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AFRIKA/1261: Mali - Fragiler Frieden, Vernachlässigung des Nordens gefährdet nationale Sicherheit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Januar 2014

Mali: Fragiler Frieden - Vernachlässigung des Nordens gefährdet nationale Sicherheit

von Bryant Harris


Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Kirchen in Diabaly im Zentrum von Mali waren während der islamistischen Besatzung geplündert und zerstört worden
Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Washington, 23. Januar (IPS) - Gut ein Jahr nach dem Ende des malischen Bürgerkriegs warnen Experten vor einem Wiederaufflammen der Gewalt im strukturschwachen Norden. Im Interesse der nationalen Sicherheit müsse die Regierung versprochene und überfällige Maßnahmen zur Entwicklung der rückständigen Region sowie umfassende politische und wirtschaftliche Reformen umsetzen.

Tatsächlich führen Tuareg-Separatisten stets den Mangel an fairen politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten als Hauptgrund für ihre Aufstände ins Feld. Seit den 1990er Jahren haben sie sich insgesamt vier Mal erhoben. Dass der letzte Versuch zunächst glückte, hat mit den Waffen zu, die sie sich 2011 aus Libyen beschaffen konnten, wo der Aufstand gegen den ehemaligen Revolutionsführer Muammar Gaddafi in einen bewaffneten Konflikt mündete.

Die Tuareg - eine Gemeinschaft traditioneller Nomaden, die in Mali, im Niger und in Algerien leben - brachten Anfang 2012 den Norden Malis in ihre Gewalt. Doch im April des gleichen Jahres verdrängte eine Koalition aus bewaffneten islamistischen Gruppen Al-Qaeda im islamischen Maghreb, Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJWA) und 'Ansar Dine' die von Tuareg geführte nichtreligiöse Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad.

Mit Hilfe französischer Soldaten konnten die malischen Truppen schließlich den Großteil des Gebietes zurückerobern. Seit Juni 2013 herrscht eine Feuerpause, die der Regierung erlaubt hat, Soldaten im Norden abzustellen, und die im letzten Jahr den Weg für demokratische Wahlen freimachte. Doch wird der Waffenstillstand nach UN-Angaben immer wieder von beiden Seiten gebrochen, etwa in Form von unkoordinierten Truppenbewegungen.


Rebellion bereut, doch Frust geblieben

Laut J. Peter Pham, Leiter des Afrika-Zentrums des Atlantikrats, einer Denkfabrik mit Sitz in Washington, bereuen die Tuareg inzwischen ihre zeitweilige Allianz mit den Extremisten. Doch gleichzeitig fühlten sie sich von der Regierung in Bamako betrogen, weil sich diese nicht an ihre Versprechen gehalten habe.

"Die malische Regierung hatte dem Norden Unterstützung bei der regionalen Entwicklung und ein gewisses Maß an Autonomie zugesagt. Doch tatsächlich hat man sich darauf beschränkt, die Aufstandsführer zu kaufen. Die hintergründigen Ursachen wurden nicht angegangen", so Pham. "Die Menschen sollten eigentlich eine Form der Anerkennung erfahren, die es ihnen ermöglicht, sich als gleichwertige Bürger zu fühlen. Doch dazu ist es nicht gekommen."

Vom 10. bis 12. Januar hatte der malische Staatspräsident Ibrahim Boubacer Keita Mauretanien besucht, um ein bilaterales Abkommen über eine verstärkte Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte beider Länder im Zuge der abnehmenden Präsenz französischer Soldaten auf den Weg zu bringen.

Die Konfliktforscher der 'International Crisis Group' (ICG) halten die innere Sicherheit des Landes nach wie vor für fragil. Ein jüngster ICG-Bericht pocht deshalb auf die Durchführung umfangreicher Reformen. Ähnliche Empfehlungen kommen auch vom Internationalen Währungsfonds (IWF). "Es muss eine gerechtes und inklusiveres Wachstum in Mali geben", meinte IWF-Chefin Christine Lagarde in einem Blogeintrag in der zweiten Januarwoche. Es gelte alle Bevölkerungsgruppen im Lande an den Wirtschaftserfolgen teilhaben zu lassen und ihnen den Zugang zu Bildung und anderen staatlichen Dienstleistungen zu ermöglichen.

Seit dem Ende des Konflikts kehrt das aus dem Norden in den Süden geflohene Gesundheitspersonal, wenn überhaupt, nur im Schneckentempo zurück. Die Unzufriedenheit über den Mangel an einer Basisversorgung und wirtschaftlichen Hilfen hat sich bereits in etlichen Demonstrationen ausgedrückt. Die Unruhen verhinderten die Auslieferung von humanitärer Hilfe.

Die ICG drängt die malischen Behörden, sich im Norden auf die Wiedererrichtung und Verbesserung der Rechts-, Gesundheits- und Bildungssysteme zu konzentrieren. Weiter raten sie der Regierung in ihrem Bericht davon ab, sich in Fragen der inneren Sicherheit auf die gemeindebasierten bewaffneten Gruppen zu verlassen. Zudem müssten Übergriffe der Armee auf Zivilisten untersucht werden. Unter anderem hatte die Armee Ende November das Feuer auf Demonstranten eröffnet.


Begrenzte Dialog- und Versöhnungserfolge

Im März 2013 beteiligte sich die als MINUSMA bekannte UN-Mission an der Erstellung einer Nationalen Dialog- und Versöhnungskommission, mit deren Hilfe die Beziehungen zwischen der malischen Regierung und den Separatisten verbessert werden sollen. Doch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bezeichnete den Erfolg der Dialog- und Versöhnungsaktivitäten als "begrenzt".

Mali hat zudem eine Serie von Konferenzen mit Fokus auf eine Dezentralisierung des Nordens und größere Autonomie der Tuareg-Separatisten veranstaltet. Doch die ICG-Analysten sind der Meinung, "dass die Treffen inklusiver sein (...) und unmittelbare und handfeste Aktivitäten wie die Weitergabe von Ressourcen an die Provinzbehörden nach sich ziehen müssen".

Kritikern zufolge ist eine Mitsprache der Gemeinschaften in den Versöhnungsgesprächen ausgeblieben. Das sei ein Grund, warum bewaffnete Gruppen im Norden die Teilnahme an den Treffen verweigerten und der Regierung ein Interesse an einem wahren Dialog absprächen.

Wie Pham vom Atlantikrat beklagt, ist es um die Sicherheit des Landes somit weiterhin schlecht bestellt. Es fehle an den erforderlichen Ressourcen. Zudem werde es in Mali bald nur noch 1.000, mehrheitlich im Süden stationierte französische Soldaten geben. Der Norden, der zwei Drittel des Landes ausmacht, werde dann von einer kleinen und schlecht ausgerüsteten Truppe überwacht, die vorwiegend aus Afrikanern bestehe.

Pham zufolge hat die französische Intervention nicht dazu geführt, die Dschihadisten aus dem Norden zu entfernen. "Wenn man den französischen und afrikanischen Armeesprechern glaubt, dann wurden im letzten Jahr etwa 600 Milizionäre getötet und weitere 400 verhaftet", erläutert er. "Doch sind mehr als 1.000 übrig geblieben, die sich entweder in den Gemeinden oder in den Bergen versteckt halten."

Seit der französischen Offensive spielt die MINUSMA in Mali eine aktive Friedenssicherungsrolle. Rinaldo Depagne, ICG-Direktor für Westafrika, schätzt die Zahl der MINUSMA-Soldaten auf etwa 6.000. Seiner Meinung nach sollte die Truppe in den kommenden Monaten auf mehr als 10.000 Mann aufgestockt werden. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2013/582
http://www.ipsnews.net/2014/01/equitable-growth-critical-post-war-mali/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2014