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AFRIKA/1367: Mosambik/Südafrika - Graça Machel. First Lady, Politikerin und Kämpferin für Frauen und Kinder (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2015

Politische Visionärin
Graça Machel: First Lady, Politikerin und Kämpferin für Frauen und Kinder

von Rita Schäfer


Am 17. Oktober hatte sie viele Gründe zum Feiern. Vor 70 Jahren wurde sie im ländlichen Mosambik geboren. Wie keine andere Frau ist sie Mitgestalterin der politischen Veränderungen in ihrem Heimatland und auf dem Kontinent.


Als sechste Tochter eines methodistischen Pfarrers kam Graça Simbine Mitte Oktober 1945 in Incadine, Manjacaze Distrikt in der Gaza Provinz, auf die Welt. Ihr Vater verstarb bereits kurz vor ihrer Geburt. Er hatte wie Hunderttausende anderer Männer aus Mosambik jahrelang als Minenarbeiter in Südafrika für miserablen Lohn geschuftet, bevor er sein kirchliches Amt antrat. Vor seinem Tod trug er Graças älteren Geschwistern auf, für die Ausbildung seiner noch ungeborenen Tochter zu sorgen. Vom familiären Umfeld gefördert, ging Graça zunächst auf eine methodistische Missionsschule in Maputo. Dort gewann sie als herausragende Schülerin ein Stipendium für ein Studium in Portugal, dem das damalige Portugiesisch-Ostafrika noch als Siedlerkolonie unterstand. An den Universitäten in Coimbra und Lissabon studierte sie Sprachen, unter anderem Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. 1972 schloss sie ihr Studium erfolgreich ab.

In Lissabon kam sie in Kontakt mit anderen Studenten aus den damaligen portugiesischen Kolonien in Afrika und lernte deren Unabhängigkeitsstreben kennen. Sie schloss sich der anti-kolonialen Frente de Libertação de Moçambique (Frelimo) an und wurde vom portugiesischen Geheimdienst verfolgt, deshalb floh sie in die Schweiz. 1973 ging die junge Lehrerin nach Tansania, wo die Frelimo damals ihre Basis hatte. Hier erhielt Graça ihre militärische Ausbildung. 1974 wurde sie stellvertretende Direktorin der ersten Frelimo-Sekundarschule.

Zwischenzeitlich lernte sie ihren späteren Ehemann, den gebildeten und charismatischen Frelimo-Präsidenten Samora Machel, kennen. Im September 1975 - wenige Monate nach der politischen Unabhängigkeit Mosambiks am 25. Juni 1975 - heiratete sie Samora, der nun auch erster Präsident des Landes war. Graça adoptierte fünf Kinder, die ihr Mann mit in die Ehe brachte. Seine erste Ehefrau Josina war 1971 an Leukämie gestorben. Weitere Kinder stammten von Samoras früherer Partnerin Sorita. Graça schenkte zwei gemeinsamen Kindern mit Samora das Leben. Aber sie war keineswegs nur Mutter, Ehefrau und First Lady des Landes.


Politische Gestalterin

Als Mitglied des Frelimo-Zentralkomitees, Parlamentarierin und Erziehungs- und Kulturministerin verwirklichte Graça Machel ihre politischen Ziele. Ein Dreh- und Angelpunkt war die Verbesserung der Lebenssituation von Frauen und Kindern, die Kriegsopfer geworden waren. Zudem wollte sie ein landesweites Bildungssystem aufbauen und damit einen wichtigen Beitrag zum Neuaufbau des Landes leisten, zumal die portugiesischen Kolonialherren der afrikanischen Bevölkerung Bildung weitgehend verweigert hatten.

Graça Machel, die erste Erziehungs- und Kulturministerin des Landes, ließ Schulen bauen, Lehrer ausbilden und führte die allgemeine Schulpflicht ein. Im ersten Jahrzehnt ihrer Amtszeit gelang es ihr, die Einschulungsrate enorm zu heben: 1985 gingen 90 Prozent aller Jungen und 75 Prozent aller Mädchen zur Schule. Diese Zahlen zeugen von ihrer enormen Leistung, vor allem wenn man das gewaltsame Vorgehen der konterrevolutionären Resistência Nacional Moçambicana (Renamo) berücksichtigt. Denn Schulen und Gesundheitsstationen zählten zu deren bevorzugten Angriffszielen. Mit logistischer und militärischer Hilfe des Apartheidregimes in Südafrika und freundlicher Unterstützung von rechtskonservativen und christlich-fundamentalistischen Geldgebern aus den USA und Westeuropa terrorisierten Renamo-Rebellen die Landbevölkerung, vor allem Frauen und Kinder zählten zu ihren Opfern. Das betraf keineswegs nur die systematisch auf (Schul)wegen und an Wasserstellen angebrachten Landminen. Über die Hälfte der Grundschulnetzes Mosambiks wurde zerstört. Um so mehr galt das Engagement von Graça Machel der Situationsverbesserung und den Rechten von Kindern.

Ihre eigenen Kinder wurden bereits 1986 Halbwaisen und sie wurde Witwe, als ihr Mann Samora Machel am 19. Oktober 1986 bei einem dubiosen Flugzeugabsturz starb. Bis heute geht man von politisch motivierter Sabotage aus - möglicherweise vom südafrikanischen Apartheidapparat. Die trauende Graça Machel zog sich aus ihrem Ministeramt zurück, blieb aber Parlamentarierin. Nach dem Ende des Ost-Westkonfliktes und der damit verbundenen Stellvertreterkriege im südlichen Afrika kam auch ein Friedensschluss zwischen Frelimo und Renamo 1992 zustande. Graça Machel gründete die Fundação para Desenvolvimento da Communidade FDC, eine Stiftung für zivilgesellschaftliche Organisationen, die den Wiederaufbau und die Entwicklung des Landes förderten. Zudem wirkte sie als Vorsitzende der nationalen Kinderorganisation und der UNESCO-Kommission in Mosambik.

Die ersten demokratischen Wahlen in Südafrika und der Amtsantritt Nelson Mandelas 1994 stellten neue Weichen in Richtung Friedenspolitik auf dem Kontinent. Der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Gali ernannte Graça Machel zur UN-Sonderberichterstatterin für Kinder in Kriegen. Sie erforschte in Sierra Leone, Ruanda, Kolumbien, Kambodscha, Süd-Osteuropa und im Libanon, wie fatal sich Kriege auf Kinder auswirken. Ihr 1996 veröffentlichter UN-Bericht gilt als Grundlage für die internationale Strafverfolgung von Kriegsverbrechen an Kindern und etliche UN-Resolutionen zum Schutz von Kinderrechten.


Neue Aufgaben in Südafrika

Ihre, politische Ausrichtung auf die strukturelle Situationsverbesserung von Kindern behielt Graça Machel auch bei, nachdem sie am 18. Juli 1998 den damaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela heiratete. Es war dessen 80. Geburtstag. Bis zu seinem Rücktritt vom Präsidentenamt 1999 wirkte sie als First Lady Südafrikas. Mandela beschrieb sie wertschätzend als Blume, die ihn zum Blühen bringe. Er hatte sich 1996 von seiner früheren Frau Winnie scheiden lassen, diese hatte während Mandelas 27-jähriger Gefängnishaft andere private Wege eingeschlagen. Anders als Winnie, Mandelas Töchter und Enkel hielt sich Graça, die weiterhin ihren Familiennamen Machel trug, aus dem Familienkrieg um das Erbe Mandelas heraus. Sie ermöglichte ihrem alternden und immer kränker werdenden Mann ein Leben in Würde bis zu dessen Tod am 5. Dezember 2013.

Politische Anliegen, die beide verbanden, war der Einsatz für Bildung und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Südafrika und auf dem Kontinent. Zudem gründeten sie 2007 gemeinsam mit anderen Politikern aus unterschiedlichen Kontinenten die Gruppe der Elders unter der Leitung des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan. Sie wollten an der friedlichen Beilegung gewaltsamer Konflikte beispielsweise im Sudan oder Israel-Palästina mitwirken.

Gleichzeitig galt ihr Einsatz der nachhaltigen Entwicklung und der Gleichheit von Mädchen und Frauen. Das Engagement gegen Kinderehen ist beispielhaft hierfür. Schließlich werden weltweit über 14 Millionen minderjährige Mädchen verheiratet. Zu den Folgen zählen sexuelle Gewalt, Teenagerschwangerschaften, HIV/Aids, hohe Mütter- und Kindersterblichkeit, mangelnde Bildung der jungen Frauen und deren Kinder. Graça Machel sieht diese Probleme im Verhältnis zur Erziehung von Söhnen und zum Selbstverständnis von Männern. Jungen sollen lernen, Mädchen und Frauen respektvoll zu behandeln.

Seit 2013 leitet Graça Machel das Programm der Weltgesundheitsorganisation für Mütter- und Kindergesundheit. Sie wirkte an der Umsetzung der entsprechenden Millennium-Entwicklungsziele (MDG) mit. Diese wurden vor 15 Jahren von der internationalen Staatengemeinschaft verabschiedet. Sie wurden Ende September 2015 von umfassenden Nachhaltigkeitszielen (SDG) abgelöst. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hatte Frau Machel schon 2012 erwählt, um an deren Konzeption mitzuwirken.

In Afrika und auf internationaler Ebene ist sie im Vorstand zahlreicher Organisationen für Kinder- und Frauenrechte, Frieden und nachhaltige Entwicklung. Für ihre Arbeit erhielt sie mehrere internationale Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden von Universitäten in Südafrika, Europa und den USA. Ihre eigene Stiftung fördert gezielt Mädchenbildung und begabte Studentinnen in Afrika. Auch die politische und ökonomische Bildung von Frauen stehen auf dem Programm.

Graça Machel mischt sich nicht in die südafrikanische Tagespolitik ein, verurteilte aber ganz klar die xenophobe Gewalt, der keineswegs nur mosambikanische Migrantinnen und Migranten zum Opfer fallen. Mit deutlichen Worten veranschaulichte sie ihren Standpunkt: "Ich bin Südafrikanerin, Mosambikanerin, Simbabwerin. Migration liegt in unserem Blut, die Grenzen schufen die Kolonialherren. Wir gehören zusammen."

Kritiker sagen ihr nach, sie würde sich nun zu sehr in Parteiinterna der Frelimo in ihrem Heimatland einmischen. Strittig ist, inwieweit sie zusammen mit Joaquim Chissano die Kandidatenauswahl im Frelimo-Zentralkomitee beim Präsidentenwahlkampf 2014 beeinflusst hat. Manche politische Kommentatoren werfen ihr vor, sie habe an einer umfassenden Kampagne gegen den damaligen Staatspräsidenten Guebuza mitgewirkt. Andere meinen, ihre Kritik habe sich auf die restriktive Auswahl weniger Kandidaten bezogen, wobei diese Guebuza-Günstlinge waren. Offensichtlich ist, dass Graça Machels Rolle in der Frelimo von den Parteiideologen mit Argwohn betrachtet wird. Sie ist eben eine unabhängig denkende politische Visionärin.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2015, S. 25-26
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2016

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