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ASIEN/672: Sri Lanka - Ohne Geld und Arbeit, Witwen von Kriegsopfern auf der Suche nach Hilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Oktober 2010

Sri Lanka: Ohne Geld und Arbeit - Witwen von Kriegsopfern auf der Suche nach Hilfe

Von Adithya Alles

Auch in Friedenszeiten tragen Frauen eine schwere Last - Bild: © Adithya Alles/IPS

Auch in Friedenszeiten tragen Frauen eine schwere Last
Bild: © Adithya Alles/IPS

Colombo, 27. Oktober (IPS) - Keine einfache Aufgabe für Yamunadevi: Die 70jährige Srilankerin muss für acht Enkel im Teenageralter sorgen. "Ich habe keine Wahl", sagt sie. Denn die Eltern der Kinder sind während des Bürgerkriegs ums Leben gekommen. "Wenn ich mich nicht kümmere, wird es niemand sonst tun."

Vier ihrer Enkel verloren ihre Eltern in der letzten Phase des 20-jährigen Konflikts, der 2009 mit einem militärischen Sieg der Armee über die Rebellenbewegung der Tamilen-Tiger (LTTE) zu Ende ging. Die übrigen vier haben zumindest noch einen Vater, der jedoch große Schwierigkeiten hat, für den Unterhalt der Familie zu sorgen. "Das Geld reicht vorne und hinten nicht", berichtet Yamunadevi. "Und ich weiß nicht, wie lange ich die Kinder noch zur Schule schicken kann."

In den ehemaligen Kriegsgebieten im Norden und Osten der Insel sind viele Menschen in einer ähnlichen Zwangslage. Dort gibt es viele Frauen, die sich und ihre Kinder aus eigener Kraft durchbringen müssen, weil die viele Männer bei Gefechten getötet wurden oder spurlos verschwanden.

Etwa 300.000 Menschen wurden in den letzten Kriegsjahren zwischen August 2006 und Mai 2009 vertrieben. Fast alle von ihnen sind mittlerweile in ihre Dörfer zurückgekehrt oder wohnen bei Gastfamilien. Ihre Probleme haben sie aber noch längst nicht überwunden.


Mehr als 80.000 junge Frauen in Kriegsgebieten verwitwet

Nach Angaben der Regierung haben mehr als 89.000 Srilankerinnen zwischen Anfang 20 und Mitte 30, die in der früheren Konfliktregion leben, ihre Männer verloren. Wie der stellvertretende Frauenminister M.A.M. Hizbullah erklärt, leben rund 49.000 Witwen im Osten und weitere 40.000 im Norden des Landes. Die meisten seien mit LTTE-Kämpfern verheiratet gewesen. Allein in seinem Heimatbezirk Batticaloa gebe es 25.000 verwitwete Frauen, von denen 8.000 jeweils drei Kinder hätten, berichtet der Vize-Minister.

In einigen Teilen von Sri Lanka sind inzwischen bereits Hilfsprogramme für Witwen angelaufen. Hizbullah hofft zudem auf Hilfe aus dem Nachbarland Indien, das schon immer ein wachsames Auge auf den kleineren Nachbarn geworfen hat. In Kilinochchi soll zudem eine Textilfabrik entstehen, in denen die Frauen ein Auskommen finden sollen.

Dejenigen, die Arbeit haben, schuften oft für einen Hungerlohn. Die 17-jährige Ravindranathan Valarmadu aus dem Bezirk Batticaloa arbeitet sechs Tage die Woche als Melkerin und verdient monatlich umgerechnet gerade einmal 17 US-Dollar.

"Ohne Mann und andere Verwandte kann es hart werden", sagt die Regierungsbeamtin Rasanayagam Rahulanayani, die ihren Vater im Krieg verloren hat, im Gespräch mit IPS. Vor ihrem Büro in Vaharai im Osten des Landes warten geduldig mehrere Frauen, deren Männer tot oder vermisst sind. Sie brauchen dringend Hilfe, unter anderem bei der Wiederbeschaffung verlorener Dokumente.

In einer männlich dominierten Gesellschaft hätten es Witwen und alleinerziehende Mütter oftmals nicht leicht, sagte Rahulanayani. Die Tamilen lebten nach der traditionellen Überzeugung, dass Männer eine Führungsrolle übernähmen und Frauen ihnen selbstverständlich folgen müssten. Angesichts der veränderten Lebensumstände müssten Frauen nun aber selbst Entscheidungen treffen - und nicht alle fühlten sich dabei wohl.

In der Schlange wartet auch die 27-jährige Saroja Devi, die zwei Kinder hat. Ihre Familie konnte dem Krieg im Norden entkommen, doch ihr Mann ist verschollen. "Er wurde von den Tamilen-Tigern festgenommen, als er sich weigerte, ihnen zu helfen. Ich weiß nicht, ob er noch am Leben ist", erklärt die junge Frau. "Als wir anderen flohen, wurden wir von Artillerie beschossen. Keine Ahnung, wie es uns gelang, da durchzukommen."


Arbeitsplätze sind Mangelware

Devi schlägt sich in ihrer ursprünglichen Heimat Vaharai mit Mühe und Not durch. Die meisten Einwohner leben dort von Landwirtschaft und Fischfang, und neue Jobs sind dünn gesät. Devi hilft ihren Verwandten gegen ein bisschen Geld auf dem Feld. Um zu überleben, hat sie inzwischen ihren gesamten Goldschmuck verkauft.

Auch die 29-jährige Nuvanad Sudha trennte sich schweren Herzens von dem Familienschmuck. Auch von ihrem Mann fehlt jede Spur, seit sie ihn auf der Flucht im April 2009 aus den Augen verlor. Anders als Devi ist sie allerdings fest davon überzeugt, dass ihr Mann lebt und sich im Gewahrsam der Regierung befindet. "Ich werde solange suchen, bis ich Beweise finde." (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2010