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AFRIKA/1374: DR Kongo - Frauen- und Kinderrechte, Beiträge zum Frieden (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2016

Frauen- und Kinderrechte - Beiträge zum Frieden

von Gesine Ames


Abia Tamwasi ist Traumaexpertin und Frauenrechtlerin, Murhabazi Namegabe Menschen- und Kinderrechtsaktivist. Sie wurden am 1. Dezember 2015 mit dem Friedenspreis des Ökumenischen Netzes Zentralafrika in Berlin ausgezeichnet. Seit vielen Jahren setzen sie sich für den Schutz von Frauen und Kindern sowie die Unterstützung der Opfer sexualisierter Gewalt ein.


Den zeitlichen Kontext der Auszeichnung bildete die UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit, die der UN-Sicherheitsrat vor 15 Jahren verabschiedet hatte. Sie will die besondere Verwundbarkeit von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten überwinden. Ziele der Resolution sind Gewaltprävention und Gewaltschutz. Zudem sollen Frauen gleichberechtigt in Friedensverhandlungen, Konfliktschlichtung und den Wiederaufbau einbezogen werden. Diese Resolution weckte in der DR Kongo große Hoffnungen, Frauen und Kindern mehr Schutz zu bieten und ihre Situation zu verbessern. Denn die kongolesische Regierung hatte schon 2010 einen nationalen Aktionsplan dazu erstellt und sich damit offiziell zur Umsetzung verpflichtet.


Gewaltformen

Seit mehr als zwei Jahrzehnten erschüttern gewalttätige Konflikte, insbesondere um Land, Identität, mineralische Ressourcen und Macht, vor allem die beiden Kivu-Provinzen Nord und Süd. Die Bevölkerung leidet unter täglich stattfindenden Menschenrechtsverletzungen und Übergriffen; Ein Element der Gewaltspirale ist die sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder. Aber auch Männer sind Opfer von Vergewaltigungen und anderer sexualisierter Gewaltformen. Die Betroffenen müssen nicht nur mit den physischen und psychischen Folgen leben, sondern haben oftmals mit Stigmatisierung und Diskriminierung seitens der Gesellschaft zu kämpfen. Die Täter sind Mitglieder der 69 bewaffneten Milizen in den beiden Kivu-Provinzen sowie Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee FARDC. Im Laufe des jahrzehntelangen Konfliktes wurde sexualisierte Gewalt häufig als Kriegswaffe eingesetzt. Bedingt durch ein gewaltgeprägtes Umfeld steigen auch häusliche Gewalt und sexualisierte Übergriffe in Familien und Gemeinden.

Abia Tamwasi

Abia Tamwasi engagiert sich schon seit vielen Jahren für Opfer sexualisierter Gewalt. Sie ist die Gründerin der Organisation Utuka (Umoja Tupendane Katwa - l'Association des Victimes de Violences Sexuelles), die Überlebenden sexualisierter Gewalt psychische und physische Hilfe bietet und ihnen eine Reintegration in den Alltag ermöglicht. Utuka richtet sich an alle Opfer sexualisierter Gewalt, ungeachtet des Geschlechts, Alters oder sozialen Status.

Zudem arbeitet die gelernte Krankenschwester als psychologische Beraterin und Traumaexpertin im Zentrum Cepima in der Stadt Butembo der Provinz Nord-Kivu. Dort behandelt sie Menschen, die Opfer der sexualisierten Gewalt wurden und mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. Das Zentrum Cepima ist eine Klinik für mentale Krankheiten und eine der wenigen Einrichtungen, die sich der psychisch Leidenden annimmt. Es gibt nur sechs Einrichtungen dieser Art im gesamten Staatsgebiet der DR Kongo, die wenigsten - wie im Falle von Cepima - in ländlichen Gebieten. Im Jahr 2015 behandelten Cepima und Utuka insgesamt 956 Opfer sexualisierter Gewalt, hauptsächlich Frauen und Mädchen.

Abia Tamwasi arbeitet in der momentan gewalttätigsten Region des Landes. Die Gegend um Butembo und Beni erlangte seit Oktober 2014 traurige Bekanntheit wegen tagtäglich stattfindender Massaker an der Bevölkerung. Das Gebiet wird vermehrt von der ursprünglich aus Uganda stammenden Miliz ADF Nalu heimgesucht, aber die meisten Übergriffe werden trotz hoher Truppenpräsenz der FARDC und der UN-Friedensmission Monusco weder verhindert noch aufgeklärt.


Murhabazi Namegabe

Als Direktor der Organisation BVES (Bureau pour le Volontariat au Service de l'Enfance et de la Santé) setzt sich Murhabazi Namegabe seit fast zwanzig Jahren in den beiden Kivu-Provinzen für Menschenrechte und die Reintegration junger Kriegsopfer ein. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die Kindersoldaten waren. BVES hat laut eigenen Angaben bereits über 50.000 Kinder befreien können, darunter ca. 30 Prozent Mädchen. Um dies zu erreichen, verhandelte Namegabe direkt mit Rebellenführern und Armeevertretern für ihre Freilassung und versorgte sie in den Zentren seiner Organisation. Hier erhielten mittlerweile knapp 70.000 Kinder, unter ihnen auch Straßenkinder und Waisen, Nahrung, Kleidung, Schulbildung sowie medizinische und psychologische Hilfe.

Die Organisation hat zudem ein spezielles Programm für Kindersoldaten, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden, aufgelegt. Dazu zählt ein rechtliches Schutzprogramm für Mädchen, so wurde beispielsweise der Rechtsrahmen verbessert. Schulungen für militärische Befehlshaber sollen Kinder zudem vor Rekrutierung und sexualisierter Gewalt schützen. Berichterstattung über Fälle sexualisierter Gewalt an Kindern sowie Aufklärungsarbeit und Trainings bezüglich Kinder- und Frauenrechte gehören ebenfalls zu den Aufgabenbereichen der BVES. Aufgrund seiner Arbeit begibt sich Murhabazi Namegabe immer wieder in gefährliche Situationen. Sieben Mitarbeiter wurden bereits getötet und Namegabe selbst wurde mehrfach bedroht.


Problemursachen

Die beiden Menschenrechtsaktivisten schätzten die Probleme folgendermaßen ein:

Die herrschende Straflosigkeit stelle die Gesellschaft und vor allem die Opfer der sexualisierten Gewalt vor schwierige Herausforderungen. In einem gesetzlosen Umfeld und wegen fehlender Staatlichkeit würden die Täter fast nie juristisch zur Verantwortung gezogen. Ein weiteres Problem sei die fehlende rechtliche Aufklärung und Bewusstseinsschaffung innerhalb der Bevölkerung. Die Menschen kennen oft nicht die Gesetzgebung und können daher ihre Rechte nicht einfordern. Aufgrund der geringen Verurteilungsrate von Tätern und dem fehlenden Bewusstsein über die eigenen Rechte nehmen viele Überlebende sexualisierter Gewalt ihre Opfersituation passiv hin.

Als weitere Ursache nannte Abia Tamwasi die hohe Arbeitslosigkeit und dadurch verursachte Armut. Sie wies auch darauf hin, dass psychische Krankheiten zunehmen. Dies sei das Resultat der jahrzehntelang anhaltenden Konflikte. Traumatisierende Erlebnisse führen bei Opfern, aber auch bei Tätern, zu Langzeitschäden. Trotz des hohen Bedarfs an medizinischer und psychologischer Unterstützung mangelt es in der Region an Hilfsangeboten für. Menschen mit psychischen Problemen.

Dieser Aspekt verdeutlicht das Paradox in der DR Kongo: In dysfunktionalen staatlichen Strukturen übernehmen Nichtregierungsorganisationen und kirchliche Einrichtungen zunehmend staatliche Aufgaben, indem sie Gesundheitszentren und Krankenhäuser betreiben. Abia Tamwasis Arbeit wird zu großen Teilen von der baptistischen Kirche CBCA unterstützt. BVES lebt von Spenden und der Unterstützung durch internationale Organisationen.

Beide Preisträger problematisierten zudem, dass männliche Opfer sexualisierter Gewalt nicht wahrgenommen würden. In der Provinz Nord-Kivu liegt die offizielle Ziffer bei ca. zehn Prozent. Wegen der Tabuisierung sei die Zahl aber weitaus höher. Tamwasi wies auf Aussagen männlicher Vergewaltigungsopfer hin. Demnach seien die Täter Angehörige bewaffneter Gruppen. Dabei spiele die Frage nach Macht und Überlegenheit eine bedeutende Rolle. So hätten Täter sich damit gebrüstet: "Wenn wir einen Mann vergewaltigen, werden wir den Krieg gewinnen."

Murhabazi fügte hinzu, in der weitgehend noch sehr paternalistisch geprägten Gesellschaft hätten Frauen oft nicht die gleichen Rechte wie Männer und die sexualisierte Gewalt sei daher als symbolreiche geschlechtliche Demütigung zu verstehen: "In einer Gesellschaft, in der die Frau oftmals nicht respektiert ist, wird der vergewaltigte Mann zur Frau gemacht."


Frieden und Sicherheitssektorreform

Die kongolesischen Preisträger wiesen darauf hin, dass sexualisierte Gewalt mit den Ursachen des Konfliktes verbunden sei, konkret mit dem Zugang und der Kontrolle über den großen Ressourcenreichtum des Landes. Eine Befriedung der Region ist nicht in naher Sicht. Die jüngsten Angriffe um Beni ereigneten sich am Weihnachtsabend 2015 mit über 50 Toten und zahlreichen Vergewaltigungen. Der kongolesische Präsident Josef Kabila befand sich zeitgleich in der Provinzhauptstadt Goma, verurteilte aber auch dieses Mal mit keinem Wort die Gräueltaten.

Beide Menschenrechtsverteidiger forderten Deutschland und die EU auf, sich stärker für den Friedensprozess in der Region der Großen Seen zu engagieren: Zum einen auf politischer Ebene durch mehr politischen Druck auf die kongolesische Regierung, um Sicherheitssektor- und Justizreformen voranzutreiben, zum anderen auf lokaler Ebene durch finanzielle Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen. Wichtig sei auch, dass die Nachbarstaaten in einen nachhaltigen Friedensdialog treten und Eigeninteressen in den Hintergrund rücken. Folglich hängen Gewaltschutz, Menschenrechte sowie die Umsetzung der UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit im Osten der DR Kongo von vielen Akteuren vor Ort, in der Region und in Europa ab.


Die Autorin ist Koordinatorin des Ökumenischen Netz Zentralafrika (ÖNZ) in Berlin, eines Zusammenschlusses der kirchlichen Hilfswerke, der sich für Frieden und Menschenrechte in der Region der Großen Seen einsetzt.
http://oenz.de/ *

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2016, S. 30-31
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2016

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