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AFRIKA/832: Bedrohte Existenz von Milchviehhaltern in Burkina Faso (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 334 - Juni 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Auf der Flucht vor der Stadt
Die Existenz von Milchviehhaltern wie Saidou Cisse wird in
Burkina Faso immer wieder von der wachsenden Hauptstadt bedroht

Von Berit Thomsen


Als Saidou Cisse (42) vor gar nicht langer Zeit morgens aus der Tür trat, ahnte er schon, dass er über Nacht ein armer Mann geworden war. Seine fünf Kühe standen nicht mehr neben - der Hütte, wie sie es sonst immer getan hatten. Die Tiere hat er nie wieder gesehen. "Sie sind mir gestohlen worden", sagt Cisse. Fünfzehn Liter Milch hätten sie in den besten Zeiten zusammen am Tag gegeben, die Milch für die Nachzucht abgezogen. Da hatte Saidou Cisse seinen kleinen Hof noch in Dassasgho, einem Stadtteil mitten in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso.


Städte werden zu Molochs

In Dassasgho stehen die Rinder unbeeindruckt von dem Stadtgetümmel um sie herum auf den Straßen. Die Bevölkerungszahlen in Burkina Faso steigen steil nach oben. Im Jahr 1965 lebten vier Millionen Menschen in dem westafrikanischen Land. Heute sind es knapp vierzehn Millionen. In den letzten Jahren hat sich die Einwohnerzahl in der Hauptstadt verdoppelt. An den Stadträndern fressen sich die kleinen Lehmhütten immer weiter in das Land rein. Eines Tages war auch Saidou Cisses Hof von der Stadt umzingelt. Jetzt lebt er mit seiner Familie in Yagma, etwa zehn Kilometer vom Stadtrand entfernt. Die Regierung und deutsche Hilfsorganisationen unterstützen ihn und viele andere Milchbauern bei der Umsiedlung. Cisse konnte mit seiner Frau und seinen fünf Kindern eine vier Quadratmeter große Lehmhütte beziehen. Er zahlt fünfhundert CFA-Franc im Monat. Soviel bekommt er für knapp zwei Liter Milch.


Drei Liter pro Tier und Tag

Morgens um sechs Uhr beginnt langsam das Leben in dem neuen Dorf Yagma, in dem es keine Moschee, keinen Laden, keine Schule, keinen Dorfkern gibt. Ausschließlich Bauernhöfe. Djenèba Cisse (32), die Frau von Saidou, melkt die nachgezogenen oder neu angeschafften vier Kühe. Die Tiere werden nie angebunden oder eingezäunt. Beim Melken bindet sie die Hinterbeine zusammen und lässt als erstes die Kälber trinken. Dann hockt sie sich neben die Kuh und nach zehn Minuten sind rund eineinhalb Liter Milch in der Kalebasse. Ihr achtjähriger Sohn Mohamed und ihr Mann füttern den Kühen gemahlene Maiskolbenreste. Mit dem zugekauften Futter hält Saidou Cisse auch in der Trockenzeit, die fast acht Monate dauert, die Milchleistung auf durchschnittlich drei Liter pro Tier und Tag. Überall im Land dürrt nach der Regenzeit die Prärie aus und irgendwann wird das Futter knapp. Das ist für viele Milchbauern der begrenzende Faktor in der Milchproduktion. Die traditionellen Hirtenvölker stellen langsam um auf die Milcherzeugung, da sie zunehmend sesshaft werden. Das Wissen und die Erfahrungen im Futteranbau sind oftmals noch nicht überall hin gedrungen. Saidou Cisse ist geschult: "Ich plane, künftig Heu zu machen."

Noch vor acht Uhr kommt der Hirte wie an jedem anderen Tag und sammelt die Tiere im Dorf von mehreren Bauern zusammen. Er holt auch alle elf Rinder von der Familie Cisse ab und verschwindet mit dem Tross langsam im Busch. Er wird den ganzen Tag unterwegs sein. Die beiden ältesten der fünf Kinder, Oumou (10) und Mohamed, sind schon auf dem Weg zur Schule. Djenèba beginnt damit, immer wieder Hirse in eine Art Riesenmörser zu stampfen, um daraus Hirsebrei für die Familie zu kochen.


Milchabholung per Pedale

Zwei kleine bunte Plastikbehälter rollen auf zwei Rädern durch die Savanne auf die Lehmhütte von Cisse zu. Ein junges Mädchen kommt mit dem Fahrrad aus Ouagadougou, um die Milch von diesem Hof abzuholen. Sieben Liter fließen in die Behälter auf dem Gepäckträger. Sie verkauft die Milch in vielen kleinen Portionen direkt in der Hauptstadt. Zweitausendachthundert CFA-Franc nimmt der Bauer am Morgen ein. Sein Vorteil gegenüber vielen seiner Kollegen in Burkina Faso, die tief im Land wohnen, ist die Nähe zum Absatzmarkt Stadt.


Segen und Fluch in einem

Für einen Liter Milch erhält Cisse umgerechnet sechsundvierzig Cent. Überschlägt man die Einnahmen aus dem Milchverkauf, nimmt die Familie rund zweihundertsechzig Euro im Monat ein. Das reicht, um die Familie zu ernähren, Futter für die Tiere zu kaufen, Ärzte zu bezahlen, die Kinder in die Schule zu schicken. Liegen große Ausgaben an, dann verkauft Saidou Cisse ein Tier. "Wir sind zufrieden", sagt er. "Aber wir haben auch keine Alternativen." Er möchte irgendwann eine größere Hütte haben und mehr Tiere. Tagsüber ist es heiß in Yagma. Die Menschen sitzen an den Hauswänden in den kleinen Schattenecken oder in den kühleren Lehmhütten. Mit dem Abend kehrt auch das Leben zurück. Der Hirte bringt den Bauern ihre Tiere. Dann wird gemolken, gefüttert und getränkt. Anschließend kocht Djenèbe Cisse Hirsebrei. Alle sitzen vor der Hütte auf kleinen Hockern oder Holzbänken zum Essen. Die Sonne rutscht schnell hinter den Horizont weg und die frühe Tropendunkelheit setzt ein. Es gibt nichts mehr zu tun. Die Dorfstraßen leeren sich. Währenddessen wächst Ouagadougou. Wenn es so weiter geht, dann wird die Hauptstadt auch Yagma umzingeln. Der attraktive Absatzmarkt ist für Saidou Cisse Segen und Fluch zugleich.


Der Betrieb von Saidou Cisse wurde für die neue Fotoausstellung "Mensch Macht Milch" porträtiert, die von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Germanwatch und weiteren Partnern herausgegeben wurde mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Fotoausstellung kann gegen Transportgebühren ausgeliehen werden.
Infos: thomsen@abl-ev. de, 02381-9053172.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 334 - Juni 2010, S. 20
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2010