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AFRIKA/1418: Recht und Gerechtigkeit in Südafrikas Weinbaugebieten (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, November/Dezember 2017

Fällt die letzte Bastion?
Recht und Gerechtigkeit in Südafrikas Weinbaugebieten

von Simone Knapp


Die dortigen Farmarbeiter und -arbeiterinnen sind schlecht bezahlt. Sie haben zwar inzwischen mehr Rechte, doch so gut wie keinen Zugang dazu, da Gesetze kaum oder gar nicht implementiert sind. Vielen fehlen auch Informationen über Arbeitsrechte. Gleichzeitig befindet sich der Sektor im Umbruch.


In den letzten Wochen hätte man meinen können, die wirklichen Opfer auf Südafrikas Farmen seien nicht die unterbezahlten, diskriminierten und oft wie Sklaven behandelten Farmarbeiter/innen, sondern die Farmer selbst. Sie demonstrierten schwarz gekleidet, um sich als Opfer von massiver Gewalt und Staatswillkür zu präsentieren. Zeitgleich wurde eine von der Farmerlobby finanzierte Studie über den tatsächlichen Stand der Landumverteilung an ehemals unterprivilegierte Bevölkerungsschichten veröffentlicht, wonach deutlich mehr Land im Besitz von schwarzen Südafrikanern sei, als die Regierung glauben machen wolle.

Die verschiedenen Parteien Südafrikas benutzen nach wie vor die Landfrage, um Stimmen zu fangen. Und gerade das macht die konservativen Kräfte auf dem Land nervös. Denn kurz vor dem ANC-Parteitag werden Forderungen nach Landumverteilung, Enteignung und Rückgabe wieder lauter, nachdem zumindest bei der Mehrheit der Bevölkerung die Meinung vorherrscht, dass die marktorientierte Landpolitik ("willing seller - willing buyer") der Regierung gescheitert sei.


Strukturelle Probleme

Seit die neue Verfassung Südafrikas 1997 und darauf basierende Gesetze und Rechtsregeln in Kraft traten, haben die Farmarbeiter/innen zumindest auf dem Papier unter anderem das Recht auf einen sektoralen Mindestlohn, der allerdings zwischen der Regierung und der Farmervertretung ausgehandelt wird. Sie haben auch das Recht, sich einer Gewerkschaft anzuschließen. Doch gerade hier liegt ein strukturelles Problem: Ihre zuständigen Gewerkschaften operieren nicht flächendeckend, sind ähnlich wie ihr Klientel finanziell und personell miserabel aufgestellt und haben es zudem mit Arbeitgebern zu tun, die zum großen Teil im 19. Jahrhundert verhaftet sind - zumindest was ihre Ansichten über die Rechte ihrer Angestellten betrifft.

An dieser Situation hat auch der Aufstand der Farmarbeiterinnen und Farmarbeiter von 2012 nicht grundsätzlich etwas ändern können. Dieser war möglich geworden, weil inzwischen etwa die Hälfte der Farmarbeitskräfte nicht mehr auf den abgelegenen Farmen lebt. Aufgrund von Entlassung haben sie ihr Wohnrecht auf der Farm eingebüßt und sich Unterkünfte in den nahe gelegenen Kleinstädten suchen müssen. Nicht selten arbeiten sie danach über Arbeitsvermittler als Saison- oder Tagelöhner wieder auf derselben Farm. Damit gibt der Farmer die "Verantwortung" für seine Arbeiter, für Wohnen, Schulen und weitere Infrastruktur an den Staat und für alle arbeitsrelevanten Themen an den Vermittler ab.

Für die Gewerkschaften sind die meist ebenfalls erbärmlichen Siedlungen am Rande der Städte jedoch eine Möglichkeit, mit den Arbeiterinnen und Arbeitern in Kontakt zu kommen, ihnen Hilfsleistungen und Unterstützung anzubieten und sie für die Gewerkschaftsarbeit zu mobilisieren. Denn allzu oft ist es Gewerkschaftern aufgrund des extrem ausgelegten Rechts auf Privateigentum nicht möglich, Zugang zu den Farmen zu erhalten. Hier geraten das Recht auf Privateigentum und das Recht auf Versammlungsfreiheit in Konflikt und die Leidtragenden sind die Farmarbeiterinnen und -arbeiter.


Regierungsmaßnahmen greifen nicht

Viele gesetzliche Initiativen von Seiten der südafrikanischen Regierung haben nicht wirklich gegriffen. Noch bevor sie in Kraft traten, wurden von Seiten der Farmbesitzer Gegenmaßnahmen ergriffen, wie zum Beispiel Entlassungen, wenn es darum ging, Arbeitern, die seit mindestens zehn Jahren auf einer Farm leben und arbeiten, ein lebenslanges Wohnrecht zu garantieren, oder wenn sie sich Gewerkschaften anschlossen. Diese illegalen Maßnahmen werden viel zu selten geahndet, da die Entlassungen anders begründet werden und die Farmarbeiter, wie erwähnt, ihre Rechte selten gut genug kennen. Und noch seltener haben sie die Möglichkeit, sie mit Hilfe von Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen vor Gericht einzuklagen. Gelingt es ihnen jedoch, werden die Fälle oft zugunsten der Arbeiterinnen und Arbeiter entschieden.

Auch das Beteiligungssystem für Farmarbeiter, das sogenannte "equity-share scheme", erzielte nicht den erwarteten Effekt. Es wurde eingeführt, um den langsamen Prozess der Land- und Reichtums-Umverteilung in der Landwirtschaft voranzubringen. Doch bereits die ersten Analysen zeigten, dass sich weder die Machtverhältnisse verändert hatten noch die Gendergerechtigkeit damit näher gekommen ist.

2009 verkündete die Regierung ein Moratorium, da das Beteiligungssystem keine wirkliche Landumverteilung sei, sondern von den Farmbesitzern nur dazu genutzt werden würde, um eine Finanzspritze für ihre Unternehmen sicherzustellen. Für die Farmarbeiter brachte der Anteil an der Farm hingegen keinerlei Vorteile: Es fanden weitere Enteignungen statt und nur ein winzig kleiner Teil erhielt Dividenden aus den Anteilen. Zwei Jahre später wurde das Moratorium wieder aufgehoben, ohne dass etwas an der Maßnahme geändert worden wäre. Tatsächlich erhöht es den Anteil des umverteilten Landes, ohne dass die Betroffenen wirklichen Zugang zum und Entscheidungskompetenz über das Land haben.


Kaum ausreichende Löhne

Gleichzeitig ist der Sektor durchaus im Umbruch. Rund ein Drittel der Farmer haben in den letzten zehn Jahren an andere Farmer verkauft. Denn gegen den enormen Preisdruck der Supermärkte, die den südafrikanischen Wein in großen Mengen in Tanks kaufen, können nur große Farmen und Kellereien bestehen. In Deutschland, dem zweitgrößten Exportland für südafrikanischen Wein, kaufen die vier großen Supermarktketten und zwei Discounter die Weine weit unter dem Weltdurchschnittspreis pro Liter ein.

Der Geschäftsführer von Stellar Organics, Willem Rossouw, erklärt in einem Gespräch, dass er den Farmarbeiter-Lohn nur dann erhöhen könne, wenn er auch deutlich mehr für einen Liter Wein bekommen würde. Ob die Farmer den Mehrwert allerdings tatsächlich weitergeben würden, steht auf einem anderen Blatt.

Der Mindestlohn für Farmarbeiter liegt derzeit bei rund 3000 Rand pro Monat, das sind gerade mal 182 Euro und ist einer der niedrigsten des Landes. Die südafrikanische Menschenrechtsorganisation Pacsa (Pietermaritzburg Agency for Community Social Action) hat aufgrund ihrer Erfahrung mit der Zusammenstellung des Warenkorbs ein Existenzminimum für Familien bei 8000 Rand, also knapp 500 Euro, angesiedelt. Hier wird deutlich, dass gerade die auf dem Land Beschäftigten nicht genug verdienen, um ihre Familien anständig zu ernähren, geschweige denn ihnen eine Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.

Wie eine neue Studie der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) aufzeigt, ist auch der faire Handel hier nicht wirklich eine Lösung. Zwar besteht in der Regel "eine verbesserte Beziehung zwischen Arbeiter/innen und Management. Doch die Bezahlung bleibt extrem gering, die Armut garantiert. Wirklichen ökonomischen Wandel bringt der faire Handel nicht", fasst Christan Selz im KASA-Factsheet Oktober 2017 die Situation zusammen. "Keine der Organisationen für fairen Handel verfolgt eine Agenda der Transformation, stattdessen werden lediglich gesetzliche Mindestanforderungen herangezogen, um so ein Marketinginstrument für den Export zu schaffen", zitiert Selz Carmen Louw, die Co-Geschäftsführerin des Women on Farms Project.


"Empowerment muss von unten kommen"

Wenn schon die als fair eingestuften Farmen sich nur an die gesetzlichen Vorgaben halten, wie sieht es dann auf den nicht zertifizierten Farmen aus?

Der dänische Filmemacher Tom Heinemann hat mit seinem Dokumentarfilm "Bitter Grapes" nicht nur eine Debatte über die Missstände auf den Farmen in Gang gesetzt, sondern auch dazu beigetragen, dass Kontrolleure des Landwirtschaftsministeriums den Anschuldigungen nachgegangen sind. Und sie sind fündig geworden, sei es in Bezug auf Arbeitsschutz im Umgang mit Pestiziden, unrechtmäßigen Lohnabzügen oder katastrophalen Lebensbedingungen auf den Farmen. Themen, die für das Rural Legal Centre, der Farmarbeitergewerkschaft CSAAWU in Robertson, alltäglich sind. Zu ihnen kommen Farmarbeiterinnen und Farmarbeiter, die ihre Arbeit und dadurch gleichzeitig auch das Wohnrecht auf der Farm verloren haben. Sie erfahren von Misshandlungen körperlicher und seelischer Art, von sexuellen Übergriffen und Schikanen, und zwar besonders dann, wenn sich die Arbeiterinnen und Arbeiter zu wehren beginnen oder Mitglieder in der Gewerkschaft werden.

Solange diese Machtverhältnisse so sind, solange die Gewerkschaften keinen Zugang zu den Farmarbeitern haben, um diese in ihren Rechten zu stärken und zu vertreten, solange die Gewerkschaften selbst so schwach und unterfinanziert sind, wird sich hier nichts ändern. Denn, so Mercia Andrews, Direktorin von TCOE (Trust for Community Outreach and Education), bei einer Veranstaltung in Berlin über die Macht der Supermarktketten: "Das Empowerment der Farmarbeiter/innen muss von unten kommen, wir als Gewerkschaften oder NGOs können sie nur unterstützen und begleiten, aber das nicht für sie übernehmen. Und nur dann wird sich etwas verändern."

Doch für eine echte Transformation muss sich auch in der Lieferkette etwas bewegen. Dort nämlich darf die Umsetzung von Menschen- und Arbeitsrechten nicht den Marktgesetzen überlassen werden. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, in denen die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in der Lieferkette festgeschrieben ist, müssen endlich auch in Deutschland verbindlich geregelt werden.


Die Autorin ist Koordinatorin der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg.


Literatur

Billig verkauft - teuer bezahlt. Die Macht deutscher Supermarktketten und Arbeitsbedingungen von Frauen auf Traubenfarmen in Südafrika, Oxfam, Berlin, September 2017, www.oxfam.de

Mehr Rechte, aber nicht mehr Geld, KASA-Factsheet Oktober 2017, www.kasa.de

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
46. Jahrgang, Nr. 6, November/Dezember 2017, S. 17-18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2018

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