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AFRIKA/1118: Mali - Islamischer Staat im Norden? - Bevölkerung fürchtet Freiheitsverlust (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Juni 2012

Mali: Islamischer Staat im Norden? - Bevölkerung fürchtet Freiheitsverlust

von Soumaila T. Diarra



Bamako, 13. Juni (IPS) - Die Tuareg und die islamistischen Rebellengruppen, die seit März den Norden Malis kontrollieren, denken derzeit über Mittel und Wege nach, das Territorium gemeinsam zu verwalten. Die Bewohner der Region fürchten den Verlust ihrer Rechte und Freiheiten, sollte die Allianz einen islamischen Staat errichten.

Die Gruppierung 'Ansar Dine', ein Ableger der Al Kaida im islamischen Maghreb, und die Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad (MNLA) hatten das Machtvakuum nach dem Putsch im März für die Übernahme des nördlichen Teils des westafrikanischen Landes genutzt.

Nach Ansicht von Abdoul Maïga, Direktor des Ahmed-Baba-Zentrums für islamische Studien in Timbuktu, einer der größten Städte in Rebellenhand, unterscheiden sich die beiden Organisationen in ihren Anschauungen beträchtlich. "Die MNLA wünscht sich eine Annäherung an Europa. Ansar Dine hingegen ist der arabischen Welt zugetan", sagte er in einem Telefongespräch mit IPS. Maïga zufolge wird die Gruppierung von Ländern des Nahen Osten und insbesondere von Katar finanziert.

Bild: © William Lloyd-George/IPS

Die malischen Rebellen werden von den wenigsten Ethnien im Norden unterstützt
Bild: © William Lloyd-George/IPS

Islamisten und MNLA hatten am 26. Mai bekannt gegeben, ein Abkommen über die Zusammenlegung ihrer Streitkräfte und die Errichtung eines islamischen Staats in den Regionen um Timbuktu, Gao und Kidal geschlossen zu haben. Doch bereits fünf Tage später scherten die Tuareg aus dem Vertrag mit der Begründung aus, sie strebten einen unabhängigen weltlichen Staat an.


Widerstand gegen einen islamischen Staat

Das Scheitern des Schulterschlusses hat Maïga nicht überrascht. "Die Menschen in den nördlichen Regionen Malis werden, wenn sie denn eine Wahl haben, niemals in einem islamischen Staat leben wollen", betonte er.

Malis Hohem Islamrat zufolge ist die Bevölkerung zu 90 Prozent muslimisch. Die nördlichen Regionen und insbesondere Timbuktu spielten historisch gesehen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Islams in Westafrika. "Doch wurde der Norden Malis nie durch einen Heiligen Krieg oder Gewalt islamisiert", so Maïga.

Für etliche Einwohner der Nordregionen verdeutlicht das Scheitern des Abkommens, dass die Einführung der Scharia in der Region nicht realisierbar ist. Die für ihre Offenheit bekannten Städte leben von Touristen, die sie nicht vergraulen wollen.

"Die Menschen im Norden sind Freigeister. Freiheiten sind für sie sehr wichtig. Das ist der Grund, warum 90 Prozent der Bevölkerung diese Leute nicht an der Macht haben wollen", bestätigte Sado Diallo, der Bürgermeister von Gao.

Ansar Dine hat in Timbuktu damit begonnen, das islamische Recht anzuwenden. Dieben werden die Hände abgehackt, Raucher ausgepeitscht, wie der Bürgermeister berichtete. Er wies zudem auf einen Anstieg der Kriminalität hin. "Jeden Tag erhalte ich SMS, in denen sich die Menschen über Autodiebstähle oder andere Übergriffe durch die Milizionäre beschweren."

In Bamako, der malischen Hauptstadt, hat die Übergangsregierung mitgeteilt, dass es derzeit wichtigere Dinge gibt als die Frage, ob sich die Rebellen zusammentun. So erklärte der Regierungssprecher Hamadoun Touré gegenüber dem staatlichen Fernsehen, dass die Priorität der Behörden darin bestehe, den leidenden Menschen vor Ort zu helfen.

Die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) und die Afrikanische Union (AU) hat die Aussicht, dass sich der Norden Malis in einen gut bewaffneten islamischen Staat verwandeln könnte, in Alarmbereitschaft versetzt. Während seines jüngsten Frankreich-Besuchs erklärte der beninische Staatschef Boni Yayi, dass man die Möglichkeiten einer Intervention afrikanischer Streitkräfte unter dem Banner der UN in Erwägung ziehe.

Malis drei nördliche Nachbarn - Algerien, Niger und Mauretanien - sind ebenfalls beunruhigt. Nach der unilateralen Erklärung der Unabhängigkeit von Azawad am 6. April trafen sich Vertreter der drei Staaten, die 2010 ein gemeinsames Komitee zur Bekämpfung des Terrorismus und Drogenhandels gegründet hatten, in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott, um ECOWAS-Initiativen für Mali zu unterstützen.


Bereit zu kämpfen

Die Malier im Norden hoffen auf Hilfe aus dem Ausland, verlieren aber allmählich die Geduld. Nach Angaben von Seydou Cissé, einem Mitglied der Peul-Miliz 'Ganda Iso' ist die Bevölkerung in der Gao-Region bereit, zu den Waffen zu greifen.

"Alles, was wir von der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen die Islamisten wollen, die sich nach dem Fall des libyschen Machthabers Muhammad al-Gaddafi High-Tech-Waffen beschafft haben, sind Luftangriffe zur Unterstützung der nationalen Armee", sagte er. "Den Rest machen wir selbst, um unser Land zu befreien." (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2012