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AFRIKA/1275: Madagaskar - Neuer Präsident alte Probleme (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2014

Neuer Präsident alte Probleme

von Hein Möllers



Hery Rajaonarimampianina ist der neue Präsident der Republik Madagaskar. Er setzte sich in den Stichwahlen vom 20. Dezember 2013 durch. Mit diesen Wahlen endet eine Zeit, in der die amtierende Regierung international nicht anerkannt wurde. Ob mit der Wahl die innenpolitischen Konfliktlinien aufgelöst werden, steht allerdings dahin.


Am 20. Dezember 2013 fand in Madagaskar die Stichwahl für die Präsidentschaft statt. Sie war erforderlich geworden, da bei der ersten Wahl am 24. Oktober keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit erreicht hatte. Dreiunddreißig Kandidaten waren im Oktober angetreten.

Der Wahltermin musste mehrfach verschoben werden, da die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika SADC darauf bestand, keinen der alten rivalisierenden Präsidenten für eine Kandidatur zuzulassen: Didier Ratsiraka, Marc Ravalomanana und André Rajoelina. Die SADC setzte ihre Forderung schließlich durch.

Didier Ratsiraka war bis 2002 Madagaskars Staatspräsident. Er hatte ein umstrittenes Wahlergebnis zu seinen Gunsten ausgelegt. Erst auf Druck der Militärs trat er ab und ging nach Paris ins Exil. Damit war der Weg frei für Marc Ravalomanana. Spätestens in dessen zweiter Amtszeit wurden Vetternwirtschaft und Korruption unübersehbar. Den Unmut nutzte André Rajoelina, der schließlich mit Hilfe des Militärs 2009 die Macht übernahm. Ravalomanana ging ins Exil nach Südafrika. Die Regierung Rajoelina wurde international nicht anerkannt. Wahlen schienen das einzige Mittel, den politischen Konflikt zu lösen.

Bei den Oktoberwahlen waren die beiden Bestplatzierten Jean-Louis Robinson, der 21,10 Prozent der Stimmen erhielt, gefolgt von Hery Rajaonarimampianina mit 15,93 Prozent. Beide hatten in ihren Wahlprogrammen deutlich zu erkennen gegeben, dass sie sich als Stellvertreter der beiden letzten Präsidenten Ravalomanana und Rajoelina sahen.

Jean-Louis Robinson war Gesundheitsminister unter Ravalomanana. Bei einem Wahlsieg werde er die Exilierung Marc Ravalomananas rückgängig machen, um seine Rückkehr aus Südafrika zu ermöglichen. Ravalomananas Frau Lalao solle seine Premierministerin werden. Auch ihr war von der SADC eine Kandidatur für die Präsidentschaft verwehrt worden. Rajaonarimampianina war Finanzminister unter Rajoelina. Er versprach, bei einem Wahlsieg Rajoelina zu seinem Premier machen.

Dass Rajaonarimampianina bei der Stichwahl an seinem im Oktober besser platzierten Konkurrenten vorbeizog, kam nicht ganz überraschend. Auf den Plätzen drei bis sieben landeten Kandidaten, die - mit Ausnahme der Grünen - Gruppen vertraten, die dem Rajoelina-Lager zuzuordnen sind. Dieses informelle Bündnis bröckelte zwar, blieb aber offensichtlich bis zum Wahltag tragfähig.

Die Wahlkommission gab am 3. Januar das vorläufige Endergebnis der Präsidentschaftswahl bekannt. Auf Hery Rajaonarimampianina fielen 53,5 Prozent der Stimmen. Der unterlegene Jean-Louis Robinson hat wegen "Wahlbetrugs" die Gerichte angerufen und fordert eine Annullierung der Wahl. Beobachter halten das für "einen üblichen Reflex" und geben der Klage keine Chance. Es habe wie bei den Oktoberwahlen keine relevanten Verstöße gegeben. Das Oberste Gericht wies denn auch die Klagen zurück. Damit konnte die Wahlkommission am 19. Januar das Ergebnis als endgültig bestätigen.

Am 20. Dezember wurden auch die 150 Mitglieder der Nationalversammlung und 60 von insgesamt 90 Senatoren gewählt. Die Auszählung ist noch nicht abgeschlossen, ein Ergebnis soll Mitte Februar bekannt gegeben werden.

Der neue Präsident steht nun vor der schweren Aufgabe, die Republik politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren. Die Wirtschaft liegt danieder, nicht zuletzt eine Folge der politischen Isolierung. Vor allem die soziale Lage hat sich seit 2009 dramatisch verschlechtert. Die Armutsrate hat sich von 62 Prozent im Jahre 2008 auf über neunzig Prozent im letzten Jahr erhöht.

Die Wahlen sind sicher ein wichtiger Schritt zur Konsolidierung. Sie lösen die demokratischen Grundprobleme allerdings nicht. Madagaskar hat sich seit der Unabhängigkeit 1960 politisch nicht konsolidieren können. Regelmäßige Legitimitätskrisen wurden in der Regel gewaltsam gelöst. Die jeweils Herrschenden betrachteten den Staat als Instrument zur Ausbeutung der Bevölkerung und die Chance zur Machtübernahme - legal oder illegal - als Möglichkeit zur Bereicherung. Die wichtigste politische Aufgabe des neuen Präsidenten wird sein, stabile politische Verhältnisse zu schaffen, um zu verhindern, dass in wenigen Jahren durch einen inszenierten Staatsstreich die alten Zustände wieder Urständ feiern. Die Regierung steht vor der Aufgabe, das seit der Unabhängigkeit nicht vollendete Projekt des Nation Building voranzutreiben.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
42. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2013, S. 31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2014