Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ASIEN/821: Kirgisistan - Kein Vertrauen zu korrupter Polizei, private Sicherheitsfirmen florieren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. November 2012

Kirgisistan: Kein Vertrauen zu korrupter Polizei - Private Sicherheitsfirmen florieren

von Chris Rickleton



Bischkek, 14. November (IPS/EurasiaNet*) - Eines Morgens vermisste Dilnoza, die in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek lebt, ihren brandneuen Toyota Corolla. Und sie wusste sofort, wen sie anrufen musste. Die Nummer der örtlichen Polizei wählte sie allerdings nicht.

Dilnoza suchte Hilfe bei einer privaten Sicherheitsfirma, die den Wagen nach sechstägiger Suche in einem Dorf nahe der Hauptstadt fand. Auf die Frage, warum sie nicht die Polizei eingeschaltet habe, antwortete die 33-jährige Frau: "Ich habe die Firma bezahlt, also hatte sie einen Anreiz, das Auto zu finden. Bei der Polizei wäre das nicht so gewesen."

Während der vergangenen acht Jahre wurden in dem zentralasiatischen Staat zwei Präsidenten aus dem Amt gejagt. Begleitet wurde die politische Krise durch gewalttätige Straßenproteste und Plünderungen, die zusammen mit der verbreiteten Korruption das Vertrauen in die Polizei stark erschüttert haben. Immer mehr Menschen wenden sich an Privatpersonen und Unternehmen, um ihr Eigentum zu schützen und Verbrechen aufzuklären.

Von einem Beamten des Innenministeriums bestätigte Daten belegen, dass in Kirgisistan mehr als 400 private Sicherheitsunternehmen berechtigt sind, ihre Mitarbeiter mit Waffen auszustatten. Etwa 30 dieser Firmen sind das gesamte Jahr über tätig. Die meisten wollen ihre Aktivitäten nicht publik machen. Dilnoza entschied sich auf Drängen des von ihr bezahlten Dienstleisters, ihren vollen Namen nicht zu nennen.

Von den in Bischkek ansässigen Firmen gehören 13 zum Verband der Sicherheitsunternehmen, der sich regelmäßig mit Vertretern der Polizei trifft, um Sicherheitsfragen zu besprechen. Wladimir Bessarabow, Geschäftsführer der Firma 'Barracuda', kritisiert jedoch, dass die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Sicherheitssektor zu wünschen übrig lasse. "Die Polizei sieht uns als Konkurrenz", sagte er. "Und die Beamten aus dem Innenministerium sitzen ständig in Meetings."

Barracuda begann 2004 mit 20 Beschäftigten und hat inzwischen etwa 200 Angestellte. Selbst der lokale Abfüllbetrieb von 'Coca Cola' gehört zu den Kunden. Auch die Polizei biete Bewachungsdienste gegen Geld an, erklärte Bessarabow. Die Privaten seien aber besser bezahlt und gingen professioneller vor.

Die Mitglieder des Verbands der Sicherheitsfirmen schicken ihre Mitarbeiter zunächst zu einem Kurs, der von 'Dordoi Securities', einer der größten Firmen mit 800 Angestellten, angeboten wird. Sie nehmen dort an psychologischen Tests teil und werden in Erster Hilfe und dem Umgang mit Waffen unterwiesen.

Die kirgisische Polizeiakademie hingegen gilt als bestechlich. Ihrem Ruf geschadet hat auch eine Prügelei von Absolventen im letzten Sommer. "Wir versuchen erst gar nicht, uns ans Innenministerium zu wenden, um die für ihre schlechten Angewohnheiten bekannten Polizisten anzuheuern", erklärte Bessarabow. "Die Truppe ist korrupt, und ihre Auffassung von Dienstleistung entspricht nicht der Arbeit, die ich von meinen Jungs erwarte."

Viele Einwohner von Bischkek haben längst den Eindruck, dass die Polizisten vor allem daran interessiert sind, aus ihrer Position persönlichen Nutzen zu ziehen, statt die öffentliche Sicherheit aufrecht zu erhalten.


Ex-Polizeichef räumt Mängel ein

Dass die Polizei demoralisiert ist und in den Augen der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit verloren hat, räumt auch der hochrangige Polizeibeamte Omurbek Suwanalijew ein, der während der Amtszeit des inzwischen gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew kurzzeitig Innenminister war. "Die Leute verstehen, dass die bestehenden Sicherheitsstrukturen das Staatsoberhaupt und andere ranghohe Politiker schützen sollen", sagte er. "Die Polizei hat ihre Funktion in der Gesellschaft verloren."

Gleichwohl warnte Suwanalijew vor privaten Sicherheitsfirmen und Detekteien, in denen es keine zentral gesteuerte Befehlskette gebe. Solche Firmen könnten zum Deckmantel für kriminelle Aktivitäten werden. "Personen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen konnten, erteilten wir früher keine Genehmigungen", sagte der Beamte, der bereits zwei Mal Polizeichef in Bischkek war und sich nun als Anhänger der politischen Opposition darstellt. "Später gab die Bakijew-Familie jedoch allen Lizenzen, sogar kriminellen Banden und Drogenschmugglern."

Kunden wie Dilnoza haben nur die Wahl zwischen zwei möglichen Übeln: Sie entscheiden sich für eine private Firma trotz der Gefahr, an Kriminelle zu geraten. Oder aber sie wenden sich an die Polizei und müssen befürchten, zur Zahlung von Schmiergeldern aufgefordert zu werden. "Die Polizisten sind Diebe", sagt sie. "Das sehen wir tagtäglich." (Ende/IPS/ck/2012)

* Dieser Beitrag erschien zunächst bei EurasiaNet in New York, einem Informationsdienst über Zentral- und Südwestasien, Kaukasus, Russland und Türkei. Der Dienst wird vom 'Central Eurasia Project' des 'Open Society Institute' betrieben.


Links:

http://www.eurasianet.org/
http://www.ipsnews.net/2012/11/distrust-in-kyrgyz-police-means-privatisation-of-law-and-order/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. November 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2012