwischen wird zerrieben. Das ist die katastrophale Bilanz Angela Merkels. Und das sagt nicht nur, wie Hannelore Kraft zu Recht betont hat, der Vorsitzende der einstmals stolzen Arbeitnehmerbewegung der CDU, Herr Laumann. Das sagt auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, allerdings bevor ihn Angela Merkel und Philipp Rösler gefälscht haben.

Lasst uns heute über die Wirklichkeit reden! Ich weiß: An Wahlversprechen glauben Menschen in der Politik kaum noch. Und Garantien gelten wenig in einer Welt, die sich ständig verändert. Und trotzdem: Wenn wir Sozialdemokraten jetzt zur Bundestagswahl antreten, wenn wir wieder den Kanzler unserer Republik stellen wollen, dann gibt es eine Sache, die nur wir versprechen können, eine Sache, die wir Sozialdemokraten sogar versprechen müssen, weil es etwas mit dem Kampf zu tun hat, den die SPD seit fast 150 Jahren führt, und das ist der Kampf gegen Armut. Lasst uns heute versprechen: Wir Sozialdemokraten nehmen den Kampf gegen die Armut in unserem Land wieder auf, liebe Genossinnen und Genossen.

Armut bekämpft man nicht zuallererst durch die Erhöhung von Sozialleistungen, sondern dadurch, dass gute Arbeit in Deutschland endlich wieder zu gutem Lohn führt, liebe Genossinnen und Genossen.

Wir werden das Kernversprechen des Sozialstaats in Deutschland wieder erneuern und einlösen, und das lautet: Wer arbeitet, der soll und der muss von seiner Arbeit in unserem Land auch leben können. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen dafür sorgen, dass die, die hart für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes arbeiten, auch endlich wieder teilhaben an diesem Erfolg. Nicht das ist sozial, was Arbeit schafft, sondern sozial ist, was Arbeit schafft, von der man leben kann, liebe Freundinnen und Freunde. Das muss in Deutschland wieder gelten.

Die SPD war, ist und bleibt die Partei der fleißigen Leute. Übrigens: Das ist es, was uns von allen anderen Parteien in Deutschland unterscheidet. Frau Merkel und ihre CDU verstehen ja gar nicht, worum es bei einem gesetzlichen Mindestlohn eigentlich geht. Ja klar, geht es ums Geld. Aber es geht noch um etwas anderes, und das wissen wir aus unserer Geschichte der letzten 150 Jahre. Es geht nämlich um den Wert der Arbeit, und es geht um die Würde des arbeitenden Menschen. Es ist würdelos, den ganzen Tag arbeiten zu gehen und trotzdem am Ende des Monats beim Sozialamt betteln gehen zu müssen, weil der Lohn für die Miete nicht reicht, liebe Genossinnen und Genossen.

Es geht nicht um irgendeine Lohnuntergrenze. Es geht nicht um etwas, was irgendwie verhandelt wird, sondern es geht um Klartext, und der lautet: Wir stehen dafür ein, dass es nach der Bundestagswahl mit dem Kanzler Peer Steinbrück einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro gibt, damit niemand, der Vollzeit arbeitet, anschließend noch beim Staat betteln gehen muss, liebe Genossinnen und Genossen. Das werden wir sicherstellen.

Aber guter Lohn für gute Arbeit ist weit mehr als nur der Mindestlohn. Wir wollen deshalb dafür sorgen, dass die Tarifbindung in unserem Land wieder steigt. Guter Lohn für gute Arbeit ist auch die wichtigste Voraussetzung für eine gute Rente. Das ist der Grund, warum wir in der Rentenpolitik das Ganze wieder vom Kopf auf die Füße gestellt haben. Ich sage euch: Die harte Arbeit der letzten Monate hat sich gelohnt. Alle Umfragen zeigen: Wir haben mit unserem Rentenkonzept ein überzeugendes Ergebnis erarbeitet. Vielen Dank an alle, die daran mitgearbeitet haben, liebe Genossinnen und Genossen.

Guter Lohn und gute Arbeit bedeuten auch, dass wir uns wieder darum kümmern wollen, dass junge Menschen nach Ausbildung und Studium mehr vorfinden als nur ein Praktikum und einen befristeten Job. Heute ist jeder zweite Arbeitsplatz, der neu entsteht, befristet. Trotz guter Ausbildung, trotz Studium, trotz Fleiß und Anstrengung gibt es für die jungen Leute keine Sicherheit im Beruf. Wir Sozialdemokraten sagen: Wer will, dass es in unserem Land wieder mehr Kinder gibt, der muss den jungen Leuten feste Arbeitsbedingungen geben, ihnen Sicherheit geben. Nur dann wird es in Deutschland auch wieder mehr Familien mit Kindern geben, liebe Genossinnen und Genossen.

Vor allen Dingen wollen wir eines: Wir wollen, dass in Deutschland endlich wieder gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, egal, ob man Stammbeschäftigter oder Leih- und Zeitarbeiter ist. Deshalb, lieber Michael Vassiliadis, war es richtig, dass die IG BCE in den letzten Tagen gesagt hat: Wir müssen die Mitbestimmung der Betriebsräte, der Gewerkschaften ausbauen, damit Leih- und Zeitarbeit endlich wieder das ist, wozu sie da ist: flexibel Unternehmen Chancen zu geben. Aber es muss Schluss damit sein, dass Leih- und Zeitarbeit benutzt wird, um feste Jobs kaputt zu machen und befristete, schlecht bezahlte einzurichten, liebe Genossinnen und Genossen.

"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" gilt auch noch in einer anderen Hinsicht. Viel ist in den letzten Wochen über die Frauenquote in Aufsichtsräten diskutiert worden, und auch da haben CDU/CSU und FDP kläglich versagt. Wer glaubt, dass die Männer freiwillig aus den bestbezahlten Jobs unseres Landes ausscheiden, na, der glaubt vermutlich auch, dass man mit Gänsen über Weihnachten diskutieren kann. Aber so wichtig ein solches Gesetz für Frauenquoten in den Vorstandsetagen und Aufsichtsräten auch ist: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden uns nicht zufriedengeben mit mehr Gleichberechtigung in den obersten Etagen unserer Gesellschaft. Ich sage euch: Wenn wir 2013 die Bundestagswahl gewinnen, muss eines von uns vom ersten Tag an angepackt werden, nämlich dass Männer und Frauen für die gleiche Arbeit in Deutschland endlich den gleichen Lohn bekommen, liebe Genossinnen und Genossen.

Natürlich gehört dazu, dass wir nicht weiterhin hunderttausende junger gut ausgebildeter Frauen vom Beruf und von der Karriere ausschließen, nur weil es zu wenig Kindertagesstätten und Ganztagsschulen gibt. Lieber Stephan Weil, eines können wir dir versprechen: Wir werden das Betreuungsgeld abschaffen und die 2 Milliarden in den Ausbau von Kindertagesstätten und Ganztagsschulen in Deutschland investieren. Das versprechen wir dir heute.

Wir Sozialdemokraten wissen zu alldem aber auch: Damit wir das schaffen, muss Deutschland ein wirtschaftlich erfolgreiches Land bleiben, mit Forschung und Entwicklung, innovativen Unternehmen, starken Mittelständlern und Familienbetrieben, Handwerk und Industrie und Dienstleistungen und gut qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Wirtschaftlicher Erfolg und soziale Sicherheit, das sind für uns Sozialdemokraten zwei Seiten derselben Medaille. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Wir Sozialdemokraten waren immer dann besonders erfolgreich, wenn wir beides zusammengebracht haben: soziale und wirtschaftliche Kompetenz. Dass die SPD das soziale Kompetenzzentrum in Deutschland ist, das wissen die Menschen in Deutschland längst. Das zeigt jede Umfrage. Wir haben in den letzten drei Jahren gerade auf diesem Feld der Politik viel Vertrauen zurückgewonnen.

Deshalb freut es mich sehr, dass wir wieder einen großen Schatz an Gemeinsamkeiten mit den deutschen Gewerkschaften haben. Neben den Vorsitzenden der deutschen Gewerkschaften, die Hannelore Kraft schon begrüßt hat, freut es mich auch, dass der Kollege und Genosse Detlef Wetzel, zweiter Vorsitzender der IG Metall, inzwischen auch zu uns gekommen ist. Herzlich willkommen für dich, und für die gute Zusammenarbeit vielen Dank.

Übrigens: Michael Sommer, der DGB-Vorsitzende wäre heute auch gerne bei uns gewesen. Aber er ist leider erkrankt. Seine Frau Ulrike ist hier unter uns, Delegierte aus Berlin. Lasst uns der Ulrike mitgeben: herzliche Genesungswünsche und gute Besserung an ihren Mann, an Michael Sommer. Grüß ihn und bring ihn wieder auf die Beine.

Aber soziale Kompetenz alleine reicht eben nicht aus. Auch für uns Sozialdemokraten gilt: Der eigene Tellerrand ist nicht der weiteste Horizont. So wichtig Gewerkschaften für uns sind, um erfolgreich regieren zu können, müssen wir auch andere Verbündete in unserer Gesellschaft erreichen, Verbündete, für die das soziale Gleichgewicht in unserem Land auch wichtig ist, aber die zugleich sichergehen wollen, dass dieses soziale Gleichgewicht gepaart ist mit wirtschaftlicher Kompetenz, mit finanziellem Sachverstand. Niemand, liebe Genossinnen und Genossen, steht nach der Rettung Deutschlands während der Finanzkrise so sehr für wirtschaftliche Kompetenz wie Peer Steinbrück. Deshalb ist er der richtige Kanzlerkandidat für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, liebe Freundinnen und Freunde.

Lasst es mich mal ganz offen aussprechen: Gerade weil Peer Steinbrück öffentlich nicht zuallererst als Sozialpolitiker wahrgenommen wird, gerade weil ihm die Menschen zutrauen, die richtigen Entscheidungen, wirtschaftlich und finanziell, zu treffen, deshalb ist er der richtige Kandidat. Die soziale Kompetenz traut der SPD in Deutschland ohnehin jeder zu. Mit Peer Steinbrück gewinnen wir sichtbar und unüberhörbar beides: soziale und wirtschaftliche Kompetenz, und das gehört zusammen, mitten in die SPD, und da steht Peer Steinbrück für uns, liebe Genossinnen und Genossen.

Und er ist nicht nur die richtige Person für das Kanzleramt, sondern er ist auch der Richtige zur richtigen Zeit. Denn wir wissen doch, dass die wirtschaftliche Lage schwieriger wird. Die Krise der Währungsunion in Europa hat längst die deutsche Grenze überschritten. Es war Wahnsinn, dass Angela Merkel 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zeitgleich ein ausschließliches Sparprogramm verordnet hat. Was sollte anderes dabei herauskommen als eine massive Wirtschaftskrise, die jetzt auch Deutschland erreicht.

Und das Schlimmste: In weiten Teilen Europas liegt die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen bei 30, 40, 50 Prozent. Wenn es einen Grund gibt, in Deutschland und vor allen Dingen in Europa einen Richtungswechsel vorzunehmen, dann ist es diese unfassbar große Jugendarbeitslosigkeit. Die müssen wir wieder wegkriegen, wenn wir das Europa der Zukunft bauen wollen, liebe Genossinnen und Genossen.

Deutschland ist bis zum heutigen Tag der große wirtschaftliche und sowieso der große politische Gewinner der europäischen Einigung. Lasst euch und lassen wir uns nicht einreden, wir seien das Sozialamt Europas. Wir sind auch nicht die Nettozahler, sondern die Nettogewinner. Denn unsere Arbeitsplätze hängen davon ab, dass es unseren Nachbarn so gut geht, dass sie sich unsere Autos, unsere Elektrotechnik, unsere Chemie, unseren Stahl, unsere Dienstleistungen leisten können, denn wir wollen kein Billiglohnland sein. Und wer will, dass das so bleibt, wer will, dass die Frauen und Männer hier in Niedersachsen bei Volkswagen, bei Hoppe im Sauerland, bei Carl Zeiss Jena und bei Bosch ihre Arbeitsplätze behalten, der muss in Europa investieren, und genau das werden wir tun. Wir werden wieder in die Zukunft Europas investieren, liebe Genossinnen und Genossen, und nicht einfach zusehen, wie der Kontinent vor die Hunde geht.

Heute lesen wir jeden Tag, dass die Schulden steigen. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Wirtschaft sinkt. In Deutschland gibt es jeden Tag neue Anträge für Kurzarbeit. Jeden Monat wird das deutsche Wirtschaftswachstum nach unten korrigiert. Und was macht diese Bundesregierung? Was macht die Kanzlerin Angela Merkel? Nichts, sondern sie beschließt einen Bundeshaushalt, der keinen einzigen Cent für schwierigere Zeiten beinhaltet. Stattdessen wurden beim letzten Koalitionsgipfel munter Milliarden verteilt, damit die Koalitionspartner schön brav sind und sich nicht gegenseitig an die Gurgel gehen.

Das war kein Koalitionsgipfel, sondern da wurden Geschenke verteilt, damit die Kinder am Kabinettstisch sich nicht ständig bis zur Bundestagswahl zanken. Das war kein Koalitionsgipfel, liebe Genossinnen und Genossen - das war Muttis letzter Kindergeburtstag, den wir da erlebt haben, wo Geschenke verteilt worden sind.

Aber Vati Schäuble war nicht dabei beim Kindergeburtstag, und deswegen hat er am nächsten Tag auch gleich geschrieben: "Tut mir leid, für die Geschenke ist gar kein Geld da." Das ist das Gegenteil von vorsorgender Politik. Frank Steinmeier sagt zu Recht, die kennen kein Morgen, und deswegen müssen sie weg aus der Regierung, weil sie unverantwortlich mit unserem Land umgehen.

So treibt es diese Koalition seit fast vier Jahren. In einer Zeit großen wirtschaftlichen Wachstums, in einer Zeit niedrigster Zinsen, in einer Zeit sinkender Arbeitslosigkeit wurden weder Schulden abgebaut in Deutschland noch Vorsorge für schwierigere Zeiten getroffen, sondern Angela Merkel hat durch unsinnige Steuersenkungen, Lobbypolitik und Koalitionsgeschenke sage und schreibe in vier Jahren 100 Milliarden Euro neue Schulden gemacht, und kein einziger Cent oder Euro dabei ist für den Euro oder für Europa vorgesehen. 100 Milliarden Euro neue Schulden in vier Jahren, während die Kanzlerin dem Rest Europas Enthaltsamkeit predigt. Wirtschaftskompetenz, liebe Genossinnen und Genossen, sieht wahrlich anders aus.

Statt das Wirtschaftswachstum in Europa zu ruinieren, sind Impulse für Wachstum und Arbeit nötig. Und natürlich wissen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, dass man dafür keine neuen Schulden machen kann. Das muss man übrigens auch nicht, wenn man endlich dafür arbeitet, dass die, die Schuld sind an den Schulden, die, die sich verspekuliert haben in Banken und Finanzmärkten, endlich mit zur Verantwortung gezogen werden. Das ist der Grund, warum wir die Besteuerung der Finanzmärkte brauchen, liebe Genossinnen und Genossen. Dort liegt das Geld, um in Wachstum und Arbeit zu investieren.

Soziale und wirtschaftliche Kompetenz gehören zusammen, und dazu braucht man Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Wir brauchen die Selbstständigen, die Handwerksmeister, die verantwortungsbewussten Manager, das liberale Bürgertum, die Techniker, die Ingenieure. Sie alle leisten viel für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes, und die Allermeisten wissen: Am Ende geht es nur miteinander. Und sie sind, liebe Genossinnen und Genossen, wichtige Bündnispartner für uns - auch, wenn es um die Regulierung der Finanzmärkte geht.

Wir werden dafür sorgen, dass Banken wieder für den Mittelstand da sind und nicht umgekehrt. Und auf noch etwas kann sich die deutsche Wirtschaft bei uns verlassen: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - das hat Stephan Weil völlig zu Recht gesagt - werden die Regierungsanarchie bei der Energiewende beenden und dafür sorgen, dass die Energiewende zum Erfolg kommt, aber Strom auch bezahlbar bleibt in Deutschland, für die Menschen und für die Wirtschaft.

Liebe Freundinnen und Freunde, am Ende geht es nur gemeinsam voran. Diejenigen, denen es gut ging - das wussten schon unsere Eltern und Großeltern -, haben immer mitgeholfen, dass es auch für die anderen, denen es nicht so ging, die es schwer hatten, die sich aber anstrengten, Schritt für Schritt besser wurde. Alle wussten: Nur, wenn alle vorankommen und niemand zurückgelassen wird, nur dann wird unsere Gesellschaft auf Dauer Erfolg haben. Dieses Miteinander und dieser Gemeinsinn, das ist das, was in Deutschland dann soziale Marktwirtschaft genannt wurde. Und heute erleben wir das genaue Gegenteil.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten kennen aus unserer Arbeit den Lebensalltag und die Wirklichkeit in Deutschland gut. 15.000 Menschen haben uns in den letzten Wochen beim Bürgerdialog geschrieben, und in fast allen dieser Zuschriften ging es um ein Thema, das den Menschen unter den Nägeln brennt - egal, ob sie jung oder alt, Frauen oder Männer, Arbeitnehmer oder Arbeitgeber sind -, und das ist die ungleiche Verteilung von Bildungschancen. Das empfinden die Menschen zu Recht als einen der größten Skandale, und sie haben Recht, liebe Genossinnen und Genossen. Deshalb müssen wir uns darum kümmern, dass es endlich besser wird.

Hier in Niedersachsen, Stephan, fangen wir an; denn hier ist vor ein paar Wochen etwas vorgestellt worden, was nichts anderes zeigt, wie katastrophal CDU und FDP hier Bildungspolitik betrieben haben.

Vor wenigen Wochen hat die Bertelsmann-Stiftung festgestellt: Nirgendwo in Deutschland ist der Aufstieg für Schülerinnen und Schüler so schwer wie in Niedersachsen, und nirgendwo geht der Abstieg so schnell und fallen so viele Schülerinnen und Schüler durch das Bildungssystem. Kein Wunder, dass das Thema das wichtigste ist in Niedersachsen. Und wenn es dann jemand trotz der Bildungspolitik zum Abitur geschafft hat, dann lebt er, Stephan hat es gesagt, in einem der letzten beiden Länder, wo man für das Studium Schulden machen muss.

Wir werden in Niedersachsen am 20. Januar zeigen, dass man es besser machen kann. Weil wir wissen, dass das Geld kostet und dass das kein Land - auch Niedersachsen nicht - alleine kann, wollen wir das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Schulpolitik wieder aufheben.

Und wir wollen mehr Geld in das deutsche Bildungssystem geben, liebe Genossinnen und Genossen. 20 Milliarden Euro geben wir in Deutschland weniger für Bildung aus als die anderen Industrienationen im Durchschnitt. Wir sind ein wirtschaftlicher Riese und zugleich in der Bildungspolitik nicht einmal Mittelmaß.

Deswegen werden wir niemandem Steuersenkungen versprechen, aber einigen - das sagen wir offen - Steuererhöhungen. Ich sage euch: Die allermeisten von denen, die davon betroffen sind, denen es besser und sehr gut geht, haben nicht einmal etwas dagegen, dass wir mehr Steuern von ihnen fordern, wenn wir sicherstellen, dass das Geld auch wirklich ins Bildungssystem geht. Und das werden wir einhalten, liebe Genossinnen und Genossen. Das werden wir einhalten!

Unsere Botschaft für das Jahr 2013 und für unsere Regierungszeit ist klar: Wir wollen in unserer Gesellschaft das Bündnis erneuern, das Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich, stark und sozial sicher gemacht hat. Das ist das Bündnis zwischen denjenigen, denen es gut geht, und denjenigen, denen es nicht so gut geht, obwohl sie sich anstrengen. Deshalb hat der Parteitag das Motto "Miteinander. Für unser Land."

Dass dieser politische Wechsel nötig ist, das haben die letzten dreieinhalb Jahre wirklich eindrucksvoll bewiesen: kein Tag, an dem die amtierende Bundesregierung und die sie tragende Chaos-Koalition nicht irgendeinen Streit vom Zaun gebrochen, irgendeinen Unsinn beschlossen und Fehlentscheidungen getroffen, Lobbyisteninteressen bedient, die Öffentlichkeit getäuscht und sich mit falschen Federn geschmückt haben. Aber eines hat dieses Land nicht gehabt: eine Regierung, die das Land anständig regiert.

Unser Land hat einen Wirtschaftsminister namens Rösler, der weder etwas von Wirtschaft versteht noch von den Unternehmern ernst genommen wird, eine Frauenministerin namens Schröder, die Politik gegen Frauen und Familien macht und sich jüngst mit einem aberwitzigen Vorschlag für Putzhilfe-Gutscheine hervorgetan hat und einen Entwicklungsminister mit Namen Niebel, den es gar nicht geben dürfte, weil er vorher beantragt hatte, das Ministerium, dem er jetzt vorsitzt, abzuschaffen. Und nicht zu vergessen: Da ist eine Arbeits- und Sozialministerin namens von der Leyen, die wirklich alles klein kriegt: Mini-Bildungspakete, Mini-Rentenaufschläge, Mini-Löhne. Dafür hat sie Gott sei Dank selbst bei der CDU in der letzten Woche ein Mini-Ergebnis bei den Vorstandswahlen eingefahren.

Übrigens: An noch etwas darf man in der Bilanz dieser angeblich "erfolgreichsten Regierung" seit der Wiedervereinigung erinnern: Immerhin zwei Bundespräsidenten haben CDU/CSU und FDP in nur vier Jahren verschlissen. Das gab es bisher nicht in unserer Republik. Sie gingen aus dem Amt, weil sie entweder mit Angela Merkel nicht klar kamen oder weil sie einfach kein Format für dieses so wichtige Amt hatten.

Alle wurden berufen - ob Minister oder formatloser Präsident - von einer Kanzlerin, der ihre eigene Partei- und Machtpolitik immer wichtiger war als Moral, Ehrlichkeit, Anstand und Ehre. Die politische Verantwortung für diese Geister-Regierung, die unser Land seit nunmehr mehr als drei Jahren in einem unvorstellbaren Maß unter Niveau verwaltet, trägt einen Namen, und der lautet Angela Merkel. Aus dieser Verantwortung werden wir sie bis zur Bundestagswahl nicht entlassen, liebe Genossinnen und Genossen.

Wir brauchen nicht nur eine neue Bundesregierung und eine neue Regierungskoalition, Deutschland braucht vor allem einen anderen Regierungschef, einen, der wirklich regieren will, und nicht eine Kanzlerin, die nur an der Macht bleiben möchte, ohne den Menschen zu sagen, warum sie überhaupt regiert und wohin sie das Land steuern will.

Unser Land braucht einen Regierungschef, der bereit und in der Lage ist, zu regieren und zu gestalten, einen, der es will und auch kann, und der hat einen Namen: Er heißt Peer Steinbrück, liebe Genossinnen und Genossen!

Mit ihm gemeinsam wollen wir Deutschland eine andere Richtung geben, eine Richtung für mehr Gleichheit, für mehr Gerechtigkeit, für mehr Gemeinwohl, und wir wollen gemeinsam mit ihm einen neuen Aufbruch wagen. Wir wollen in Deutschland wieder für ein neues soziales Gleichgewicht sorgen, und wir wollen nicht zusehen, dass unser Land mehr und mehr in eine neofeudale Klassengesellschaft abgleitet, in der Herkunft und Beziehungen wichtiger sind als die Leistungen von Menschen.

Die Bundestagswahl im nächsten Jahr entscheidet nicht nur darüber, ob Frau Merkel noch Bundeskanzlerin sein wird oder nicht. Sie entscheidet nicht nur über Machterhalt oder Machtgewinn von Parteien oder Koalitionen. Es geht um viel mehr für Deutschland und für Europa! Die Bundestagswahl im kommenden Jahr ist eine Wahl über den Weg Deutschlands in Europa.

Nichts macht den Richtungsunterschied zwischen CDU/CSU und FDP und uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten so deutlich, wie Angela Merkels Satz mit Blick auf Deutschland und Europa, wir müssten endlich eine "marktkonforme Demokratie" werden. Eine "marktkonforme Demokratie"! Nein, liebe Genossinnen und Genossen, wir wollen das genaue Gegenteil: Wir wollen endlich wieder demokratiekonforme Märkte in unserem Land und in Europa. Dafür streiten wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

Nicht nur die Person und die Regierung sind falsch, sondern vor allen Dingen auch die Richtung. Wir wollen den Kurs ändern. Den Kurs dafür haben wir gemeinsam mit Peer Steinbrück abgesteckt: Arbeit, die sich wieder lohnen muss, Bildung, die wieder der Schlüssel für unsere Zukunft sein muss, soziale Gerechtigkeit als Grundbedingung für unser Gemeinwesen, eine Alterssicherung als Kernversprechen für einen Wohlstand auch in der dritten Lebensphase, und eine Demokratie, die nicht zum Spielball von Finanzmärkten werden darf. Für alle diese Ziele stehen die SPD und Peer Steinbrück.

Lasst mich am Schluss noch ein paar persönliche Worte an Peer richten. Lieber Peer, ich weiß, dass du wie viele andere auch wegen Willy Brandt den Weg zur SPD gefunden hast. Die SPD war für dich immer auch eine breite gesellschaftliche Bewegung für Frieden, für Entspannung, für Freiheit, für soziale Demokratie und für Gleichberechtigung und Fortschritt.

Ich, liebe Genossinnen und Genossen, kenne viele, die ebenso wie Peer Steinbrück nicht aus der klassischen Arbeitnehmerschaft den Weg zu uns gefunden haben und doch aus den gleichen Gründen gekommen sind wie er. Sie haben die SPD politisch bereichert und stärker gemacht.

Es war immer dieses aufgeklärte Bürgertum, das wusste, dass Herkunft kein Privileg ist und dass die Politik die Aufgabe hat, die Bedingungen für ein gelingendes Leben für alle zu schaffen. Aufstieg durch Bildung und Arbeit: Das war und ist das Kernversprechen der Sozialdemokratie. Das ist das Fundament jeder modernen und solidarischen Gesellschaft. Und ich weiß, Peer: Das ist auch dein Kernversprechen. Aufstieg durch Bildung und Arbeit. Und ich weiß: Du wirst das mit all deiner Kraft und all deiner Leidenschaft durchsetzen in Deutschland. Das ist der Grund, warum du, Peer, Kanzler der Republik werden musst. Das ist der Grund, warum wir alle dich brauchen.

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns deshalb in den nächsten neun Monaten Seit? an Seit? für eine bessere und für eine andere Politik kämpfen. Und lasst uns das miteinander tun: aufgeschlossen gegenüber den Menschen unseres Landes, geschlossen und zusammen mit Peer Steinbrück, für unser Land mit einem Kanzler Peer Steinbrück an der Spitze und für das Gemeinwohl und das Miteinander, das zurückkehren muss in unser Land und nach Europa.

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 457/12 vom 9. Dezember 2012
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
Bürgerbüro, Willy-Brandt-Haus
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2012