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ASIEN/607: Zu den neuen Ereignissen in Kirgisistan (Falkenhagen/Queck)


Zu den neuen Ereignissen in Kirgisistan

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 11. April 2010


Kirgisistan, als ehemals Kirgisische Sozialistische Sowjetrepublik seit 1991 ein sog. unabhängiger Staat, hatte 1986 eine Einwohnerzahl von 4,051 Millionen (1940 waren es noch 1,5 Mio.), gegenwärtig zählt es 5,4 Mio. Einwohner. Davon sind 64,9 % Kirgisen, 13,8 % Usbeken, 12,5 % Russen, 1 % Ukrainer und 0,4 % Deutsche. Ferner leben dort Dunganen, Tataren, Tadschiken und Uiguren. Staatssprachen sind Kirgisisch und Russisch. Nach offiziellen statistischen Daten sind 75 % der Bevölkerung Muslime und 20 % orthodoxe Christen.
Aus Sowjetzeiten verfügt Kirgisistan neben Bergbau noch über eine beachtliche Industrie. Kirgistan ist auch ein beachtlicher Nahrungsgüterexporteur.

Die letzten Jahre waren von steigender Arbeitslosigkeit (bis zu 30 %) und hoher Inflation (jährlich 20% und mehr) gekennzeichnet. Eine wachsende Armut und sich zuspitzende Polarisierung der Gesellschaft in Arm und Reich steigerte die Unzufriedenheit der Bevölkerung und führte im April 2010 zu einer Art Volksaufstand. Dabei kamen nach offiziellen Angaben (Stand 11. April) 81 Menschen ums Leben, 1600 wurden verletzt, davon 500 so schwer, dass sie in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Es kam vor allem in der Hauptstadt Bischkek zu umfangreichen Zerstörungen und Plünderungen. Das Ergebnis war der Sturz des Präsidenten Kurmanbek Bakijew und der Regierung von Igor Tschudinow. Das erst im Dezember 2007 gewählte Parlament (90 Sitze mit 71 Sitzen der Regierungspartei Ak Dschol, 11 Sitzen der Sozialdemokraten und 8 Sitzen der Kommunisten) wurde aufgelöst. Gebildet wurde eine neue Übergangsregierung unter der Führung von Rosa Otunbajewa. Ihr Stellvertreter ist der bisherige Oppositionsführer Atambajew, zuständig für Wirtschaftsfragen, weiterer Stellvertreter ist Omurbek Tekebajew. Neuer kirgisischer Verteidigungsminister wurde Ishmail Isakow. Dass es erneut zum gewaltsamen Sturz des Staatspräsidenten und der Regierung kam, nachdem 2005 der damalige Präsident Askar Akajew gestürzt worden war, ist aber nicht nur inneren Faktoren geschuldet.

Kirgisistan oder Kirgistan befindet sich, obwohl mit 199 900 Quadratkilometern ein relativ kleiner Staat, auf Grund seiner geostrategischen Lage im Fokus der Interessen nicht nur der Nachbarstaaten Russland, VR China, Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan, sondern auch der USA und NATO. Die vor fünf Jahren in der Hauptstadt Bischkek stattgefundene sogenannte Tulpenrevolution war weitgehend von den USA aus gesteuert. Der damals an die Macht gespülte neue Staatspräsident Bakijew war im gewissen Sinne ein Günstling Washingtons. Er war es, der auch dem weiteren Betrieb des seit 2002 in USA-Besitz befindlichen Luftwaffenstützpunkt Manas zustimmte, von dem aus ein Großteil des militärischen Nachschubs nach Afghanistan kommt.

Bakijew hatte auf einem Gipfeltreffen der Militärorganisation von sieben GUS-Staaten (ODKB) am 4. 2.2009 in Moskau noch mitgeteilt, dass Kirgistan den mit den USA 2001 geschlossenen Militärvertrag über die Nutzung des Luftwaffenstützpunktes Manas bei Bischkek kündigen wird. Das kirgisische Parlament hatte demzufolge am 19.2.2009 einem entsprechenden Gesetzentwurf zugestimmt. Der Stützpunkt sollte also gesetzmäßig bis zum 10. August 2009 geräumt sein. Ähnliche Abkommen mit 11 weiteren Staaten wurden seitens Kirgistans ebenfalls gekündigt. Russland gewährte Kirgistan dafür eine Finanzhilfe von über 2 Mrd. USD, inklusive eines zinsgünstigen Kredits von 1,7 Mrd. USD. Doch trotz Parlamentsbeschluss kam es anders, Bakijew knickte vor den Amerikanern ein. Gegenüber Russland wurde er wortbrüchig. Die USA dürfen Manas weiter als Militärbasis für den Militäreinsatz in Afghanistan nutzen. Sie zahlen nur erhöhte Pachtgebühren. Bakijew erzürnte Moskau und Peking auch mit der Errichtung eines amerikanisch-kirgisischen sog. Terrorbekämpfungszentrums im Süden des Landes an den Grenzen zur VR China und verfügte danach auch die Beschränkung von Investitionen aus Russland und der VR China. Moskau blockierte darauf die Kredite für Kirgistan. Allerdings trat Kirgisistan auch nicht aus dem Shanghai-Kooperationspakt aus, dem neben der Russischen Föderation die VR China, Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan sowie mit sog. Beobachterstatus auch die Mongolei und der Iran angehören.
Zwecks "Interessenausgleichs", wie er sagte, stimmte Bakijew auch der Weiterexistenz des seit 2003 bestehenden russischen Luftwaffenstützpunktes in Kant in der Nähe von Bischkek zu. Das geschah aber nur halbherzig. Dieser Luftwaffenstützpunkt spielt zudem eine weitaus geringere Rolle als Manas.
Die Zusammenarbeit mit den Amerikanern war für das korrupte System von Bakijew lohnender. Bestechungsgelder aus den USA ermöglichten eine ausufernde Vetternwirtschaft und die Korrumpierung kirgisischer Politiker mit hohen Dollar-Beträgen.

Washington war also bereit, die Pachtgebühren für Manas beträchtlich aufzustocken, nachdem Moskau und Peking von der kirgisischen Regierung zur Verbesserung der Sicherheitslage in Asien die Schließung dieses Militärstützpunktes gefordert hatten. Übrigens entspricht diese Forderung auch den Interessen der anderen Shanghai-Paktstaaten und weiteren Staaten, denn eine zunehmende Präsenz der amerikanischer Militärs und Geheimdienste in Kirgistan richtet sich nicht nur gegen Russland und die VR China, sondern z. B. auch gegen Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, die Mongolei sowie auch gegen Turkmenistan.

Die USA-hörige Politik von Bakijew führte zu wachsender Kritik seitens Moskaus Pekings und anderer Staaten dieser Region.
Der Widerstand der eigenen Bevölkerung wuchs auch, weil die kirgisische Regierung zunehmend auf der Seite der USA und NATO in den Afghanistankrieg verwickelt wurde. Da aber die Mehrheit der Kirgisen mit dem afghanischen Widerstand sympathisiert und diesen auch tatkräftig unterstützt, war das weiterer Anlass für die zunehmende Verhasstheit Bakijews und seiner Günstlinge im Volke. Bakijew griff zur Absicherung seiner Macht immer mehr zu diktatorischen Methoden der Repression und Unterdrückung, wobei durch die ausufernde Misswirtschaft, Korruption und Vetternwirtschaft auch der Lebensstandard der Bevölkerung immer mehr sank.
Das alles schuf die wesentlichen Voraussetzungen für den gewaltsamen Sturz der Bakijew-Regimes.

Nun vermuten viele westliche Medien den russischen Ministerpräsidenten Putin als treibende Kraft hinter dem Sturz des Bakijew-Regimes. Das spiegelt sich in Schlagzeilen wider wie 'Putin stärkt kirgisischen Revolutionären den Rücken', 'Putin unterstützt die neue Regierung von Frau Rosa Otunbajewa', 'Putin erkennt neue Regierung in Bischkek an', 'Putin sichert Kirgisistan Unterstützung zu'.
Auch hinter der Entsendung von russischen Fallschirmjägern nach Kirgisistan, um, wie es offiziell heißt, russische Bürger und Diplomaten zu schützen, wird jetzt ein militärischer Zugriff Moskaus auf Kirgisistan vermutet. Es gibt westliche Politiker und Militärs, die die Obama-Administration auffordern, desgleichen tun. Allerdings brauchen das die Amerikaner gar nicht zu tun, um Stärke zu demonstrieren, wenn man bedenkt, dass Manas allein seit Oktober 2009 über 200.000 US-Soldaten und andere Koalitionstruppen im Transit durchlaufen haben, davon allein 50.000 im März 2010.

In der Tat steht nun die Frage, ob es zu einem Schulterschluss von Moskau, Peking und Bischkek kommt?
Eine andere Frage wäre: Müssen die Amerikaner nun den Luftwaffenstützpunkt Manas und andere Basen räumen?
Es gibt im Umfeld von Rosa Otunbajewa Politiker, die das fordern. So machte der neue kirgisische Verteidigungsminister Ishmail Isakow, der schon in der Sowjetarmee als Offizier diente, Äußerungen in dieser Richtung. Die überwiegende Mehrheit des kirgisischen Volkes fordert das. Die neue Ministerpräsidentin Otunbajewa hält sich in dieser Frage aber noch bedeckt. In einem Telefongespräch mit US-Außenministerin Clinton erklärte sie, alle Abmachungen, die die vorherige Regierung mit Washington getroffen hat, einhalten zu wollen. Es bleibt deswegen noch eine offene Frage, ob Moskau mit ihr einer der russischen Politik näher stehende Politikerin an den Hebeln der Macht hat als mit anderen kirgisischen Politikern, die bisher in Bischkek regierten. Rosa Otunbajewa war noch zu Sowjetzeiten Stellvertretende Ministerpräsidentin der Kirgisischen Sozialistischen Sowjetrepublik, sie war Außenministerin der kirgisischen Sowjetrepublik und arbeitete auch für das russische Außenministerium z. B. für UNO-Missionen. Sie ist offensichtlich aber eine der Kader, die seinerzeit von Gorbatschow gefördert wurden. Immerhin sagte sie zu, dass sie mit ihrem Kabinett nur ein halbes Jahr unter Ausnahmebedingungen regieren will. Dann soll in Kirgisistan mit einer neuen Verfassung eine parlamentarische Demokratie auf der Grundlage freier Wahlen eingeführt werden. Der Präsident soll demnach nur noch überwiegend repräsentative Aufgaben erfüllen.

Bakijew versucht indessen, wie verlautet, in seiner Heimatstadt Dschalalabad im Südwesten des Landes, Anhänger zu sammeln, um eine Art Gegenputsch durchzuführen. Ob ihm das gelingt, ist fraglich. Unterstützung im Volk hat er nicht und er hat auch keine hinreichende Unterstützung in der Armee, der Polizei oder im Geheimdienst. Welche ausländischen Staaten könnten ihm also wieder zur Macht verhelfen? Die USA müssen zudem auch die Interessen Russlands, der VR China und der anderen Shanghai-Paktstaaten berücksichtigen, bevor sie sich auf einen neuen Konfrontationskurs begeben.

Um Afghanistan indes schließt sich weiter der Ring der Kräfte, die eine Dauerokkupation dieses Landes seitens der USA und der NATO ablehnen und bekämpfen. Die Prophezeiung von Afghanistan als das nahende Stalingrad der NATO könnte sich erfüllen. Zumindest gibt es zunehmend Indizien, die eine Entwicklung zu einem solchen Desaster, wenn nicht sogar einer Katastrophe der NATO anzeigen. Auch das Abschlachten der afghanischen Bevölkerung in brutalen Militäreinsätzen steigert nur den Widerstand ganz Asiens gegen Amerika und steigert auch die Missstimmung des kirgisischen Volkes gegen Amerika und die westliche Welt.
Den USA und NATO-Staaten ist also dringend in deren eigenem Interesse anzuraten, jetzt einen schnellen Truppenabzug aus Afghanistan einzuleiten und davon abzusehen, Afghanistan noch weiter mit Krieg, Tod, Leid und Zerstörung zu überziehen.


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Quelle:
Copyright 2010 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2010