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AFRIKA/816: Ein Kick für Südafrika? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2010

Ein Kick für Südafrika?
Die Fußballweltmeisterschaft eröffnet neue Chancen

Von Mona Husemöller


"Africa's calling!" - unter diesem Motto findet jetzt die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika statt. Als die FIFA 2004 die WM an Südafrika vergab, brach eine große Kontroverse aus. Viel wurde im Vorfeld gezweifelt und spekuliert. Zu den größten organisatorischen Herausforderungen gehörten Fragen der Sicherheit, des Transports und der Unterkünfte. Würde das Land, welches sich immer noch im demokratischen Wandlungsprozess befindet, einen reibungslosen Ablauf der WM gewährleisten können?


Mit Spannung wird der Fußballweltmeisterschaft am Kap entgegengefiebert. Rund eine halbe Million Fußballfans werden im Sommer in Südafrika erwartet und der Tourismusbranche so einen Riesengewinn bescheren. Laut Prognosen soll die WM ein halbes Prozent zum Wirtschaftswachstum Südafrikas im Jahr 2010 beitragen.

In den letzten Jahren glichen die zehn Austragungsorte des Landes einer Großbaustelle. Fünf neue Fußballstadien wurden extra für die WM gebaut, fünf weitere wurden kostenaufwändig renoviert. Das Stadion in Durban z.B. kostete den Staat rund 372 Millionen US-Dollar - eine enorme Summe, bedenkt man, dass die Küstenstadt bereits ein Stadion hat.

Nachdem die anfängliche Euphorie abgeklungen war, meldeten sich viele Kritiker zu Wort, die erstmals in Frage stellten, ob sich das Schwellenland das sportliche Großereignis überhaupt leisten könne. Südafrika ist ein Land, das von Ungleichheit, Armut, Arbeitslosigkeit und einer hohen HIV-Infektionsrate geprägt ist. Im Ausland hat das Südafrika der Post-Apartheid vor allem wegen seiner hohen Rate an Gewaltdelikten traurige Berühmtheit erlangt. Bevor das Land neue Stadien braucht, wäre es da nicht sinnvoller, in Häuser, Schulen und Krankenhäuser zu investieren?


Viele Probleme noch offen

Als Jacob Zuma im Mai 2009 zum Präsidenten gewählt wurde, erhofften sich viele Südafrikaner eine Verbesserung ihrer misslichen Lage. In dem ersten Jahr seiner Präsidentschaft zeigte sich Zuma voller Tatendrang. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Thabo Mbeki, der vielen als elitär und fern dem Volke schien, suchte Zuma die Nähe seiner Wähler und vermittelte ihnen, dass er ein offenes Ohr für ihre Belange hat.

Jedoch sind viele von Zumas Wahlversprechen uneingelöst geblieben. Immer noch leben Millionen Menschen in so genannten squatter camps, in Slums, die kurz vor den reichen Vorstädten Johannesburgs und Kapstadts liegen. Schätzungsweise 40% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit steigt ohne Halt. Nach offiziellen Angaben sind 25% der Südafrikaner ohne Arbeit, die wirkliche Zahl soll sich jedoch der Marke von 40% nähern.

Korruption und Misswirtschaft sind zwei von Südafrikas größten Schwächen. Durch sie werden der ohnehin schlechte öffentliche Dienstleistungssektor und die Lieferung von staatlichem Service weiter geschwächt. Vor allem in den Townships und ländlichen Gegenden ist die Serviceleistung von Missständen gezeichnet. Die Strom- und Wasserversorgung sowie das Abwassersystem lassen zu wünschen übrig, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen sind oft veraltet und überfüllt, und auch der Wohnungsbau ist von Korruption und Pfuscherei gezeichnet.

Im Frühjahr und Sommer 2009 kam es vor allem in ärmeren Gegenden zu zahlreichen sozialen Unruhen und gewaltsamen Demonstrationen. Innerhalb der Bevölkerung machte sich aufgrund von chronischer Armut und einem hoffnungslos ineffizienten öffentlichen Dienst Frustration breit. Während die Vorbereitungen auf die Fußballweltmeisterschaft 2010 auf Hochtouren liefen, fühlten sich viele Südafrikaner von der Regierung vergessen.


Fragwürdige Investitionen

Vor allem die hohen Investitionen in den Bau neuer Stadien stoßen auf scharfe Kritik, da ihre nachhaltige Nutzung bislang nicht gesichert ist. Während der einmonatigen WM-Austragung werden die Arenen zwar voll von fußballbegeisterten Fans sein. Wie sie aber danach genutzt werden sollen, ist noch völlig offen. Gerade kleinere Städte, wie Rustenberg oder Polokwane, erleben nicht die Nachfrage nach Großereignissen, die notwendig wäre, um Stadien dieser Größenordnung füllen zu können.

Andere Infrastrukturprojekte werden durchaus positiver bewertet. Das öffentliche Verkehrssystem, welches praktisch nicht vorhanden war, wurde im Vorfeld der WM ausgebaut. Das nationale Prestigeprojekt, die Gautrain, die Johannesburg und Pretoria mit dem O.R. Tambo International Airport verbindet, soll die Touristen in die Städte transportieren. Ein neues Schnellbussystem mit dem Namen Rea Vaya wurde errichtet, um den Transport innerhalb der Städte zu gewährleisten. Waren Millionen von Pendlern in den Metropolen bisher auf überladene Minibustaxis angewiesen, soll mit dem neuen Bussystem ein sichererer, günstigerer und schnellerer Transport gewährleistet werden - eine Innovation, die längst überfällig war. Rea Vaya wird von der Bevölkerung jedoch wenig genutzt, bislang bleiben die Busse leer.


WM ohne Südafrikaner?

Die hohen Investitionen im Rahmen der WM kommen lediglich den WM-Austragungsorten zugute - Städte, in denen es ohnehin schon Infrastruktur gibt. An dem Großteil der Bevölkerung Südafrikas, der immer noch in ländlichen Gegenden lebt, geht der Investitionsboom vorbei. Vor allem die FIFA wurde im Vorfeld der WM stark kritisiert. Kritiker gingen so weit, dem Fußballverband diktatorisches Verhalten vorzuwerfen. Strenge Lizenzregelungen der FIFA machen es lokalen Unternehmern beinahe unmöglich, von der Kauflust der Fußballfans zu profitieren. Es bleibt daher fraglich, inwiefern die lokale Wirtschaft von dem Großereignis profitieren wird.

Auch kam es zu Zwangsumsiedlungen von Bewohnern der informal settlements, um dieses andere, unschöne Gesicht Südafrikas vor den Touristen zu verbergen. Alte, Kranke und Obdachlose will man nun in Lager außerhalb der Städte verfrachten, um ja nicht die Feierlaune der Fußballfans zu gefährden. Für die vielen fußballbegeisterten Afrikaner ist es außerdem schwer, an Tickets für die Spiele zu gelangen. Hohe Preise für Eintrittskarten, die man ausschließlich online und per Kreditkarte erwerben kann, schließen Millionen von Afrikanern von dem Großspektakel aus.


Südafrikas Chance

Trotz aller Kritik und Zweifel im Vorfeld: Südafrika ist sehr wohl in der Lage, eine erfolgreiche Weltmeisterschaft durchzuführen. Schwarzmalerei und Übertreibung haben unnötig Ängste und Panik geschürt. Südafrika ist eine stabile Demokratie mit einer funktionierenden Opposition. Trotz der globalen Wirtschaftskrise bleibt das Land ökonomisches Zugpferd auf dem Kontinent. Die Infrastruktur in Südafrika ist generell von hoher Qualität. Die WM rückt das Land ins Rampenlicht und bietet ihm so die einmalige Chance, sein Image in der internationalen Gemeinschaft aufzubessern. Als Test für die Fußball-WM wurde 2009 bereits der FIFA Confederations Cup in Südafrika ausgetragen - mit beachtlichem Erfolg und ohne größere Zwischenfälle.

Südafrika wird auch in Zukunft zeigen müssen, ob es mit seinen sozialen Unruhen umgehen und die Sprengkraft der Proteste in den Griff bekommen kann. Zuma wird beweisen müssen, dass er im Wahlkampf keine leeren Versprechen gab und dass er seinen vielen Ideen und Initiativen Resultate folgen lässt. Die Fußball-WM wird dem Land lediglich einen Kick geben, für eine nachhaltige Veränderung im Land benötigt es jedoch mehr. Die Wurzeln der Konflikte und der Missstände liegen tief, weshalb es Zumas Aufgabe der nächsten Jahre sein wird, eine gerechte und gleiche Gesellschaft mit einem starken sozialen Netzwerk aufzubauen. Eine Aufgabe, die Zeit, Geduld und die Bereitschaft aller Parteien, Organisationen und Bevölkerungsgruppen in Südafrika benötigt.


Mona Husemöller (* 1988) studiert Conflict Studies an der London School of Economics and Political Science.
mona.husemoeller@gmx.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2010, S. 33-36
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2010