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ASIEN/886: Taiwan - Etappensieg für Gegner von Abhöraktionen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. März 2014

Taiwan:
Etappensieg für Gegner von Abhöraktionen - Einsatz von Wanzen strenger reglementiert

Von Dennis Engbarth


Bild: © Dennis Engbarth/IPS

Protest gegen die Überwachung von Bürgern in der Hauptstadt Taipeh werden
Bild: © Dennis Engbarth/IPS

Taipeh, 4. März (IPS) - Das Parlament in Taiwan hat mit der Reform des Strafrechts und des Gesetzes für Kommunikationssicherheit einen wichtigen Schritt getan, um die Überwachung von Bürgern und Politikern einzuschränken.

Mit den Änderungen reagierte die Legislative auf einen politischen Skandal, der den ostasiatischen Inselstaat im vergangenen September erschüttert hatte. Der Parlamentspräsident und andere prominente Abgeordnete waren von einer geheimen Sonderermittlungseinheit (SIU) unter Leitung des obersten Staatsanwaltes Huang Shih-ming verwanzt worden.

Auf einer Pressekonferenz am 6. September präsentierte Huang Abhörprotokolle, die angeblich belegen, dass Parlamentssprecher Wang Jin-pyng Beamte des Justizministeriums unter Druck setzte, um einen Einspruch gegen ein Gerichtsurteil gegen den Oppositionsabgeordneten Ker Chein-ming zu verhindern.

Huang sprach vom größten Manipulationsversuch in der Geschichte des Landes. Dennoch wurde niemand unter Anklage gestellt. Versuche von Staatspräsident Ma Ying-jeou, Wang aus der regierenden Chinesischen Nationalistischen Partei (Kuomintang, KMT) auszuschließen und aus seinem Amt zu entfernen, sind jedoch gescheitert.


Selbst Regierungspartei verurteilt Wanzenaktionen

Unterdessen haben weitere Enthüllungen, wonach die Sondereinheit auch Mobiltelefone von Abgeordneten abhörte, in beiden politischen Lagern zu massiver Kritik geführt. Die Mitglieder der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) beschuldigten Ma, die "Herrschaft der Geheimpolizei" von 1949 bis Anfang der 1990er Jahre wiederbeleben zu wollen. Der KMT-Abgeordnete Lu Hseuh-chi sprach von "politischer Spionage".

In einem am 15. Januar veröffentlichten Bericht bestätigt die Ombudsstelle der Regierung den Vorwurf, dass der oberste Staatsanwalt sein Amt missbraucht hat, indem er der SIU befahl, "in einem Fall mehrere Untersuchungen" durchzuführen, nach möglichen kriminellen Handlungen "zu fischen" und Parlamentarier zu überwachen.

Der Aufruhr im September habe der praktisch unkontrollierten kriminellen Überwachung durch Staatsanwälte, Ermittler und die Polizei einen Dämpfer versetzt, so Kao Yung-cheng, Vorstandsmitglied der Stiftung für Rechtsreform. Unter Berufung auf Zahlen des Justizministeriums erklärte er, dass Staatsanwälte zwischen 2008 und 2012 jährlich im Schnitt 15.312 Wanzen beantragt hätten, von denen drei Viertel von den Gerichten genehmigt worden seien.

Im Vergleich dazu ist in den USA, in denen elf Mal so viele Menschen leben wie in Taiwan, in diesem Zeitraum jährlich in etwa 2.720 Fällen die Installation von Abhörgeräten beantragt worden. "Diese Angaben lassen nur zwei Interpretationen zu: dass Taiwan entweder ein Paradies für Kriminelle ist oder dass ein unerhörter Missbrauch mit Wanzen betrieben wird und die Justiz- und Polizeibehörden unverhältnismäßig oft in die Privatsphäre eingreifen", sagte Kao.

Die Versuche der Opposition, Huangs Rücktritt zu erzwingen und die SIU aufzulösen, sind bisher gescheitert. Die Zusammenarbeit zwischen Abgeordneten von Opposition und KMT sowie starker Druck von Seiten lokaler Menschenrechtsorganisationen führten letztlich zu den am 15. Januar beschlossenen Reformen, die den Einsatz von Wanzen begrenzen. Präsident Ma, von dem sich im Zuge des Skandals mehr als 75 Prozent der Bevölkerung distanzierten, billigte die Änderungen am 29. Januar.

Die wichtigste Neuerung besteht darin, dass Staatsanwälte eine separate richterliche Genehmigung einholen müssen, wenn sie eine bestimmte Person in einem bestimmten Fall abhören wollen. "Einen Blankoscheck gibt es nicht mehr", erklärte die DDP-Abgeordnete Yu Mei-nu. Die Reformen sollen gewährleisten, dass Personen ausschließlich im Zusammenhang mit derjenigen mutmaßlichen Straftat abgehört werden, für die die Wanzen beantragt wurden.


Strikte Auflagen

Richter sind künftig angehalten, entsprechende Anträge von Staatsanwälten abzulehnen, wenn die vorgeschriebenen Verfahrensweisen nicht eingehalten wurden oder die Begründungen unzureichend sind. Außerdem wird die Überprüfung von Telefonmitschnitten nicht mehr in Fällen gestattet sein, in denen die vermeintliche Verfehlung höchstens eine dreijährige Gefängnisstrafe nach sich ziehen würde. Ein Richter muss in allen Fällen der Bespitzelung vorab zustimmen, sofern es sich nicht um Schwerverbrechen wie Entführungen, Menschenhandel und Mord handelt.

Die Gerichte sind zudem angehalten, fortan die abgehörte Person binnen 14 Tagen nach Abschluss der Überwachung darüber in Kenntnis zu setzen. Opfer unerlaubter Abhöraktionen können Beschwerde einlegen. Das Justizministerium ist überdies verpflichtet, einmal jährlich über Abhöraktionen Bericht zu erstatten. Bei Zuwiderhandlungen drohen Richtern Disziplinarverfahren und Beamten, die den Inhalt von Abhörbändern unerlaubt nutzen, Haftstrafen von bis zu drei Jahren. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/03/taiwanese-saved-little-wiretapping/

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IPS-Tagesdienst vom 4. März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2014