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ASIEN/650: Afghanistan - US-Außenpolitikexperten drängen auf Strategiewechsel (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. September 2010

Afghanistan: US-Außenpolitikexperten drängen auf Strategiewechsel

Von Jim Lobe


Washington, 10. September (IPS) - Immer mehr Außenpolitikexperten drängen US-Präsident Barack Obama auf einen Strategiewechsel in Afghanistan, weg von der bisherigen 'Counterinsurgency'-Strategie, die auf die Bekämpfung Aufständischer setzt. Hintergrund der kritischen Äußerungen ist das anhaltend hohe Gewaltniveau. Außerdem reißen die Berichte über Korruption auf höchster afghanischer Regierungsebene nicht ab.

In einem kürzlich veröffentlichten Bericht nimmt eine überparteiliche Gruppe von etwa 35 US-Meinungsträgern - ehemalige Spitzenbeamte, Akademiker und Politikanalysten - Stellung. Die Kritiker weisen darauf hin, dass die bisherige ehrgeizige Regierungsstrategie des Aufbaus einer afghanischen Nation zu viele Opfer unter den US-Truppen und zu viele Finanzmittel koste. Die Aussichten auf Erfolg seien aber zweifelhaft.

Auch die 'Afghanistan Study Group' rät zu einem Strategiewandel. Der Abbau der militärischen US-Präsenz in Afghanistan müsse beschleunigt werden, heißt es. Zugleich seien verstärkte Anstrengungen erforderlich, um mit den Taliban auf dem Verhandlungsweg zu einer Konfliktlösung zu kommen.

In vielen Punkten decken sich die Einschätzungen der Afghanistan Study Group mit denen des 'International Institute for Strategic Studies', das in London ein neues strategisches Gutachten vorstellte. IISS-Generaldirektor John Chipman riet bei der Vorstellung des Jahresberichts zu einer Verschiebung hin zu einer Eindämmungs- und Abschreckungspolitik, um die internationale terroristische Bedrohung ins Visier zu nehmen, die in den afghanisch-pakistanischen Grenzgebieten angesiedelt sei. Der 'Counterinsurgency'-Strategie attestierte Chipman, sie trage den wichtigsten Sicherheitszielen nicht Rechnung und koste diplomatische und militärische Energien, die in der Region, aber auch andernorts, benötigt würden.


Skeptische Öffentlichkeit

Die beiden Berichte erscheinen zu einem Zeitpunkt, da die Öffentlichkeit sowohl in den USA als auch in den NATO-Partnerländern zunehmend skeptisch wird bezüglich der Aussichten eines Krieges, der bald neun Jahre andauert. Kanada und die Niederlande haben gerade ihre Truppen vollständig aus Afghanistan abgezogen.

Der Krieg kostet die Steuerzahler in den USA 100 Milliarden Dollar im Jahr und ist seit diesem Sommer der längste Krieg, den das Land jemals geführt hat. Bis dahin war es der Vietnam-Krieg gewesen. Gegenüber CNN sagten kürzlich zwei von drei Befragten, die USA würden den Afghanistan-Krieg nicht gewinnen. Die Hälfte der Befragten war der Ansicht, der Krieg könne prinzipiell nicht gewonnen werden.

Die zunehmend schlechte Stimmung hängt zweifellos auch mit den Sorgen um die US-Wirtschaft zusammen. Angesichts eines ohnehin riesigen Haushaltsdefizits wiegen 100 Milliarden Dollar, die jährlich für den Afghanistan-Krieg ausgegeben werden, noch schwerer. Immer mehr Amerikaner sind auch aufgrund der anhaltend hohen menschlichen Verluste - in diesem Jahr kamen 331 US-Soldaten ums Leben - überzeugt, dass der Krieg die hohen Kosten nicht wert sei.

Waren bei Obamas Amtsantritt 35.000 amerikanische Soldaten nach Afghanistan entsandt worden, so beträgt die Zahl aktuell rund 100.000. Der US-Präsident hat zugesichert, mit dem Abzug der Truppen im Juli 2011 zu beginnen, auch wenn das Tempo innerhalb der Regierung umstritten ist und eine Entscheidung hierzu noch aussteht.

Paul Pillar, von 2000 bis 2005 CIA-Verantwortlicher für den Nahen Osten und Südasien, urteilt: "Wir haben uns schneller Feinde als Freunde geschaffen." Es herrsche eine Diskrepanz zwischen der Kriegsführung und dem erklärten Ziel der USA, Al Qaida zu zerstören und kampfunfähig zu machen. (Ende/IPS/bs/2010)


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http://www.lobelog.com
http://www.afghanistanstudygroup.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2010