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ASIEN/640: Pakistan - Gegen religiösen Hass an Schulen - Reformer schreiben Bücher um (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2010

PAKISTAN:
Gegen religiösen Hass an Schulen - Reformer schreiben Bücher um

Von Ashfaq Yusufzai


Peshawar, Pakistan, 26. August (IPS) - Dem Hass an Schulen keine Chance geben, lautet die neue Losung des 'Khyber Pakthunkhwa Textbook Board', das für die Lehrinhalte an den Bildungseinrichtungen im Norden Pakistans zuständig ist. Die Behörde hat vor, sämtliche Lehrmaterialien aus dem Unterricht zu entfernen, die in der gewaltgebeutelten Region an der Grenze zu Afghanistan Wasser auf die Mühlen religiöser Extremisten gießen.

Die Bildungsstätten hätten sich jahrelang unwissentlich von militanten Muslimen instrumentalisieren lassen, bedauert Fazal Rahim Marwat. Der Vorsitzende der Behörde macht die islamistische Propaganda an den Schulen mit für die Zunahme extremistischer Tendenzen in dem südasiatischen Land verantwortlich. "Lehrpläne, sektiererische Reden sowie der freie Zugang zu Dschihad-Literatur und -Websites spielten eine große Rolle beim Aufschwung des Fundamentalismus."

Der Dschihad, der "Kampf, der zu Gott führt", sei für Muslime eine wichtige Religionspflicht, erläutert Marwat. Ursprünglich habe der Begriff die Anstrengungen auf dem Weg zur Läuterung des Menschen gemeint. Radikale Islamisten rechtfertigten damit aber den 'Heiligen Krieg' und damit Gewalttaten wie Selbstmordanschläge gegen Ungläubige.

Kyber Pashtunkhwa ist als Hochburg religiöser Extremisten bekannt. Während der vergangenen zehn Jahre wurden dort die meisten Terroranschläge in ganz Pakistan begangen. In mehreren Bezirken gilt inzwischen die islamische Scharia.

Feindbild Sowjets

Verzerrte Darstellungen in Schulbüchern könnten eine Erklärung dafür sein, dass die Sechstklässlerin Gul Ghutai der festen Überzeugung ist, dass die Sowjets, die 1979 in Afghanistan einmarschierten und das Land erst 1989 wieder verließen, "Ungläubige" und somit Feinde des Islams sind. Auch die Inder, die mit Pakistan seit Jahrzehnten einen Konflikt um Kaschmir führen, sind ihr verhasst. "Wir lesen in unseren Büchern, dass diese beiden Länder die Muslime vernichten wollen."

Die einige Jahre ältere Shaheena Afzal räumt ein, dass sie und ihre Freundinnen Indien und Israel möglicherweise deshalb feindlich gesonnen seien, weil die beiden Staaten in ihren Schulbüchern schlecht wegkommen. "Vor einem Monat hat sich eine Schülerin bei einem Selbstmordanschlag in die Luft gesprengt", erzählt das Mädchen. Die Texte aus dem Unterricht könnten sie dazu verleitet haben.

Fazal Rahim Marwat erinnerte sich daran, dass extremistische Ideen an pakistanischen Schulen seit den achtziger Jahren Anhänger finden. Damals erreichte der Widerstand der radikalen Mudschaheddin gegen die sowjetischen Besatzer seinen Höhepunkt. Die Islamisierung des Landes habe aber eigentlich schon 1976 unter der Diktatur von General Zia ul-Haq begonnen. Damals schrieb das Parlament den Schulen vor, das Land im Unterricht als von Feinden umzingelt darzustellen.

Während der sowjetischen Herrschaft in Afghanistan hetzten pakistanische Lehrer ihre Schüler dann systematisch gegen Nicht-Muslime auf. Auch die iranische Revolution von 1979 trug maßgeblich dazu bei, dass islamistisches Gedankengut an Schulen in Pakistan immer mehr an Boden gewinnen konnte.

Erst 2007 begann die Regierung von General Pervez Musharraf, die Schulbücher zu überarbeiten. Ein eigens dazu aufgelegtes Programm bewirkte allerdings wenig. Eine kürzliche Verfassungsänderung gibt den Provinzen des Landes nun das Recht, unabhängig von der Zentralregierung eigene Lehrpläne zu entwerfen.

Frieden statt Heiliger Krieg

Marwats Behörde ist seit Januar damit beschäftigt, das Lehrmaterial für die rund 40.000 privaten und öffentlichen Schulen in Kyber Pakhtunkhwa zu überprüfen. "Wir wollen die Koran-Verse, die zum Heiligen Krieg aufrufen, durch Texte ersetzen, die Frieden, Liebe und Brüderlichkeit verteidigen", erklärte er.

Die Schüler sollten lernen, dass Wissen eine mächtigere Waffe sei als das Schwert, sagte Marwat. Die Revision der Lehrpläne in der Provinz soll Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Das größte Augenmerk liegt dabei auf den Büchern für die unteren Klassen. Denn je jünger die Kinder seien, desto leichter seien sie beeinflussbar, meinte Marwat. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2010