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INNEN/2772: Zehn Entscheidungen, die jetzt nötig sind


SPD-Pressemitteilung vom 21. September 2015

SPD: Zehn Entscheidungen, die jetzt nötig sind


Die aktuellen Flüchtlingszahlen sind eine enorme, eine historische Herausforderung für Deutschland. Deutschland will ein sicherer Hafen sein für Menschen, die vor dem brutalen Bürgerkrieg in Syrien und Nordirak unter lebensbedrohlichen Bedingungen zu uns geflohen sind. Wer um Sicherheit und Leben fürchten muss, soll Schutz erhalten. Zugleich kann Deutschland diese Aufgabe nicht alleine schultern. Europa muss mithelfen.

Und wir dürfen unsere eigene Bevölkerung dabei nicht aus dem Auge verlieren. Die SPD ist die Partei, die beides schaffen muss: Flüchtlinge, die auf Dauer bei uns bleiben können, schnell zu integrieren. Und gleichzeitig unser Land zusammenzuhalten und niemanden, der hier lebt, zu vergessen.

Wir wollen diese Aufgabe gemeinsam anpacken. Mit Zuversicht und Realismus. Zuversicht, weil Deutschland ein starkes und mitfühlendes Land ist. Darauf können wir vertrauen. Realismus, weil die Herausforderung groß ist. Die Integration von hunderttausenden neuen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes ist eine Aufgabe, bei der alle mithelfen müssen. Der Staat, die Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Zivilgesellschaft. Wir brauchen auch die Erfahrung und den Rat der Menschen, deren Familien früher einmal nach Deutschland eingewandert sind. Migrantinnen und Migranten, die unser Land kennen, können eine große Brücke bauen, nicht nur in vielen Fällen als "Sprachdolmetscher", sondern auch als "Kulturdolmetscher", die unsere Gesellschaft und unsere Grundwerte vermitteln helfen. Denn wir brauchen auch eine offensive Liberalität denjenigen gegenüber, die jetzt zu uns kommen. Unsere Leitkultur sind die ersten 20 Artikel unserer Verfassung. Ihre Kenntnis und innere Akzeptanz müssen wir fördern, aber auch einfordern.

Dafür müssen wir jetzt mutige, weitreichende, aber auch unbequeme Entscheidungen treffen. Jetzt ist nicht die Zeit zum Zögern und Zaudern, sondern zum kraftvollen Anpacken. Die Anteilnahme im ganzen Land und der unermüdliche Einsatz der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sowie der Einsatzkräfte gereichen unserem Land zur Ehre.

Die Politik muss entschlossen handeln und den Weg ebnen für eine solidarische und realistische Bewältigung dieser enormen Aufgabe. Wir müssen die Fluchtursachen eindämmen; diejenigen schützen, die akut bedroht werden; diejenigen in unsere Gesellschaft aufnehmen, die auf absehbare Zeit nicht mehr in ihre Heimat zurück können; aber auch dort konsequent handeln, wo keine Schutzbedürftigkeit besteht. Wir müssen heute handeln, damit aus der Herausforderung heute nicht die Integrationskrise von morgen wird.

Vor allem brauchen wir aber dazu jetzt eine klare Konzentration auf die Maßnahmen, die entscheidend für das langfristige Gelingen einer humanen Flüchtlingspolitik sind. Dazu gehört für uns:

1. Finanzhilfe des Bundes ist ein Gebot der Stunde

Die Finanzhilfe des Bundes muss der tatsächlichen Zahl der Flüchtlinge entsprechen. Die Kosten für die Flüchtlinge dürfen daher nicht abstrakt und einmalig festgelegt werden, sondern müssen dynamisch an die tatsächlichen Erfordernisse angepasst werden. Länder und Kommunen brauchen eine dauerhafte und strukturelle Entlastung, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden und den sozialen Frieden in unserem Land erhalten zu können.

Deshalb ist es sinnvoll, eine Pauschale für die Versorgung der Flüchtlinge einzuführen. Länder und Kommunen erhalten damit einen Betrag pro Flüchtling, der die erforderliche Aufwendung deckt. Die gegenwärtig diskutierte Summe von drei Milliarden Euro zur Entlastung der Länder und Kommunen für nächstes Jahr wird angesichts der aktuellen Flüchtlingszahlen sicher nicht ausreichen. Die anfallenden Kosten für die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge sollten über eine Gesundheitskarte abgerechnet und vom Bund im Rahmen der Pauschale getragen werden, um die Kommunen finanziell und organisatorisch zu entlasten.

2. Flüchtlingsunterkünfte sicherstellen

Der Bund hat sich bereits verpflichtet, für die Erstunterbringung und Versorgung von 40.000 Flüchtlingen zu sorgen. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber bei weitem nicht aus. In vier bis fünf dezentralen Aufnahmeeinrichtungen müssen deutlich mehr Flüchtlinge in den ersten Monaten auf Kosten des Bundes untergebracht und versorgt werden. Erst wenn über ihren Status entschieden worden ist, werden sie auf die Städte und Gemeinden verteilt. Bundesliegenschaften werden den Kommunen mietfrei zur Verfügung gestellt. Zur Sanierung alter Kasernen oder anderer Gebäude setzt der Bund Bauauflagen aus.

3. Integration durch gute Bildung

Wir brauchen massive Investitionen in Bildung, Ausbildung und Sprachkurse. Und zwar für alle - für jene, die schon lange bei uns leben genauso wie für die, die jetzt erst zu uns kommen und noch lange oder für immer bleiben werden. Mehr Lehrerinnen und Lehrer und mehr Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter kommen allen Kindern zu Gute! Damit Bund und Länder gemeinsam handeln können, wollen wir das hinderliche Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern abschaffen. Wir brauchen auch ein Programm, um den Bau und die Sanierung von Einrichtungen voranzutreiben und Schulen spürbar besser auszustatten. Hier sind Bund und Länder gleichermaßen gefragt. Und für die Kleinsten müssen wir den KiTa-Ausbau noch schneller vorantreiben als bisher. Dabei geht es uns nicht nur mehr KiTa-Plätze. Wir wollen auch die Qualität unserer Kindergärten und Krippen verbessern mit den freigewordenen Mittel des Betreuungsgeldes.

4. Integration auf dem Arbeitsmarkt

Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, wollen arbeiten und sich einbringen. Deshalb muss die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitsvermittlung für Flüchtlinge mit ihren speziellen Bedürfnissen deutlich verbessern. Künftig soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) flächendeckend und einheitlich den Bildungs- und Ausbildungsstatus der Flüchtlinge erfassen. Und wir brauchen ein Bündnis mit den Kammern und Arbeitgebern für Ausbildung und Ausbildungsvorbereitung.

5. Mehr sozialer Wohnungsbau für alle

Wenn immer mehr Menschen zu uns kommen, wird bezahlbarer Wohnraum noch knapper. Deshalb braucht es ein ambitioniertes Wohnungsbauprogramm, mit dem wir in den nächsten Jahren 350.000 neue Wohnungen errichten. Die Wohnungen kommen nicht nur Flüchtlingen zugute, sondern allen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind. Wir wollen auch steuerliche Anreize schaffen, damit die privaten Investitionen in den Wohnungsbau deutlich anziehen.

6. Wir stehen an der Seite der Freiwilligen

Die Bilder der vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer haben weit über die Grenzen unseres Landes hinaus die Menschen tief beeindruckt. Sie sind die Botschafter eines weltoffenen und toleranten Deutschlands. Wir wollen daher in noch größerem Rahmen Projekte und die Weiterbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Wohlfahrtsverbänden fördern. Und wir wollen das Programm "Hilfen für Helfer" ausweiten, das finanzielle und strukturelle Förderung des bürgerschaftlichen Engagements vorsieht. Die bereits 10.000 zusätzlichen Stellen des Bundesfreiwilligendienstes helfen jungen Leuten, sich insbesondere in der Flüchtlingsbetreuung engagieren zu können.

7. Legale Wege der Zuwanderung verbessern!

Viele Antragsteller, insbesondere jene vom Westbalkan, suchen in Deutschland eigentlich nicht Asyl, sondern Arbeit. Es ist kein Verbrechen, für sich und seine Familie ein besseres Leben anzustreben. Aber das Asylverfahren ist der falsche Weg, der oft wirtschaftlich perspektivlosen Situation in den Herkunftsländern zu entkommen. Wir wollen eine Alternative zum Asylrecht anbieten, um auch das Asylsystem zu entlasten: Arbeitsvisa für Bürgerinnen und Bürger des Westbalkan. Wer vor seiner Einreise einen Arbeitsvertrag vorweisen kann, der nach Mindestlohn oder Tarif entgolten wird, soll künftig ein Arbeitsvisum für Deutschland bekommen können. Mittelfristig müssen wir ein Einwanderungsgesetz schaffen, das eine moderne, unkomplizierte und transparente Arbeitsmigration nach Deutschland möglich macht und Zuwanderung noch stärker mit Integration verbindet.

8. Asylverfahren beschleunigen. Regeln konsequent
durchsetzen!

Wer vor Krieg, Gewalt oder Verfolgung flüchtet, erhält bei uns Schutz und Zuflucht. Der Bund sorgt durch ausreichendes Personal für eine beschleunigte Entscheidung der Asylanträge bzw. Klärung des Aufenthaltsstatus. Zum Abbau des Verfahrensstaus stellt das BAMF befristet Entscheider ein, die über eine verkürzte Einarbeitung schnell in die qualifizierte Unterstützung gebracht werden können. Wer keinen Asylgrund darlegen kann und dessen Antrag abgelehnt wird, muss Deutschland wieder verlassen, damit die Hilfe auf die wirklich Schutzbedürftigen konzentriert werden kann. Bund und Länder müssen dabei noch enger zusammenarbeiten, um Abschiebungen durchzusetzen. Die Polizeibehörden müssen personell besser ausgestattet werden. Wer nach Abschluss des Verfahrens und nach Ausschöpfung von Rechtsmitteln einen vollziehbaren Abschiebebescheid hat, soll nur noch Leistungen auf dem Niveau des unabweisbaren Existenzminimums erhalten. Wir wollen klar machen: In diesen Fällen muss die Ausreise rasch erfolgen. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten wird um die übrigen Westbalkanstaaten ergänzt. Dies erleichtert und beschleunigt die Rückführung der Betroffenen nach einem gescheiterten Asylverfahren.

9. Europa muss als Gemeinschaft handeln

Alle EU-Staaten müssen sich wieder an europäisches Recht halten. Ohne spürbare Solidarität nimmt die europäische Idee schweren Schaden. Durch einen fairen und transparenten Verteilungsschlüssel müssen Flüchtlinge künftig tatsächlich auf alle 28 Mitgliedstaaten verteilt werden. Die Europäische Union hält es langfristig nicht aus, wenn drei Mitgliedstaaten die Hauptlast tragen.

Voraussetzung für die Verteilung sind an den EU-Außengrenzen Aufnahmeeinrichtungen, sogenannte "Hotspots". Die Europäische Union muss die betroffenen Länder massiv dabei unterstützen, leistungsfähige Einrichtungen aufzubauen in den Staaten, in denen die meisten Flüchtlinge in die EU gelangen.

Die finanzielle Belastung durch die Aufnahme von Flüchtlingen sollte als Bedarf für die Zuweisung von Strukturfondsmitteln anerkannt werden. Damit geben wir ein Signal, dass die Europäische Union die Übernahme von Verantwortung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise honoriert. Insbesondere die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen werden dadurch unterstützt, die nötigen Strukturen aufzubauen.

10. Allianz gegen Fluchtursachen

Langfristig müssen wir uns daran machen, die Ursachen für die Flucht der Menschen zu bekämpfen, denn niemand verlässt gerne seine Heimat. Deutschland und Europa sollten eine Geberkonferenz für Hauptaufnahmeländer in der Region initiieren. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen und Jordanien, der Libanon und die Türkei brauchen dringend mehr Geld für die Versorgung der Flüchtlinge in der Region.

Wir wollen, dass die Europäische Union seine Unterstützung für die Flüchtlingshilfe der UN um mindestens 1,5 Mrd. Euro aufstockt. Und wir erwarten, dass die USA, die Golfstaaten und andere entwickelte Industrieländer ebenfalls einen weiteren Beitrag von jeweils mindestens 1,5 Mrd. Euro erbringen. Wenn wir die Lage vor Ort spürbar verbessern können, senken wir die Anreize, sich auf den gefährlichen Weg nach Europa zu machen.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 191/15 vom 21. September 2015
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
Bürgerbüro, Willy-Brandt-Haus
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Tel.: 030/25 991-300, Fax: 030/25 991-507
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2015

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