Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/1094: Somalia - Politikerinnen fordern umfangreiche Regierungsbeteiligung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Februar 2012

Somalia: Keine Brosamen vom Tisch der Herren - Politikerinnen fordern umfangreiche Regierungsbeteiligung

von Shafi'i Mohyaddin Abokar


Mogadischu, 15. Februar (IPS) - In Somalia haben hochrangige Politikerinnen im Vorfeld der laufenden Gespräche über die künftige Zusammensetzung des neuen Parlaments eine größere Beteiligung von Frauen an politischen Entscheidungsprozessen gefordert.

Wie die Ministerin für Frauen und Familie, Mariam Aweis Jama, und die Frauenbeauftragte im Präsidentenpalast, Malyun Sheik Heidar, in Exklusivinterviews mit IPS erklärten, müsse somalischen Frauen endlich eine Schlüsselrolle in der Regierung zugewiesen werden.

Vertreter von Regierung, regionalen Autonomiebehörden, Nichtregierungsorganisationen und der Islamistengruppe 'Ahlu Sunna Waljama'a' verhandeln vom 15. bis 16. Februar in Garowe im autonomen Teilstaat Puntland über die Zusammensetzung des neuen somalischen Parlaments im Anschluss an die im August auslaufende Übergangszeit.

Wie Jama kritisierte, ist somalischen Frauen der Zugang zu politischen Führungspositionen versperrt. Den Männern ihres Landes warf sie vor, Somalierinnen daran zu hindern, in der Politik ihres Landes eine größere Rolle zu spielen. "Soweit ich mich erinnern kann, ist das Frauenministerium in der Geschichte unseres Landes das einzige Ministerium, das von Frauen geführt wird. Doch die Zeiten haben sich geändert und wir verlangen die Gleichbehandlung bei der Vergabe künftiger Kabinettsposten."

Es sei eine Schande, dass es in den 18 Regionen des Landes nicht einen weiblichen Gouverneur gebe, meinte Heidar. Dass nur einer von 100 Distrikten von einer Frau geführt werde, sei ebenso inakzeptabel. Die Somalierin Deqo Abdulkader steht dem Wardhigley-Distrikt der Hauptstadt Mogadischu vor.


Bevölkerungsmehrheit unterrepräsentiert

"Frauen stellen 70 Prozent der Bevölkerung. Das ist der Grund, warum der Islam Männern erlaubt hat, vier Frauen zu heiraten. Es ist jedoch ein Unglück, die Bedeutung von Frauen zu ignorieren, die in jeder Gemeinschaft die Mehrheit bilden", sagte sie. Das Land brauche eine Minister- und eine Parlamentspräsidentin und müsse den Frauen auch die Möglichkeit geben, ihrem Land als Botschafterinnen zu dienen.

Jama zufolge schreibt Artikel 29 der somalischen Übergangsverfassung vor, zwölf Prozent der Sitze im Übergangsparlament mit Frauen zu besetzen. Tatsächlich sind nur sieben Prozent der 550 Abgeordneten Frauen. Und nur einer der 27 Parlamentsunterausschüsse wird von einer Frau - Hawa Abdullahi Qayad - geleitet. Die Übergangsverfassung war auf der Nationalen Versöhnungskonferenz in Kenia 2004 entworfen worden.

Nach Ablauf der Übergangszeit sollen Frauen sogar 30 Prozent aller Parlamentssitze innehaben. Dies geht auf den Beschluss einer Konferenz in Dschibuti vom 6. bis 12. Januar zurück. Der somalische Abgeordnete Sheik Jama Hajji Hussein, ein moderater Berufspolitiker, hatte die entsprechende Empfehlung unterbreitet.

"In der Zeit des Propheten Mohamed lehrten Frauen an den islamischen Schulen. Das galt auch für die Frauen des Propheten, die einige seiner Weggefährten zu unterrichten pflegten. Daraus lernen wir, dass Frauen sehr wohl eine große Rolle in der Gesellschaft spielen dürfen. Es schadet also nicht, wenn sie Ministerpräsidentinnen und Parlamentspräsidentinnen werden", meinte Hussein.

Doch die Frauenministerin Jama fordert mehr als die 30 Prozent. "Das reicht uns nicht", sagt sie. "Und ich sage Ihnen mit lauter Stimme, dass wir nach Ablauf der Übergangsfrist die Hälfte aller Parlamentssitze wollen. Es gibt tausende gebildete Frauen, von denen sich hunderte auf Politik spezialisiert haben. Ich bin also zuversichtlich, dass Somalierinnen sehr wohl die Kraft und Fähigkeit besitzen, politische Verantwortung zu übernehmen."

Heidar selbst will Regierungschefin werden. Doch zunächst strebt sie das Amt der Parlamentspräsidentin an. "Ich bin sicher, dass Somalias Frauen eines Tages Parlaments- wenn nicht gar Ministerpräsidentinnen werden."


Widerstand von religiösen und traditionellen Führern

Doch der Weg dorthin dürfte steinig sein, denn die Mehrheit der somalischen Männer kann der Beteiligung von Frauen an der Regierung wenig Positives abgewinnen. "Unsere islamische Religion lehrt uns, dass diejenigen, die von einer Frau geführt werden, scheitern", meinte Ugas Abokar Islow Hassan, ein bekannter somalischer Chief. "Nach den Lehren des Islams sollten Frauen keinen Ehrgeiz besitzen, ein Land zu regieren oder in der Politik vertreten zu sein."

Sheik Farah Yusuf Mohamed, ein Prediger und Imam der Al-Huda-Moschee in Mogadischu, ist gleicher Meinung. "Frauen sind aufgrund ihrer Denkweise unfähig, ein Land zu führen", meinte er. "Deshalb weist ihnen der Islam die Rolle zu, den Haushalt zu versorgen."

Bisher konnten Somalierinnen in den 20 politischen Parteien Land gewinnen. So schnellte der Anteil von fünf Prozent 2004 auf inzwischen mindestens elf Prozent in die Höhe. Allerdings sind die meisten Frauen mit PR- und Frauenaufgaben betraut.

"Ich setze mich dafür ein, dass Frauen in den politischen Parteien stärker vertreten sind", versicherte Ali Mohammed Nuh, Chef der Vereinigten Republikanischen Partei Somalias. Man habe bereits eine Frau zur stellvertretenden Vorsitzenden für öffentliche Angelegenheiten gemacht und zehn Prozent der Parteimitglieder seien weiblich. Der Anteil werde sich in den kommenden Jahren weiter erhöhen. (Ende/IPS/kb/2012)


Link:
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=106760

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. Februar 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2012