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ASIEN/825: Kambodscha - Regionale Integration bedroht Bevölkerung, viele Bauern vertrieben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2012

Kambodscha: Regionale Integration bedroht Bevölkerung - Viele Bauern vertrieben

von Michelle Tolson


Mitglieder des Frauennetzwerks für Einheit in Kambodscha kämpfen für die Rechte von Schwulen und Lesben - Bild: © Michelle Tolson/IPS

Mitglieder des Frauennetzwerks für Einheit in Kambodscha kämpfen für die Rechte von Schwulen und Lesben
Bild: © Michelle Tolson/IPS

Phnom Penh, 17. Dezember (IPS) - Einen kurzen Augenblick lang stand Kambodscha, eines der 48 ärmsten Länder der Welt, im Mittelpunkt der internationalen Berichterstattung. Der Besuch von US-Präsident Barack Obama und das Jahresgipfeltreffen der Vereinigung Südostasiatischer Staaten (ASEAN) im letzten Monat verliehen der 14,3 Millionen Einwohner zählenden Nation einen Hauch von Glamour.

Die globale Aufmerksamkeit ließ auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen enger zusammenrücken. Unter dem Dach der 'ASEAN People's Grassroots Assembly' (APGA) protestierten Bauern- und Fischerverbände, Gewerkschaften und andere Gruppen gegen die Grenzen der kürzlich angenommenen regionalen Menschenrechtserklärung und gegen die schweren Rechtsverletzungen in den ASEAN-Ländern.


Existenzgrundlagen vernichtet

Doch während das internationale Interesse rasch verebbte, hat die Arbeit der Organisationen gerade erst begonnen. Wie die kambodschanische Aktivistin Pisely Ly berichtet, geht es den am stärksten ausgegrenzten Mitgliedern der kambodschanischen Gesellschaft genauso schlecht wie vor dem ASEAN-Treffen Mitte November. Menschen würden von ihrem Land vertrieben und Existenzgrundlagen vernichtet. Frauenhandel und Prostitution blühten und Sexarbeiter würden nach geltendem Recht ebenso wenig geschützt wie sexuelle Minderheiten.

Die kambodschanischen Aktivisten sind zudem entrüstet über Pläne, die Wirtschaftsintegration in dem ASEAN-Staatenbund mit zehn Mitgliedern bis 2015 abzuschließen. Wird der Zeitplan eingehalten, so werden der regionale Handel und Investitionen in den kommenden zwei Jahren zunehmen. APGA-Vertreter befürchten, dass dies die katastrophalen Auswirkungen der Landpolitik in Kambodscha weiter verschlimmern wird. Die Regierung hat bereits Pachtverträge mit internationalen Investoren über 4.452 Hektar Agrarland geschlossen.

Dem 'World Policy Institute' in New York zufolge sind die chinesischen Investitionen in Kambodscha seit dem Freihandelsabkommen zwischen der Volksrepublik und ASEAN im Januar 2010 rapide gestiegen. Die Chinesen stellen dort mittlerweile 20 Prozent der ausländischen Investoren.

Auch die vietnamesischen Beteiligungen befinden sich im Aufwind, vor allem an Kautschukplantagen. Die Folgen sind gravierend. So werden immer mehr Menschen von ihrem Land vertrieben. Anfang Dezember hatte die Parlamentsabgeordnete Mu Sochua Dorfbewohner besucht, die aufgrund einer Konzession für die Ly-Young-Phat-Palmzuckerplantage von ihrem Land verschwinden mussten.

"Ein Opfer des Landraubs lag im Sterben, als wir dort ankamen. Die Frau hatte alles verloren, was sie besessen hatte, war schwanger und ernährte sich von den Früchten des Waldes. Die Pilze, die sie aß, waren giftig. Das ist ein Extrembeispiel dafür, was die Landkonzessionen bewirken können", meint Sochua.

Die 'New York Times' berichtete vor einigen Monaten, dass die größte Gefahr von den so genannten 'wirtschaftlichen Landkonzessionen' (E.L.C.) gemäß dem 2001 erlassenen kambodschanischen Landgesetz ausgeht. Diese berechtigen die Regierung dazu, über das gesamte 'private Staatsland' zu verfügen und Flächen von jeweils bis zu 10.200 Hektar Land für 99 Jahre an Unternehmen zu verpachten.

Wegen der wirtschaftlichen Vorteile einiger weniger Firmen seien viele arme Menschen in die Flucht geschlagen worden, hieß es. "Wir können unser Land nicht mehr zum Anbau von Nahrungsmitteln verwenden", sagt Pen Sothary, die dem Prostituierten- und LGBT-Kollektiv 'Frauennetzwerk für Einheit' (WNU) in der Hauptstadt Phnom Penh angehört.

Zwischen 2003 und 2008 waren etwa 250.000 Menschen von solchen Landkonzessionen an Unternehmen betroffen, wie die Kambodschanische Liga für den Schutz der Menschenrechte (LICADHO) mitteilt.

Politische Beobachter fürchten, dass ein geplantes neues Landgesetz das Anrecht der Bauern auf ihren Grund und Boden weiter schwächen wird. Das 'ASEAN People's Forum' (APF), das die Zivilgesellschaft in der Region repräsentiert, übermittelte kürzlich die Befürchtungen von Bauern, Fischern, Sex-Arbeitern und Schwulen, dass die regionale Integration die Lage in Kambodscha verschlimmern könnte.

Nach Ansicht der WNU-Aktivistin Pech Sokchea gehören die Vertreibungen der Menschen von ihrem Land zu den größten Problemen in Kambodscha. 70 Prozent der Bevölkerung lebten von der Subsistenzlandwirtschaft, berichtet sie. Um nicht zu verhungern, versuchten viele als Arbeitsmigranten zu überleben, fielen aber häufig Menschenhändlern in die Hände.


Darlehen zu Wucherzinsen treiben Bauern in Ruin

In einem kürzlich veröffentlichten WNU-Bericht schildert die Wissenschaftlerin Melissa Ditmore, wie hochverzinste Kredite die Menschen in den ländlichen Regionen in den Ruin treiben. Zinssätze von 500 Prozent sind demnach keine Seltenheit. Fällt die Ernte schlechter aus als erwartet, ist die Gefahr hoch, dass die Betroffenen ihr Land und somit das einzige verlieren, was sie haben.

Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat die Landflucht dokumentiert. Seit Mitte der neunziger Jahre suchen Frauen Arbeit in Textilfabriken in den Städten, wo sie in der Regel nicht mehr als umgerechnet 60 US-Dollar im Monat verdienen. Um ihre mageren Einkünfte aufzubessern, nehmen viele Beschäftigungen in Bierkneipen, Karaoke-Bars und Massagesalons auf, wo sie häufig in die Prostitution abgleiten.

2009 waren in Phnom Penh mehr als 21.000 Frauen in der so genannten 'Vergnügungsindustrie' beschäftigt. Ihre Löhne liegen bei 35 Dollar im Monat. Prostituierte verdienen 25 Dollar pro Nacht. Da es fast unmöglich ist, mit regulärer Arbeit den Lebensunterhalt zu bestreiten, fordern Wirtschaftsexperten ein monatliches Mindesteinkommen von 177 Dollar.

Die meisten Frauen geben einen Großteil ihres Einkommens an ihre Familien in den ländlichen Regionen ab, wie die Organisation 'Somo' berichtet. Auch die Arbeitsmigrantinnen schicken einen Teil nach Hause. Diese Frauen sind in der Fremde ungeschützt, und es kommt immer wieder vor, dass sie von ihren Arbeitgebern misshandelt und/oder vergewaltigt werden. "Manche erhalten keinen Lohn und kommen mit leeren Händen wieder nach Hause", sagt die WNO-Vorsitzende Keo Tha. "Diejenigen, die betrogen wurden, begeben sich nach ihrer Rückkehr wieder ins Rotlichtmilieu und somit in die stetige Gefahr, sich mit HIV/Aids anzustecken."

WNU-Mitglieder sind beunruhigt über die 'Schlupflöcher' im neuen ASEAN-Rahmenwerk, das internationale Menschenrechtsstandards nur dann anerkennt, wenn diese die 'kulturellen und religiösen' Regeln der ASEAN-Länder nicht verletzen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.asean.org/news/asean-statement-communiques/item/asean-human-rights-declaration
http://en.wordpress.com/tag/asean-grassroots-peoples-assembly/
http://www.nytimes.com/2012/07/19/opinion/land-grabs-in-cambodia.html?_r=1&
http://wnu.womynsagenda.org/
http://www.licadho-cambodia.org/reports/files/134LICADHOREportMythofDevelopment2009Eng.pdf
http://www.ipsnews.net/2012/12/cambodian-activists-challenge-asean-policies/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2012