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AFRIKA/1352: Burundi - Ende der Gewalt unabsehbar, Ausweitung des Konflikts auf die Region befürchtet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Oktober 2015

Burundi: Ende der Gewalt unabsehbar - Ausweitung des Konflikts auf die Region befürchtet

von Désiré Nimubona


Bild: © AMISOM Public Information (Flickr), via Wikimedia Commons

Der umstrittene Staatspräsident Pierre Nkurunziza bei einem Besuch in Somalia
Bild: © AMISOM Public Information (Flickr), via Wikimedia Commons

BUJUMBURA/BERLIN (IPS/IRIN*) - Seit Monaten wird Burundi von einer Welle politisch motivierter Gewalt erschüttert, deren Ende nicht absehbar ist. Beobachter befürchten ein Übergreifen auf Nachbarländer, in denen bereits jetzt Zehntausende Burundier als Flüchtlinge leben. Die Feindseligkeiten in dem ostafrikanischen Staat brachen aus, als Staatschef Pierre Nkurunziza im April ankündigte, sich erneut zur Wahl zu stellen. Im August trat er dann seine dritte Amtszeit an. Viele Burundier sprechen von Machtmissbrauch.

Für die Gewalt machen sich Regierung und Opposition gegenseitig verantwortlich. Laut den Vereinten Nationen sind seit April mehr als 130 Menschen getötet worden. Bei Schießereien in der Hauptstadt Bujumbura gibt es Augenzeugen zufolge gar täglich Tote. Der UN-Informationsdienst IRIN berichtet, dass in Bujumbura Leichen auf Straßen, in Abwässerkanälen, in Gebüschen und in Flüssen lägen.


Rechte Hand des umstrittenen Präsidenten ermordet

Die Lage hat sich weiter zugespitzt, seit Anfang August der ehemalige Geheimdienstchef Adolphe Nshimirimana zusammen mit drei Leibwächtern bei einem Raketenangriff in der Hauptstadt getötet wurde. Die Attacke wurde international verurteilt. Nshimirimana, der als rechte Hand des Präsidenten galt, war während des Bürgerkriegs Kommandeur der stärksten Rebellengruppe CNDD-FDD, die später in eine Partei umgewandelt wurde und heute an der Regierung ist. Nachdem in Zusammenhang mit dem Tod Nshimirimanas Verdächtige festgenommen wurden, eskalierte die Situation. Auch Berichterstatter ausländischer Medien wurden bei Angriffen schwer verletzt.

In den folgenden Wochen fielen weitere Staatsbedienstete und Politiker Anschlägen zum Opfer. Ein lokaler Parteifunktionär wurde von Unbekannten ermordet, als er zu seinem Büro in Kiyenzi, etwa 20 Kilometer von Bujumbura fuhr.

Jean Bikomagu, von 1993 bis 1996 Stabschef der burundischen Armee, wurde auf dem Heimweg vom Gottesdienst von einem Mann auf einem Motorrad erschossen. Seine Tochter überlebte schwer verletzt. Wie Nshimirimana hätte Bikomagu vor einer geplanten Kommission für Wahrheit und Versöhnung auftreten sollen.

Zuvor hatte der international renommierte Menschenrechtsaktivist Pierre-Claver Mbonimpa nur knapp einen Mordanschlag überlebt. Ihm steht ein Strafverfahren wegen Gefährdung der Sicherheit des Staates bevor, nachdem er im vergangenen Jahr öffentlich von einer Militarisierung des Jugendflügels der Regierungspartei gesprochen hatte.

Wie ein IRIN-Reporter berichtet, wurden am 20. August Journalisten daran gehindert, bei der Vereidigung Nkurunzizas für eine dritte Amtszeit anwesend zu sein. Kein ausländisches Staatsoberhaupt war bei der Zeremonie zugegen.


Opposition wirft Regierung "verabscheuungswürdige Verbrechen" vor

Anfang September wurde Patrice Guhungu, Sprecher einer kleinen Oppositionspartei, vor seinem Haus erschossen. Der Vorsitzende seiner Partei war im Mai ermordet worden. Als die Behörden Ermittlungen ankündigten, erklärte der amtierende Parteichef Chauvineau Mugwengezo: "Es ist offensichtlich, dass die Regierung von Pierre Nkurunziza bei diesem verabscheuungswürdigen Verbrechen ihre Hände mit ihm Spiel hatte. Es ist Teil einer Anschlagsserie gegen all diejenigen, die sich gegen sein illegales drittes Mandat gestellt haben."

Mugwengezo ging ins Exil, nachdem er mehreren Attentaten auf seine Person entgangen war. Auch Armeestabschef Prime Niyongabo, der im Mai eine entscheidende Rolle bei der Niederschlagung eines Putschversuchs gegen die Regierung gespielt hatte, überlebte Mitte September nur knapp einen Hinterhalt, bei dem sieben seiner Bodyguards starben.

Nkurunziza unterzeichnete am 23. September ein Dekret zur Bildung einer nationalen Kommission aus 15 Repräsentanten unterschiedlicher Gesellschaftsbereiche, die für sechs Monate unter der Kontrolle des Präsidenten Verhandlungen führen sollen. Mehrere Sprecher der Zivilgesellschaft erklärten allerdings, sie rechneten nicht mit Erfolgen.

Im August hatten burundische Oppositionspolitiker und Gesellschaftsvertreter in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba einen Nationalen Rat zur Wiederherstellung der Rechtsordnung (CNARED) gebildet. Darin fordern sie unter anderem die Einhaltung des im August 2000 geschlossenen Abkommens von Arusha, das das Ende des 1993 begonnenen Bürgerkrieges einleitete. Darin wurde festgelegt, wie Burundi künftig regiert werden sollte.

Die Begrenzung der Regierungszeit eines Präsidenten auf zwei Amtsperioden zählt zu den Kernforderungen von CNAREDs, dessen erklärtes Ziel die Entmachtung Nkurunzizas ist. Nur der Zeitpunkt seines Abtritts ist für die Mitglieder des Rates noch verhandelbar. Auch Nkurunzizas Ankündigung eines nationalen Dialog konnten die Fronten nicht enthärten: CNARED-Mitglieder dürfen zwar prinzipiell an den Gesprächen teilnehmen, nicht aber unter dem Banner ihrer Organisation. Dieser Umstand sorgte für neuen Zündstoff.


Neuer regionaler Konflikt befürchtet

Der Hohe UN-Flüchtlingskommissar Zeid Ra'ad Al Hussein äußerte sich unterdessen beunruhigt über den alarmierenden Anstieg von Morden, Festnahmen und Inhaftierungen im September. Mehr als 700 Menschen wurden in dem Monat in Gewahrsam genommen, kamen allerdings zumeist nach einigen Stunden wieder frei. Al Hussein wies allerdings darauf hin, dass einige von ihnen auf unerklärliche Weise während der Haft zu Tode gekommen seien.

Die Europäische Union sperrte unterdessen die Vermögenswerte von drei Nkurunziza nahestehenden Staatsbeamten und verhängte gegen sie ein Einreiseverbot. Ihnen wird vorgeworfen, exzessive Gewalt gegen demonstrierende Oppositionelle ausgeübt zu haben.

Beobachter warnen nun davor, dass der innere Konflikt auch andere Länder in der Region zu erfassen drohe. Etwa 180.000 Burundier flohen während der Bürgerkriege in ihrer Heimat in die Demokratische Republik Kongo sowie nach Ruanda, Sambia, Tansania und Uganda. Es wird befürchtet, dass es auch in den Flüchtlingslagern zu Auseinandersetzungen kommen könnte.

Der UN-Menschenrechtsexperte Pablo de Greiff appellierte an die internationale Staatengemeinschaft sowie an regionale und internationale Organisationen, den Morden in Burundi nicht tatenlos zuzusehen. "Ansonsten droht in der Region der Großen Seen ein großer Konflikt, dessen Ausmaß nicht absehbar ist." (Ende/IPS/ck/08.10.2015)

* IRIN ist ein Informationsdienst der Vereinten Nationen


Link:

http://www.irinnews.org/report/102059/burundi-s-descent-into-hell

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2015

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