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AFRIKA/1076: Landbesetzungen in Südafrika (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, September/Oktober 2011

Mit der Geduld am Ende
Landbesetzungen in Südafrika

von Ronald Wesso


Die Landreform in Südafrika hat den Großteil der Kleinbauern und Landlosen nicht erreicht. Doch die Leute wollen und können nicht mehr warten. Sie besetzen brachliegendes Land und verteidigen es gegen Polizei und Armee. Wenn Gesetz und Ordnung ihnen selbst ein bescheidenes Leben verwehren, dann ist damit etwas nicht in Ordnung. Auch die Verfassung ist für viele der Landsuchenden nicht mehr tabu.


Die Neubauern im Verwaltungsbezirk Kareeberg in der Provinz Nordkap sind wütend. Sie haben beschlossen, keine Pacht mehr an die Verwaltung zu zahlen, der das Land gehört, auf dem sie wirtschaften. All diese Bauern und ihre Vorfahren wurden durch koloniale Eroberungen, Reservatspolitik und Apartheid ihres Landes beraubt. Der Schutz, der das neue Südafrika kapitalistischem Eigentum gewährt, und die neoliberale Politik der Regierung verwehren ihnen immer noch eigenes Land.

"Unsere Mitglieder können nicht mehr zurückgehalten werden", sagt Basil "Die Hond" Eksteen vom Verband der Neubauern in Kareeberg. "Sie sind einfach zu wütend. Wir haben geredet, Briefe geschrieben, sind marschiert - jetzt sind wir soweit, uns das Land zu nehmen. Die Verwaltung gibt uns keinerlei Hilfen, und jetzt will sie noch diese unmöglichen Pachtzahlungen. Dabei weiß sie genau, dass wir nicht zahlen können. Sie wollen uns loswerden und das Land kommerziellen Farmern geben. Wir stehen mit einer Gruppe im Kimberley-Distrikt in Verbindung, die dort eine Farm eines der reichsten Landeigner besetzt haben, ein Mann, der fünfzehn Farmen besitzt, während die Leute mit nichts dastehen. Weder die Polizei noch die Armee hat sie bisher vertreiben können. Wenn die das können, können wir das auch!"


Polizei und Armee machtlos

Seit 1996 verfolgt die südafrikanische Regierung einen strikt neoliberalen Kurs; "nicht-profitable" Ausgaben wie Sozialleistungen werden gekürzt. Das liegt in erster Linie daran, dass die Transfers der Staatskasse an die Lokalverwaltungen in den letzten zehn Jahren um 90 Prozent zurückgefahren wurden. Gleichzeitig aber wurde die Verantwortung für Sozialleistungen wie Wohnen, Wasser, Strom und Polizei auf die Lokalverwaltungen abgewälzt. Das bringt der Staatskasse eine ausgeglichene Bilanz oder gar einen Überschuss, aber die Verwaltungen müssen immer mehr Dienste für immer mehr mittellose Bürgerinnen und Bürger leisten. Damit stecken sie in der Falle: schlechte Dienstleistungen, miserable Kostendeckung und Proteste ihrer Gemeinden. Was nun Verwaltungsland betrifft, stehen die Behörden unter dem Druck, höchstmögliche Pachtgebühren zu erheben. Die Neubauern können solche Summen jedoch nicht aufbringen und bleiben somit praktisch landlos. Die gesamte Landreform ist fehlgeschlagen. Lediglich fünf Prozent des Agrarlandes sind von weißem in schwarzen Besitz übergegangen.

Patrick Steenkamp von der Emerging Farmer Association von Loerisfontein erzählt, dass sie genau das getan hätten, was die Kollegen von Kareeberg jetzt planen. "Wir hatten von der Verwaltung die Nase voll. Sie kassierten die Pacht und rührten sonst keinen Finger. Es gab keinerlei Dienstleistungen. So haben wir entschieden, die Entwicklung unseres Landes selbst in die Hand zu nehmen. Wir haben die Zäune errichtet und Wind räder gebaut. Die Pacht aber haben wir verweigert. Das geht nun schon zwei Jahre so. Die Landreform hat uns im Stich gelassen, die Verwaltung hat uns im Stich gelassen. Wir werden uns nun auf uns selbst verlassen. Wir halten das Land besetzt. Wir lassen uns nicht vertreiben. Niemals!"

Die Neubauern von Kareeberg und Loerisfontein engagieren sich in der Food Sovereignity Campaign. Das ist ein Netzwerk aus Kleinbauern und Farmarbeitern. Sie sind in den Provinzen Nord- uns Westkap aktiv. Rosina Secondt, Organisatorin der Kampagne, ist Neubäuerin in Pella an den Ufern des Oranje. Sie lenkt den Blick auf den Fall der Ithemba-Bauern in [erste River im Westkap. "Bei unseren Treffen berichteten die Delegierten des Bauernverbandes von Ithemba, dass sich in den letzten zwei Monaten nichts verändert habe; sie wirtschaften weiter auf ihrem Land. Ich nenne das einen Sieg für die Food Sovereignity Campaign. Die Leute dort hatten keine Arbeit und kein Einkommen. Da besetzten sie das Land. Die Verwaltung, drei Ministerien, jede Menge Rechtsanwälte, die Polizei und eine Bergbaugesellschaft versuchten die Ithemba-Bauern zu verjagen. Ohne Erfolg, und sie werden es auch nicht schaffen. Warum? Weil diese Bauern und Bäuerinnen sich mobilisiert haben, weil die Kampagne selbst aus dem 700 Kilometer entfernten Pella im Nordkap Unterstützer mobilisieren konnte. Wir haben sie physisch gestoppt, die versuchten, die Bauern zu vertreiben. Heute haben die Bauern ein Auskommen auf dem Land, während sie sonst nichts gehabt hätten. Das ist ein Sieg!"


"Nicht verfassungskonform, aber unser legitimes Recht"

Das politische System in Südafrika und die Regierungseliten lehnen diese Landbesetzungen entschieden ab. Die Verfassung garantiert das Eigentum. Die Landreform beruht auf dem Prinzip willing buyer, willing seller. Es steht im Belieben des Eigentümers, ob er verkaufen will und zu welchem Preis.

Und das sind Preise jenseits der Vorstellungskraft schwarzer Landhungriger, nicht selten übersteigen sie selbst die Möglichkeiten des Staates. In Südafrika gibt es anders als in Brasilien keine rechtliche Duldung, die es Landlosen gestattet, Brachland von abwesenden Eigentümern für den Anbau zu nutzen. In Südafrika gehen einige Lokalverwaltungen mittlerweile soweit, eigene Polizeieinheiten gegen Landbesetzer aufzubauen. Und die haben sich rasch zu brutalen Einsatzkommandos entwickelt. All dem zum Trotz hält die Food Sovereignity Campaign daran fest, dass die landhungrigen Armen keine andere Wahl haben, als Landbesetzungen als Überlebensstrategie einzusetzen.

"Wir betrachten Landbesetzungen als unser legitimes Recht", sagt Ricardo Jacobs von der Kampagnenleitung. "Wir wissen, dass unsere Aktionen nicht verfassungskonform sind. Für uns ist das jedoch die Folge einer fehlerhaften Verfassung. Diese neoliberale, kapitalistische Verfassung fordert gleichen Schutz für Arm und Reich. Damit werden letztlich der Reichtum für wenige und Armut für viele konsolidiert. Mit den Landbesetzungen treiben die Armen die Landreform und ihre Ernährungssicherheit voran, ohne auf den kapitalistischen Staat zu warten."

Im Mai dieses Jahres hat der Präsident der ANC-Jugendliga, Julius Malema, die entschädigungslose Enteignung von Farmen in weißem Besitz gefordert. Diese Forderung ist im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen in jenem Monat zu sehen, um die Frustration der schwarzen Bevölkerung auf die unter der Apartheid entwickelten Eigentumsstrukturen zu lenken. Die Jugendliga behauptet eine Mitgliedschaft von einigen Hunderttausend und einen Rückhalt von Millionen. Sie verfügt über Millionen Rand und einen erheblichen Organisations- und Propaganda-Apparat. Wenn sie es mit der Enteignung ernst meint, könnte sie locker Landbesetzungen organisieren, welche die der Landlosenbewegung in Brasilien in den Schatten stellen würde. Aber sie hat nicht eine einzige Besetzung organisiert. Und das überrascht nicht. Landbesetzungen stellen die Autorität des Staates und die Rechte der kapitalistischen Eigentümer über die Produktionsmittel infrage. Damit sind sie eine Bedrohung für die Grundfesten des kapitalistischen Systems. Die Jugendliga des ANC ist aber Teil dieses Systems. Kürzlich hat die Zeitung City Press die persönlichen Finanzen von Julius Malema offen gelegt und gezeigt, wie der Führer der Jugendliga Millionen aus diesem System abgezweigt hat, manche sprechen gar von Milliarden. Da wundert man sich nicht, wenn er und seine Kameraden den Mund über das System aufreißen, aber nicht das Geringste dagegen unternehmen.

Die Food Sovereignity Campaign hat nur einige Hundert Mitglieder und so gut wie kein Geld. Doch mit diesen Landbesetzungen werden Aktionen mit durchaus revolutionärem Elan angestoßen. Sie demonstrieren, dass letztlich eine Politik Not tut, die das Volk über den Staat und die kapitalistische Klasse stellt. Was wir hier sehen, ist nur der Anfang, ein kleiner obendrein. Doch es ist der Beginn einer Bewegung mit großem Potenzial.

Pambazuka, 11. August 2011


Der Autor lebt in Kapstadt. Er arbeitet beim Surplus People Project, einer Nichtregierungsorganisation, die sich bereits in der Apartheidzeit für die Belange der Landbevölkerung eingesetzt hat.


Das Surplus People Project

Die Anfänge des Surplus People Project (SPP) reichen bis in die frühen 1980er Jahre zurück. Ihr Thema waren die räumlich ausgestaltete Apartheid und die Zwangsumsiedlung, die in jenen Jahren mit der Beseitigung der black spots im rein-weißen Südafrika ihren Höhepunkt erreichte. Das SPP recherchierte diese Vorgänge penibel und dokumentierte und veröffentlichte die Ergebnisse, komprimiert in einem fünfbändigen Werk Forced Removals in South Africa von 1983.

Mit dem Ende der Apartheid 1994 haben sich die politischen Koordinaten verschoben, das Problem aber von Enteignung, Mittellosigkeit, Perspektivlosigkeit und sozialer Gerechtigkeit wurde so das SPP nicht grundsätzlich angegangen. Der politische Zwangsapparat der Apartheid war aufgelöst. Eine Durchlässigkeit über Rassengrenzen hinweg war möglich geworden. Doch die Enteigneten und Habenichtse, die das Apartheidregime hinterlassen hatte, sahen sich nunmehr so genannten objektiven Regeln ausgesetzt, die allerdings ebenfalls nicht ohne Zwang durchgesetzt werden können. Das SPP benennt dieses System als Neoliberalismus: Alle gesellschaftlichen Belange werden ökonomischen Erwägungen untergeordnet und diese folgen zwangsläufig den Interessen des Kapitals und des Profits.

Seit 1994 gibt es eine Parteienkonkurrenz, die um Zustimmung in allen Bevölkerungsgruppen wirbt. Doch diese konkurrierenden Parteien zielen auf Anteil und Übernahme der Macht Ihre Programme und Konzepte bieten kaum alternative Entwürfe, was gesellschafts- und wirtschaftspolitische Themen angeht, so das SPP. Wahlen böten insofern keine echte Wahl.

Diese Situation führt das SPP unter anderem auf die nachdrückliche Betonung von Privateigentum und liberaler Wirtschaft in der Verfassung zurück. Um sie aufzubrechen, setzt das SPP auf "direkte Aktion". Das SPP sieht seine Aufgabe zuvorderst darin, Basisgruppen und Interessengruppen der auch im neuen Südafrika Ausgegrenzten zusammenzubringen und zu vernetzen, sie zu beraten und zu unterstützen. Das SPP gibt diesen Akteuren auch publizistischen Flankenschutz, wenn sie in ihren Aktionen den rein legalen Rahmen durchbrechen und Widerstand leisten.


Die Landlosenbewegung (LPM)

Mitglied im SSP ist auch die Landless People's Movement (LPM). Sie entstand in Reaktion auf die Einführung des Growth Employment and Redistribution Programme der Regierung (GEAR). Mit dem GEAR wurde eine Sparpolitik eingeführt, die sich negativ vor allem auf die Armen und Marginalisierten auswirkte. Die Landlosenbewegung organisiert nicht nur diejenigen, die ein Auskommen in der Landwirtschaft suchen, sondern auch Obdachlose, Barackenbewohner und illegal Siedelnde. Es ist eine sehr heterogene Bewegung mit unterschiedlichen Interessen in Bezug auf den prekären Zugang zu Land, die sich erst 2001 zu vernetzen begann. Gemeinsam ist der Bewegung eine antagonistische Haltung zur Regierung. Ihre Schwäche ist eine mangelnde Organisations- und Koordinationsstruktur in Bezug auf die regionalen Interessen wie die Ansprüche auf agrarische Lebenssicherung und Wohnungssicherheit.    hmoll


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 5, September/Oktober 2011, S. 15 - 16
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2011