Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ASIEN/775: China - Leben nach dem Euro, Regierung will sich vor bösen Überraschungen schützen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. November 2011

China: Leben nach dem Euro - Regierung will sich vor bösen Überraschungen schützen

von Antoaneta Becker


Peking, 8. November (IPS) - Der Gipfel der G20-Industrie- und Schwellenländer im französischen Cannes Anfang des Monats hielt für Chinas Gegner einer freien Demokratie und Marktentwicklung ausreichend Munition parat. Doch die Schadenfreude über den 'Zusammenbruch Europas' hielt sich in Grenzen. Stattdessen arbeitet Peking an einem Notfallpaket für den Fall, dass die Eurozone auseinanderbricht. Auch will die Regierung aus den Fehlern der europäischen Wohlfahrtsstaaten lernen.

Die Volksrepublik steht oft selbst in der internationalen Kritik. So wird ihr häufig vorgeworfen, mit ihren Bemühungen um soziale Stabilität auf den Bürgerrechten herum zu trampeln. Kein Wunder also, dass die chinesischen Medien die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen ließen, um über Brüssels "Mantra der Stabilität" herzuziehen.

"Der Zusammenbruch Europas ist unaufhaltsam", titelte am 7. November die Zeitung '21st Century Business Herald'. Anstatt sich einzugestehen, dass Griechenland bankrott sei und nie in der Lage sein werde, seine Schulden zurückzuzahlen, hätten es die Europäer vorgezogen, "ihre eigenen Prinzipien über Bord zu werfen". Die Entscheidung der EU, ihre Prinzipien Stabilitätsfragen unterzuordnen, sei ein Zeichen für den "Niedergang des europäischen Geistes".

Es ist noch nicht lange her, dass Brüssel Peking Vorträge in Sachen Wirtschaft gehalten hatte. Nun ist offenbar die Zeit gekommen, dass sich die Europäische Union von der Volksrepublik belehren lassen muss. Schon vor dem Fiasko in Cannes in der ersten Novemberwoche und der Unfähigkeit der EU, den mühsam erarbeiteten Plan zur Rettung der Eurozone durchzusetzen, hatte Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao eine Botschaft für Brüssel parat.


EU soll handeln

"Die dringlichste Aufgabe ist es nun entschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um die weitere Ausbreitung der Schuldenkrise zu verhindern und Finanzmarktturbulenzen, Rezession und einer Fluktuation des Euro vorzubeugen", zitiert das chinesische Außenministerium Wen während eines Telefongesprächs Ende Oktober mit dem Europaratspräsidenten Herman Van Rompuy. Auch sei es wichtig, systematische und grundlegende Finanzreformen durchzuführen.

Zuvor hatte sich das Reich der Mitte zuversichtlich zur europäischen Schuldenkrise geäußert. Europa werde das Problem schon in den Griff bekommen, hieß es damals. Der jüngste Aufruf an die Europäer, nun endlich zu handeln, wirkte deshalb äußerst ernüchternd.

Seit dem Treffen in Cannes scheint die chinesische Regierung das Vertrauen in die EU verloren zu haben, sie könne die notwendigen fundamentalen Reformen durchführen. Eigentlich sollten auf dem G20-Gipfel nur noch die letzten Änderungen am Rettungsschirm vorgenommen werden und Schwellenländer wie China für eine Beteiligung an den Rettungsmaßnahmen gewonnen werden. Doch dann drehte sich am Ende alles um die von dem griechischen Ministerpräsident Georgios Papandreou angekündigte und umstrittene Volksabstimmung zu den EU-Rettungsplänen.


Verpasste Gelegenheit

Der Gipfel ging am 4. November ohne greifbare Ergebnisse zu Ende. Obwohl Papandreou später seinen Plan eines Referendums wieder fallen ließ und ihm das griechische Parlament das Vertrauen aussprach, war der Schaden bereits angerichtet. Die politischen Unsicherheiten führten dazu, dass weder China noch irgendein anderes Land Gelegenheit hatten, einem europäischen Hilfspaket zuzustimmen.

Die Reaktion chinesischer Analysten auf die Geschehnisse in Cannes als 'perplex' zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. "Wenn ein kleines Land wie Griechenland mit einer Wirtschaft, die nur drei Prozent der EU-Wirtschaft ausmacht, dafür sorgen kann, dass die gesamte EU aus dem Ruder läuft und die Weltmächte auf dem Gipfel in Geiselhaft genommen werden, sagt das schon etwas über die Defizite der politischen und wirtschaftlichen Integration der EU aus", meinte der Kommentator Xia Wenhui.

Wenig schmeichelhafte Vergleiche wurden gezogen mit den Leistungen von Qin Shihuang (259 bis 210 v. Christus), dem Gründer des ersten chinesischen Kaiserreichs. Dieser hatte zuerst die verfeindeten Staaten vereint, bevor er sich auf das Experiment einließ, eine gemeinsame Währung einzuführen.

Während in China bereits vor dem Gipfel in Cannes darüber diskutiert wurde, ob die Volksrepublik mehr europäische Schuldscheine kaufen sollte, liegt der Schwerpunkt inzwischen auf der Krisenprävention. TV-Kommentatoren warnen, dass bei einem neuerlichen "finanziellen Tsunami", China seine Deiche verstärken und sich auf die aufziehende Gefahr einer neuen Rezession vorbreiteten müsse.

Die Volksrepublik verfolgt ein exportorientiertes Wirtschaftswachstumsmodell, dessen Erfolg entschieden von dem Wohlergehen der europäischen Märkte abhängt. Die Krise der Eurozone setzt bereits zahlreichen chinesischen Fabriken zu, die für den Export produzieren. Die drohende Rezession in Europa würde sich weiterhin negativ auf die chinesischen Exportfirmen auswirken. Die Volksrepublik hat bereits ein Viertel ihrer 3,2 Billionen Dollar Währungsreserven in Euro angelegt. Ein stabiles Europa wäre somit in ihrem Sinne.

Die europäische Krise hält für China einige nützliche Lehren parat. "Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass angemessene Renten angesichts der Größe unserer Bevölkerung und der zunehmenden Zahl von Menschen im Ruhestand wichtig sind", sagte ein Regierungsvertreter, der sich Anonymität ausbaut. "Sollte China wirtschaftlich scheitern und wir nicht in der Lage sein, diese Sozialleistungen auszuzahlen, werden wir es mit einer größeren Krise als der griechischen zu tun bekommen." (Ende/IPS/kb/2011)


Link:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105756

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. November 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2011