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ASIEN/823: Pakistan - Angst vor den Taliban, Streitkräfte im Norden sind demoralisiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Dezember 2012

Pakistan: Angst vor den Taliban - Streitkräfte im Norden sind demoralisiert

von Ashfaq Yuzufzai


Abschied von Soldaten, die von den Taliban getötet wurden - Bild: © Ashfaq Yuzufzai/IPS

Abschied von Soldaten, die von den Taliban getötet wurden
Bild: © Ashfaq Yuzufzai/IPS

Peshawar, 10. Dezember (IPS) - Das gnadenlose Vorgehen der Taliban gegen die Sicherheitskräfte in Pakistan demoralisiert die Truppen, die sich kaum noch gegen die selbsternannten Gotteskrieger durchsetzen können.

"Die Taliban haben einen Weltrekord in Grausamkeit aufgestellt. Sie haben Soldaten und Zivilisten mit Messern abgestochen und ihre Köpfe an öffentlichen Plätzen ausgestellt. Diese Maßnahmen sind als Botschaft an die Adresse der Streitkräfte gedacht, die Taliban besser nicht auf Geheiß der Regierung zu jagen", sagte ein Polizeiinspekteur in Peshawar im Norden des Landes.

Die militanten Islamisten haben seit 2008 in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa nahe der afghanischen Grenze insgesamt 1.962 terroristische Anschläge verübt. Dabei wurden etwa 6.200 Menschen getötet und weitere 9.000 verletzt, wie aus einem Bericht der Provinzbehörden hervorgeht. Bei 146 Selbstmordanschlägen der Taliban starben 826 Polizisten, 222 Grenzpolizisten und 300 Armeesoldaten.

"Die Polizei ist weniger gut ausgerüstet als die Milizionäre, die Raketenwerfer, Bomben und Handgranaten besitzen", erklärte Polizeiinspekteur Jawad Ali. Die Brutalität der Taliban gegenüber den Sicherheitskräften habe die Truppen soweit entmutigt, dass die meisten Polizeiwachen und Kontrollpunkte nachts geschlossen seien.


Mit Krankmeldung aus der Gefahrenzone

Etliche Polizisten versuchen mit ärztlichen Attesten der Arbeit fernbleiben zu können. Die Provinzregierung hat inzwischen jedoch eine weitgehende Urlaubssperre verhängt. "Wer tatsächlich krank ist, wird vom Dienst befreit, die anderen müssen sich im Fall einer Bedrohung in Rufbereitschaft halten", sagte Ali.

Wasan Khan vom Polizeikrankenhaus erklärte, dass 450 Polizisten eine Freistellung vom Dienst aus gesundheitlichen Gründen beantragt hätten. "Nur 15 von ihnen wiesen Symptome auf, die eine Ruhepause nahelegten. Die übrigen kamen in der Hoffnung auf ein Attest."

Etwa 1.400 Mitglieder der Grenzpolizei, einer 50.000 Mann starken paramilitärischen Einheit, waren vor zwei Jahren entlassen worden, als sie sich weigerten, an einer Operation gegen die Taliban nahe Peshawar, der Hauptstadt von Khyber Pakhtunkhwa, teilzunehmen.

Die Regierung hat unterdessen eine Kampagne gestartet, um die Moral der Truppe zu heben. "Im Kampf gegen den Feind zu sterben, heißt, den Märtyrertod zu sterben", lautet die Devise. "Die Soldaten sollten sich unter keinen Umständen den Kämpfern ergeben. Das haben sie aber häufig getan", so Ali.

Nach seinen Angaben hatten sich auch die 17 Soldaten ergeben, die im Juni in der afghanischen Provinz Kunar enthauptet worden waren, nachdem sie an Kontrollpunkten in Dir, eines der 25 Distrikte von Khyber Pakhtunkhwa, entführt worden waren. Nach ihrer Gefangennahme verbanden ihnen die Taliban die Augen, fesselten ihre Hände hinter ihren Rücken und verschleppten sie nach Kunar. Nur eine Woche zuvor waren sieben Angehörige des Militärs in derselben Gegend geköpft worden.

Frühere Angriffe der Islamisten richteten sich Mitte Oktober gegen den Mattani-Checkpoint nahe Peshawar. Dabei wurden sechs Polizisten getötet, unter ihnen der Polizeioberaufseher Kursheed Khan, der niedergemetzelt und enthauptet wurde. Ein weiteres führendes Mitglied der Polizei, Hilal Khan, kam am 12. November mit sieben Polizisten bei einem Selbstmordanschlag in Peshawar ums Leben.

"All diese Angriffe sollten die Polizei und die Sicherheitskräfte davon abschrecken, die Bevölkerung zu schützen. Durch Enthauptungen werden die Truppen in Angst und Schrecken versetzt", sagte der Polizeioffizier Abdullah Shah.


Angriffe auf Schulen, Stromanlagen und Internetcafés

Die Terroristen haben außerdem rund 300 Internetcafés und CD-Läden beschädigt oder zerstört, ebenso 325 Schulen und 100 Umspannanlagen. In den vergangenen fünf Jahren wurden laut den Behörden in Khyber Pakhtunkhwa mehr als 600 Angriffe auf Polizeiwachen und -wagen verübt. Sprengmeister entschärften in dem Zeitraum zudem 644 Bomben und andere Explosionskörper.

Umgerechnet rund 240 Millionen US-Dollar des öffentlichen Haushalts von Khyber Pakhtunkhwa im Umfang von insgesamt 3,1 Milliarden Dollar sind für die bessere Ausstattung der Polizei, unter anderem mit Waffen, vorgesehen.

"Seit unserer Machtübernahme 2008 haben wir die Zahl der Polizisten in der Provinz von 35.000 auf 90.000 aufgestockt", berichtete der Informationsminister von Khyber Pakhtunkhwa, Mian Iftikar Hussain. "Die Familien der Polizisten, die von Extremisten entführt wurden, erhalten Entschädigungszahlungen und Land." Die USA hätten zudem Fahrzeuge, Kommunikationsmittel und andere Ausrüstung im Wert von 17 Millionen Dollar für die Bekämpfung der Taliban zur Verfügung gestellt. (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/12/taliban-face-sick-police/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2012