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AFRIKA/797: Begegnung mit Äthiopierinnen, die um ihre Rechte kämpfen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 111, 1/10

Im Aufbruch
Begegnung mit Äthiopierinnen, die um ihre Rechte kämpfen

Von Gertrude Eigelsreiter-Jashari


Im November 2009 führte eine gendersensible Begegnungs- und JournalistInnenreise nach Äthiopien, bei der die österreichischen BesucherInnen Frauengruppen in Stadt und Land besuchten und Einblicke in die Umsetzung von Frauen- und Menschenrechten bekamen. Die Reise wurde vom Südwind Niederösterreich (NÖ) in Zusammenarbeit mit dem regionalen Koordinierungsbüro der Austrian Development Agency (ADA) in Addis Abeba durchgeführt.


"Stop Violence Against Women" oder "Gewalt soll nicht versteckt, sondern darüber berichtet werden! - Freie Beratung und Information Tel. Nr. 940". Solche Plakate sind in Äthiopien nicht nur in den großen Städten zu sehen, sondern auch in den sechs Regionen, in denen EWLA aktiv ist.


Aktive Rechtsanwältinnen

EWLA, die "Vereinigung äthiopischer Rechtsanwältinnen", setzt sich mit Kampagnen gegen die Gewalt an Frauen ein, bietet Rechtsberatung und Information und kämpft mit äthiopischen Frauen für Gleichberechtigung.

Äthiopien hat viele alte Traditionen, die für Mädchen und Frauen große Probleme darstellen und in internationalen Dokumenten mittlerweile auch als das benannt werden, was sie sind, nämlich Gewalt und Missachtung der Menschenrechte. So sind etwa viele betroffen von weiblicher Genitalverstümmelung - obwohl gesetzlich verboten -, von Heirat im Kindesalter und von häuslicher Gewalt. Während die gesetzlichen Regelungen in den letzten Jahren einem internationalen Standard angepasst wurden, ist die Umsetzung noch äußerst schwierig.


Große Herausforderungen

Bildung, Gesundheit, Armut, ländliche Entwicklung, das sind die großen Themen, die von EWLA vorrangig behandelt werden. Frauenrechte stehen dabei nicht an erster Stelle. EWLA hilft Frauen ihre Rechte einzuklagen. Zenaye Tadessa, ehemalige Richterin und Leiterin der EWLA, möchte gute Traditionen weiterführen, schlechte aber abschaffen. EWLA informiert Frauen über ihre Rechte und hilft beim Einfordern derselben. Die Vereinigung besteht seit 15 Jahren und wird auch von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) unterstützt.

Seit 2008 betreibt sie eine intensiv genutzte Hotline mit neun Mitarbeiterinnen.

Zenaye Tadessa ist es aber nicht nur wichtig, für Frauenrechte zu kämpfen, sondern auch, sich für eine Veränderung der Gesellschaft einzusetzen. Dazu werden Aufklärungskampagnen für die breite Öffentlichkeit durchgeführt. Wesentliche Erfolge der Frauenorganisation waren die Durchsetzung der Reform des äthiopischen Familienrechts im Jahr 2000 sowie die Neufassung des Strafrechts 2004, das Vergewaltigung und Genitalverstümmelung mit strengen Strafen belegt.


Auf dem Land

85% der fast 80 Millionen ÄthiopierInnen leben auf dem Land. Einer der Begegnungsorte der österreichischen Reisegruppe war das im Norden Äthiopiens gelegene Dorf Tikel Denga, das übersetzt aus dem Amharischen "große Steine" bedeutet. Das äthiopische Hochland, mit seinen höchsten Erhebungen von bis zu 4600 Höhenmetern, wird trotz karger Vegetation bis 3200 m bewirtschaftet. Im Rahmen des regionalen Entwicklungsprogrammes "Sustainable Ressource Management Programme" (SRMP), das auch von der OEZA unterstützt wird, machte die lokale Projektmanagerin Ribka Tekiu die österreichischen Gäste mit den Bäuerinnen Yeshalem Adane und Ejensu Sisan bekannt.

Seit Kurzem werden hier in diesem Dorf Ziegen gezüchtet, Brennholz sparende Kochstellen produziert, der Kompost wird verarbeitet und Bodenkonservierung wird durchgeführt. Die Lebenssituation und das Einkommen von Yeshalem Adane haben sich seither deutlich verbessert. Sie erzählte uns, dass sie selbst nicht lesen kann, doch ihre Kinder haben Dank dieses Projektes die Möglichkeit, die Schule zu besuchen.

Die Projektmanagerin Ribka Teki erklärte uns die Vorteile des Projektes: Ertragreichere Getreidesorten werden eingeführt, und es wird auf Vielfalt bei der Anpflanzung geachtet. Maßnahmen gegen die Bodenerosion gehören genauso zum Programm wie Zäune, die den Baumbestand vor Verbiss schützen. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Wassermanagement. All diese Maßnahmen zur Nachhaltigkeit werden von lokalen Expertinnen und Experten erarbeitet und mit den BewohnerInnen des Dorfes gemeinsam diskutiert. Bis vor kurzem war Landbesitz in Äthiopien nicht möglich. Durch die neu eingeführten Nutzungsrechte, die auf die Familien übertragen werden, haben sich, in Kombination mit der Landreform, in den letzten Jahren deutliche Erfolge gezeigt, die es ermöglichten, Überschüsse aus der Landwirtschaft auf dem Markt zu verkaufen.


Gemeinsam eine würdige Zukunft gestalten

Yeshalem Adane wurde von den 80 Frauen, die in der lokalen Frauenorganisation zusammengeschlossen sind, als ihre Vorsitzende gewählt. Sooft es der Arbeitsalltag erlaubt, organisiert sie unter den Frauen Treffen, um über frauenspezifische Probleme zu reden und gemeinsam Lösungen zu finden.

Für uns neun Frauen aus der Reisegruppe war es spontan möglich, ein Gespräch mit den beiden "unter Frauen" zu führen. Ejensu Sisan hat uns in ihre Bäuerinnenküche eingeladen, Ribka Teki übersetzte vom Amharischen ins Englische. Nachdem wir nach ihrem Alltag gefragt hatten, schlug sie uns vor, die Antwort in Gedichtform vorzutragen. Wir waren tief berührt und beeindruckt von den Herausforderungen ihres Lebens und auch von der poetischen Form des Vortrags. Ein großes Problem sei die Aggressivität der Männer. Ejensu Sisan hat sieben Kinder und hatte sich zwischenzeitlich von ihrem Mann getrennt, obwohl die materielle Situation sehr schwierig ist. Für die Frauen im Dorf und ihre Durchsetzungsfähigkeit ist es äußerst wichtig, sich zu organisieren und sich auszutauschen. Die staatliche Verwaltung auf Dorfebene organisiert auch Trainings für Männer. Sie haben große Hoffnungen, dass sich die Situation für die Frauen verbessert. Bildung ist dabei ein Schlüsselfaktor. Zwei Kinder von Ejensu Sisan, eine Tochter und ein Sohn, studieren in Bahir Dar. Auch das macht Hoffnung.


Ein großer Stock als Hochzeitsgeschenk

Unter den mehr als 80 verschiedenen Ethnien in Äthiopien gibt es auch solche, in denen matriarchale Elemente enthalten sind bzw. die Traditionen pflegen, die nachahmenswert erscheinen. Die folgende Geschichte über den traditionellen Umgang von Frauen mit männlicher Gewalt hat uns der 26-jährige Jaba Alemayehu erzählt, der eineinhalb Jahre am Gender-Institut in Addis Abeba mitgearbeitet hat: Jede Frau bekommt bei ihrer Hochzeit von ihrer Mutter einen langen Stock geschenkt. Wenn die verheiratete Frau, die in die Herkunftsfamilie ihres Mannes zieht, ihr Elternhaus verlässt, nimmt sie diesen Stock als wichtiges Hochzeitsgeschenk ihrer Mutter mit. Sollte der Ehemann je gewalttätig werden, holt die Frau ihren Stock, geht damit auf den Dorfplatz und setzt sich unter einen Baum. Sobald die anderen Frauen aus ihren Rundhäusern kommen und ihre Nachbarin mit dem Stock unterm Baum sitzen sehen, wissen sie, was los ist. Sie holen ebenfalls ihren Stock und setzten sich zu ihrer in Bedrängnis geratenen Nachbarin. Dort bleiben sie so lange sitzen, bis das Problem gelöst ist. Dadurch ist nicht nur der Ehemann der bedrängten Frau unter Zugzwang, sondern alle anderen Männer des Dorfes sehen sich gezwungen, auf diesen Mann einzuwirken, weil sie interessiert daran sind, dass ihre Ehefrauen ihre Arbeiten wieder aufnehmen. Gleichzeitig wird so aus einem angeblich privaten Problem ein öffentliches und dieses gemeinsam gelöst.


Äthiopien - Österreich: ein Ausblick

Der geplante Gegenbesuch von Äthiopierinnen nach Österreich wird im Oktober 2010 anlässlich des Internationalen Landfrauentages stattfinden. Die äthiopischen Besucherinnen sollen im Gegenzug die Möglichkeit haben, in Österreich frauenspezifische Einrichtungen kennen zu lernen. Maria Rigler, Leiterin des Frauenreferats des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung und Reiseteilnehmerin, erwartet sich in Hinkunft eine verstärkte Zusammenarbeit mit äthiopischen Frauen. Als ersten Schritt wird sie mit den für Oktober eingeladenen Äthiopierinnen im Landhaus St. Pölten den Internationalen Landfrauentag prominent und mit breiter Beteiligung für alle Frauen in Niederösterreich gestalten. Südwind NÖ wird im Jahr 2010 im Rahmen seines Afrika-Schwerpunktes in Österreich lebende Äthiopierinnen verstärkt als Expertinnen zu Seminaren heranziehen.


Informationen, Podcasts und Veranstaltungshinweise zur Begegnungsreise:
www.suedwind-noewest.at


Web- und Lesetipps:
"Ethiopian Women Lawyers Association - Vereinigung äthiopischer Rechtsanwältinnen:
www.entwicklung.at/aktuelles/yes-we-can-aber-wandel-braucht-zeit.html
"Frauenrechte -Länderprofil Äthiopien:
http://dp.vidc.org/fileadmin/Bibliothek/DP/pdfs/G LP/glpaethiopien update.pdf
"Eigelsreiter-Jashari,Gertrude: Frauenwelten - Frauensolidarität.
Reflexionen über Nord-Süd-Begegnungsreisen (Frankfurt am Main 2004).

Zur Autorin:
Gertrude Eigelsreiter-Jashari ist Lektorin an der Universität Wien und Geschäftsführerin von Südwind NÖ in St. Pölten, wo sie das Projekt "Begegnungen Äthiopien-Österreich" leitet. Sie lebt in Lilienfeld (NÖ).


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 111, 1/2010, S. 24-25
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2010