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ASIEN/563: Die Außen- und Atompolitik Pakistans (inamo)


inamo Heft 56 - Berichte & Analysen - Winter 2008
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Die Außen- und Atompolitik Pakistans

Von Christian Wagner


Seit der Unabhängigkeit 1947 bestimmen das Verhältnis zu Indien und der Konflikt um Kaschmir die Außenpolitik Pakistans. Beide Staaten haben seitdem vier Kriege gegeneinander geführt (1947/48, 1965, 1971, 1999) und die Kaschmirfrage war Auslöser für zahllose bilaterale Krisen. Der Konflikt hatte aber auch weit reichende nationale, regionale und internationale Folgen für Pakistan. Innenpolitisch förderte er die Vorherrschaft der Streitkräfte, die seit dem ersten Putsch General Ayub Khans 1958 die innen- und außenpolitischen Entwicklungen prägen. Im regionalen Kontext war die Unterstützung der Taliban in den neunziger Jahren von der Vorstellung geleitet, durch eine Kontrolle Afghanistans "strategische Tiefe" gegenüber Indien zu erlangen. International führte der Konflikt mit Indien seit den 1950er und 1960er Jahren zu guten Beziehungen mit den USA und China. Das Atomprogramm erfolgte in Reaktion auf die Niederlage und Teilung des Landes 1971. Pakistan nutzte es auch, um seinen Führungsanspruch in der muslimischen Welt zu bekräftigen.


Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts durchlaufen die Parameter der pakistanischen Außenpolitik einen tief greifenden Wandel. Auf internationaler Ebene haben die USA und z. T. auch China ihre zuvor gleichrangigen Beziehungen zu Indien und Pakistan voneinander entkoppelt. Indiens ökonomische Erfolge seit den 1990er Jahren haben den Weg für strategische Partnerschaft mit den USA und für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China geebnet. Pakistan ist zwar für beide Staaten weiterhin ein wichtiger Verbündeter, doch hat es seine frühere strategische Bedeutung gegenüber Indien für die Regierungen in Washington und Peking eingebüßt. Im regionalen Kontext hat der von Indien 2003 initiierte Prozess der Annäherung das bilaterale Verhältnis zu Pakistan deutlich verbessert. Waren die bilateralen Beziehungen bis dahin stets eine "Geisel" des Kaschmirkonflikts, so sind sie 2008 so gut wie nie zuvor in der über sechzigjährigen Geschichte beider Staaten. Demgegenüber hat sich das Verhältnis zu Afghanistan aufgrund der Infiltration islamistischer Gruppen, die ihre Rückzugsgebiete in den Federally Administered Tribal Areas (FATA) haben, deutlich verschlechtert. Vor diesem Hintergrund wird die Diskussion über das pakistanische Nuklearprogramm heute nicht mehr vom indisch-pakistanischen Konflikt, sondern von der Gefahr des Staatszerfalls oder einer Machtübernahme durch islamistische Gruppen bestimmt.

Der Streit um die Zugehörigkeit Kaschmirs war Ursache für drei der insgesamt vier Kriege zwischen Indien und Pakistan. Eine Reihe von Resolutionen der UNO wurden aber weder von Indien noch von Pakistan umgesetzt, so dass das frühere Königreich Kaschmir seit dem ersten Krieg 1947/48 geteilt ist. In Pakistan festigte der Konflikt mit Indien die Rolle der Armee. Nach dem ersten Putsch 1958 entwickelte sich das Land zu einem "Garnisonsstaat"(1). Kaschmir wurde zugleich ein wichtiges Identität stiftendes Band für die pakistanische Gesellschaft, die in eine Vielzahl ethnischer und religiöser Konflikte gespalten ist. Der Konflikt um Kaschmir und die vermeintliche Bedrohung durch Indien diente den Streitkräften auch als Rechtfertigung für die anhaltend hohen Rüstungsausgaben, die 2002 noch 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betrugen. Der Konflikt war auch der Anlass, Mitte der fünfziger Jahre westlichen Verteidigungsbündnissen wie der South East Asia Treaty Organisation (SEATO) beizutreten. Damit begann die bis heute anhaltende militärische Zusammenarbeit mit den USA. Aufgrund des indisch-chinesischen Konflikts wurde Pakistan seit den sechziger Jahren auch der wichtigste Verbündete der VR China in Südasien.


Pakistanische Außenpolitik zwischen Indien und Afghanistan

In Reaktion auf die vernichtende militärische Niederlage gegen Indien 1971 und die daran anschließende Abspaltung Ostpakistans entwickelte Pakistan ein eigenes Atomprogramm. Obwohl Pakistan, wie Indien, den Nichtverbreitungsvertrag für Kernwaffen (NVV) nicht unterzeichneten, konnte es im Verlauf der achtziger Jahre sein Nuklearprogramm entwickeln und verfügte vermutlich ab 1987 über eigene Nuklearwaffen. Mit den Atomtests vom Mai 1998 etablierte sich ein "Gleichgewicht des Schreckens" in Südasien. Die nukleare Abschreckung brachte jedoch keine dauerhafte Stabilität zwischen beiden Staaten. Im Winter 1998/99 schleuste das pakistanische Militär bewaffnete Gruppen in Kaschmir ein, was im Frühsommer 1999 zur bislang letzten militärischen Auseinandersetzung zwischen Indien und Pakistan in der Region Kargil führte. Das nukleare Gleichgewicht brachte somit keine Stabilität, da der Einsatz nichtstaatlicher Akteure weiterhin kriegerische Konflikte zwischen beiden Staaten ermöglichte. Politisch zielte Pakistan mit dieser Strategie auf eine Internationalisierung des Kaschmirkonflikts ab, die von Indien strikt abgelehnt wurde.

Die Beziehungen Pakistans zu Afghanistan waren ebenfalls schwierig. Afghanistan stand der Gründung Pakistans ablehnend gegenüber und erhob territoriale Forderungen auf die paschtunischen Gebiete in der Nordwestgrenzprovinz (NWFP). Als einziges Land stimmte es es deshalb gegen die Aufnahme Pakistans in die UNO. Afghanische Regierungen machten in den sechziger und siebziger Jahren wiederholt territoriale Forderungen auf die paschtunischen Gebiete in Pakistan geltend, die das bilaterale Verhältnis belasteten. So weigert sich Afghanistan bis heute, die Durand-Linie als Grenze anzuerkennen. Während der sowjetischen Besetzung Afghanistans wurde das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet in den achtziger Jahren zum Zentrum des Widerstands. Der pakistanische Geheimdienst Inter-Services Intelligence (ISI) bildete afghanische Mujahedin mit umfangreicher materieller und finanzieller Unterstützung aus den USA und Saudi-Arabien für den Kampf gegen die sowjetischen Truppen aus.

Nach dem Ende der sowjetischen Besetzung Afghanistans 1988/89 verband die pakistanische Militärführung das politische Vakuum in Afghanistan mit der Kaschmirfrage. Ziel war es, durch eine Kontrolle der Regierung in Kabul "strategische Tiefe" für den nächsten Konflikt mit Indien zu gewinnen.(2) Afghanistan sollte als Ausbildungs- und Rückzugsgebiet für militante Gruppen dienen, die das Militär bereits in den Kriegen 1947/48 und 1965 gegen Indien eingesetzt hatte. Zugleich begann der 181, ehemalige Mujahedin aus Afghanistan in den indischen Teil Kaschmirs einzuschleusen und unterstützte dort militante islamistische Gruppen, die den Anschluss Kaschmirs an Pakistan forderten.

In den 90er Jahren förderte die pakistanische Armee die Taliban, die zuvor in pakistanischen Koranschulen ausgebildet worden waren. Sie übernahmen 1996 die Macht in Kabul. Pakistan gehörte zu den wenigen Staaten, die das neue Regime anerkannten. Mit ihrer religiösen Ausrichtung sollten die Taliban ein Gegengewicht zum paschtunischen Nationalismus bilden, der in den sechziger und siebziger Jahren noch die territoriale Einheit Pakistans in Frage gestellt hatte. Damit hatte die pakistanische Militärführung im Verlauf der neunziger Jahre die zuvor getrennt voneinander gepflegten bilateralen Beziehungen zu Indien und Afghanistan zu einem Komplex verbunden. Sie unterstützte militante islamistische Gruppen in Kaschmir und Afghanistan, um ihre außenpolitischen Interessen gegenüber Indien durchzusetzen.


Wandel der Außenpolitik gegenüber Indien

Die militärische Intervention in Afghanistan nach 9/11 2001 und der Sturz der Taliban hatten auch Rückwirkungen auf die pakistanische Außenpolitik. Unter massivem Druck Washingtons stellte sich General Musharraf, der im Oktober 1999 mit einem Putsch die Macht übernommen hatte, an die Seite der USA im Kampf gegen den Terrorismus. Pakistan beendete damit zunächst die Unterstützung für die Taliban, förderte jedoch weiterhin islamistische Gruppen in Kaschmir, die im Dezember 2001 das indische Parlament angriffen. In Reaktion auf die gescheiterte Erstürmung drohte die indische Regierung mit Militärschlägen, um die Infrastruktur der militanten Gruppen in Kaschmir zu zerstören. Die indisch-pakistanische Krise vom Sommer 2002 und die Gefahr einer nuklearen Eskalation konnten erst durch diplomatische Interventionen der USA und Großbritanniens entschärft werden.

Im April 2003 unterbreitete der indische Premierminister Vajpayee der pakistanischen Führung überraschend das Angebot für neue Gespräche, um die bilateralen Beziehungen zu verbessern. Der Vorschlag wurde von Pakistan aufgegriffen und setzte einen bis dahin nicht gekannten und kaum für möglich gehaltenen Wandel der Außenpolitik gegenüber Indien in Gang, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wurde. Erstens hatten die Krisen 1999 und 2002 Pakistan keine Erfolge in der Kaschmirfrage auf internationaler Ebene gebracht, sondern sich viel mehr als politische Fehlschläge entpuppt. Zweitens erwiesen sich die Versuche Pakistans als kontraproduktiv, die indischen Menschenrechtsverletzungen in Kaschmir im Kontext der neu entstandenen Terrorismusdiskussion nach dem 11. September 2001 als "Staatsterrorismus" darzustellen, um damit internationale Unterstützung in der Kaschmirfrage zu erhalten, stattdessen fanden die Anschuldigungen Indiens, dass Pakistan terroristische Gruppen in Kaschmir unterstütze, stärker Gehör. Drittens löste der Irakkrieg im Frühjahr 2003, in Pakistan eine Diskussion darüber aus, ob das eigene Land nicht selbst ins Visier der USA geraten könnte. Ende 2003 wurden zudem die Aktivitäten des Netzwerkes von A.Q. Khan, dem Vater der pakistanischen Atombombe, aufgedeckt, der nukleare Technologie u.a. an Iran und Libyen geliefert hatte. Angesichts der Bedeutung des Nuklearprogramms war kaum davon auszugehen, dass dies ohne das Wissen des Militärs geschehen konnte.


Kehrtwende in der Kaschmirpolitik

Vor diesem Hintergrund brach Musharraf nach 2003 mit grundlegenden Prinzipien der pakistanischen Außenpolitik gegenüber Indien. Im Herbst 2003 verständigten sich beide Seiten auf einen Waffenstillstand und begannen im Februar 2004 einen Verbunddialog. Im April 2005 erklärten der indische Premierminister Manmohan Singh und Präsident Musharraf den Friedensprozess als "irreversibel" und verständigten sich auf Grundzüge für eine mögliche Beilegung der Kaschmirfrage. Pakistan lehnte die von Indien immer wieder ins Spiel gebrachte Umwandlung der Kontrolllinie in eine internationale Grenze ab. Indien wiederum wies Vorschläge Pakistans für eine Neuaufteilung Kaschmirs mit dem Hinweis auf die Unveränderbarkeit der bestehenden Grenzen zurück. Bis Mitte 2008 gab es fünf Verhandlungsrunden des Verbunddialogs, in denen vertrauensbildende Maßnahmen wie Reiseerleichterungen, neue Verkehrsverbindungen, u.a. in Kaschmir und im Punjab sowie eine bessere wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit vereinbart wurden. Eine Reihe von Anschlägen islamischer Gruppen in Indien hat zwar den Prozess der Annäherung kurzfristig unterbrochen, jedoch nicht beendet.

Musharraf vollzog damit seit 2003 eine für die pakistanische Außenpolitik grundsätzliche Kehrtwende in der Kaschmirpolitik. Mit der Aufnahme des bilateralen Verbunddialogs rückte er von der Strategie der Internationalisierung des Konflikts ab, wie sie bis dahin von allen pakistanischen Regierungen verfolgt worden war. Damit sollte die Durchführung des Referendums über die Zugehörigkeit Kaschmirs erreicht werden, wie in den Resolutionen der UNO festgeschrieben. Indien hingegen bestand auf bilaterale Verhandlungen, auf die sich beide Seiten im Vertrag von Simla 1972 verständigt hatten.

Während sich das Verhältnis zu Indien seit 2003 kontinuierlich verbesserte, verschlechterten sich die Beziehungen zu Afghanistan. Die Taliban, die jahrelang von Armee und Geheimdienst unterstützt und ihre Ausbildungs- und Rückzugsgebiete in den FATA aufgebaut hatten, sagten sich zum Teil von ihren Förderern los. Durch den jahrzehntelangen Einfluss religiöser Gruppen hatten sich zudem die Stammesstrukturen teilweise islamisiert und die traditionellen Stammesführer, die mit der Regierung zusammengearbeitet hatten, verloren zunehmend an Einfluss. Es entstanden pakistanische Talibangruppen, die sich 2007 unter der Führung von Baitullah Mehsud zur Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) zusammenschlossen und eine Talibanisierung Pakistans anstreben.

Seit 2003/2004 geht die pakistanische Armee militärisch gegen die verschiedenen Talibangruppen in den FATA vor. Allerdings zeigte sich bei den verlustreichen Kämpfen, dass Pakistan, im Unterschied zur internationalen Gemeinschaft in Afghanistan, andere strategische Optionen verfolgt. Für Pakistan steht die regionale Ebene im Vordergrund, in der Afghanistan ein Schauplatz des indisch-pakistanischen Konflikts darstellt. Hier wirkt offensichtlich das seit den neunziger Jahren verfolgte Konzept der "strategischen Tiefe" nach.


Komplexe militärische Konstellationen

So hat die pakistanische Armee eine Reihe von Erfolgen bei der Bekämpfung von al-Qaida vorzuweisen. Weniger Erfolge gibt es hingegen im Kampf gegen die pakistanischen Taliban, die ihre Aktionen in den letzten Jahren zunehmend auf die angrenzende North West Frontier Province (NWFP) ausgeweitet haben. Auch die Besetzer der Roten Moschee in Islamabad 2007 sollen enge Verbindungen zu den pakistanischen Taliban unterhalten haben. Nur wenige militärische Operationen gibt es gegen die afghanischen Talibangruppen um Mullah Omar oder Warlords wie Gulbuddin Hekmatyar und Jalaluddin Haqqani. Ihnen werden Freiräume gewährt, da sich die pakistanische Armeeführung durch sie langfristig die Sicherung ihrer Interessen und eine Mitsprache in Afghanistan verspricht. Diese Forderung dient einem doppelten Zweck: Zum einen bilden die religiösen Gruppen der Paschtunen, d.h. die Taliban ein Gegengewicht zu den ethno-nationalistischen Strömungen der Paschtunen, die in der Vergangenheit mit der Forderung nach einem "Groß-Paschtunistan" die territoriale Integrität Pakistans in Frage gestellt hatten. Zum anderen soll ihre Einbeziehung in die Regierung in Kabul dem potentiellen indischen Einfluss in Afghanistan Grenzen setzen.

Die Situation in den Stammesgebieten wird noch durch die Strategie der Armee verkompliziert, die Last der Kämpfe auf die Stammesgruppen zu übertragen. Die pakistanische Armee hat über 100.000 Soldaten in den FATA stationiert und musste in den Kämpfen hohe Verluste hinnehmen. Die Streitkräfte sind für den konventionellen Krieg, nicht jedoch für einen Guerillakrieg ausgebildet. Da vor allem die paschtunische Zivilbevölkerung unter den Kämpfen zu leiden hat, gibt es Befürchtungen, dass dies den Unmut in der Armee schüren könnte, in der Paschtunen die zweitgrößte Gruppe bilden. Deshalb werden zunehmend die paramilitärischen Einheiten des Frontier Corps, die sich aus den Stammesgruppen rekrutieren, für die Kämpfe eingesetzt. Des Weiteren nutzt die Armee auch die traditionellen Rivalitäten zwischen den Stammesgruppen, um moderate Gruppen zur Zusammenarbeit und zur Aufstellung von eigenen Stammesmilizen (Lashkar) zu bewegen, die gegen die islamistischen Gruppen vorgehen. Ein weiteres Konfliktpotential sind die Abspaltungen von militanten Gruppen, die sich teilweise auch untereinander bekämpfen.

Neben der komplexen militärischen Konstellationen setzt die pakistanische Regierung auf die sozioökonomische Entwicklung der FATA, die zu den rückständigsten Gebieten in Pakistan zählen. Die USA haben zu diesem Zweck für die nächsten fünf Jahre einen Betrag von 750 Millionen US-Dollar zugesagt, der über das neu geschaffene FATA-Sekretariat in die Stammesgebiete weitergeleitet werden soll. Angesichts der hohen Korruption und der weit verbreiteten Patronage ist davon auszugehen, dass diese Mittel auch genutzt werden, um politische Allianzen gegen die militanten Gruppen zu schmieden. Schließlich steht die neue Regierung politisch vor der Frage, welchen Status die FATA zukünftig erhalten sollen. Seit dem Wahlsieg der Awami National Party (ANP) im Februar 2008 strebt die neue Landesregierung eine Eingliederung der bislang zentral verwalteten FATA in die NWFP an. Durch die Integration sollen die Lokal- und Provinzinstitutionen künftig auch in der Stammesregion gelten, so dass auch die Provinzverwaltung und die politischen Parteien dort tätig werden können. Allerdings gibt es die Überlegung, die FATA zu einer eigenen Provinz zu machen oder den gegenwärtigen Status zu belassen, um das alte System der Stammesältesten wieder aufzubauen.

Die Zuspitzung der innenpolitischen Krise in Pakistan 2007 mit der Erstürmung der besetzten Roten Moschee, der Verhängung des Ausnahmezustands und der Ermordung von Benazir Bhutto hat auch die Diskussion über das pakistanische Nuklearprogramm verändert. Stand lange Zeit der Konflikt mit Indien und die Gefahr einer nuklearen Eskalation aufgrund des Kaschmirkonflikts im Zentrum, so haben die Enthüllungen über das A.Q. Khan Netzwerk 2003 und die Auseinandersetzung mit den islamistischen Gruppen die Frage nach der Sicherheit des Atomprogramms in den Vordergrund gerückt. Nach den Atomtests hat die pakistanische Armee die Kontrolle des Nuklearprogramms neu geordnet. Seit 1909 wird es von der National Command Authority (NCA) überwacht, die formal vom Präsidenten geführt wird. Das militärische Programm wird von der Strategic Plan Division (SPD) beaufsichtigt, die als Sekretariat der NCA fungiert. Das Personal wird besonderen Kontrollen unterworfen, um eine Infiltration durch Islamisten auszuschließen. Soweit bekannt, werden die Nuklearwaffen in Einzelteilen an verschiedenen Orten gelagert, so dass ein Zugriff auf einen kompletten Sprengsatz nicht möglich ist. Die pakistanische Armee hat eigene Einheiten aufgestellt, die für die Sicherheit und den Schutz der Atomwaffen verantwortlich sind. Die USA haben zudem in den letzten Jahren eine Reihe von Programmen zur Verbesserung der nuklearen Sicherheit mit Pakistan begonnen.


Ausblick

Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass eine Befriedung Afghanistans ohne die Einbeziehung Pakistans kaum zu erreichen ist. Aus pakistanischer Perspektive wiederum ist Afghanistan aber nur eine abhängige Variable im geostrategischen Kontext, der vom Verhältnis zu Indien dominiert wird. Problematisch ist, dass das außenpolitische Denken bislang fast ausschließlich von den strategischen Interessen des Militärs bestimmt wird. Eine Alternative wäre z.B. eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Afghanistan, Pakistan und Indien, die durch das 2006 in Kraft getretene Freihandelsabkommen der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) möglich ist.

Mit den Wahlen vom 18. Februar 2008 haben sich die innenpolitischen Bedingungen in Pakistan verbessert. Die neue Regierung der Pakistan Peoples Party (PPP) von Präsident Zardari hat angekündigt, die von Musharraf eingeleitete Politik der Annäherung an Indien fortzusetzen. Mit dem Sieg der Awami National Party (ANP) bei den Wahlen in der NWFP hat zudem eine moderate, säkulare Partei die Landesregierung von der vormals regierenden Allianz der islamistischen Parteien übernommen. General Kiyani, der Nachfolger Musharrafs als Armeeoberbefehlshaber, hat einen teilweisen Rückzug der Armee aus der Politik eingeleitet, auch wenn dies nicht die Vormachtstellung der Streitkräfte gegenüber den zivilen Kräften verändert hat. Offensichtlich hat sich aber bei der neuen Armeeführung die Einsicht durchgesetzt, dass der Kampf gegen den Terrorismus nur durch eine Stärkung der Demokratie gewonnen werden kann. Mit ihrem Rückzug aus der Politik erhalten die Streitkräfte, die unter Musharraf stark an Ansehen in der Bevölkerung verloren, zugleich eine größere Legitimation für das militärische Vorgehen gegen die islamistischen Gruppen.

Langfristig steht die pakistanische Außenpolitik zwei Herausforderungen gegenüber. Erstens, ob es der demokratisch gewählten Regierung gelingt, die Dominanz der Armee in außen- und sicherheitspolitischen Fragen zu überwinden. Zweitens stellt sich die Frage nach der künftigen internationalen Rolle des Landes. Diese war bislang vor allem durch den Konflikt mit Indien bestimmt. Die Stärkung der demokratischen Strukturen in Pakistan könnte langfristig zu einer Beschränkung des militärischen Einflusses auf die pakistanische Außenpolitik beitragen. Dies würde die Annäherung an Indien und Afghanistan fördern, mit der langfristig auch die Sicherheitsinteressen Pakistans in Bezug auf Kaschmir und die Durand-Linie gesichert werden können. In der Zwischenzeit wird Pakistan versuchen, seine Interessen in Afghanistan zu wahren, zum Beispiel durch die Forderung nach einer stärkeren politischen Einbeziehung der Paschtunen, um einer drohenden Umzingelung durch Indien und ethno-nationalistischen Ansprüchen aus Afghanistan entgegenzuwirken. Unter diesen Bedingungen wird eine Stabilisierung Afghanistans auf Dauer kaum zu erreichen sein.


Christian Wagner, Leiter der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).


Anmerkungen
(1) Vgl. Robert Laporte jr., Succession in Pakistan: Continuity and Change in a Garrison State, in: Asian Survey, 9 (November 1969) 11, S. 842-861, zur historischen Entwicklung vgl. Stephen P. Cohen, The Idea of Pakistan, Washington 2005; Christophe Jaffrelot (ed.), Pakistan. Nationalism without a Nation? London 2002; Ian Talbot, Pakistan, A Modern History, London 1999.

(2) Vgl. Rifaat Hussain, Pakistan's Relation with Afghanistan: Continuity and Change", in: Strategic Studies (Islamabad), 22 (Winter 2002) 4, S. 43-75.


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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 56, Winter 2008

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Nachrichten//Ticker//


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Quelle:
INAMO Nr. 56, Jahrgang 14, Winter 2008, Seite 18 - 21
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und
Mittleren Ostens
Herausgeber: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2009