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ASIEN/956: Nepal - "Ernste humanitäre Krise", Bündnis fordert Ende indischer Wirtschaftssanktionen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. November 2015

Nepal: "Ernste humanitäre Krise" - Bündnis fordert Ende indischer Wirtschaftssanktionen

von Thalif Deen


Bild: Nirmal Dulal, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons

Beim Erdbeben im Frühjahr 2015 zerstörtes Gebäude in Nepal
Bild: Nirmal Dulal, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons

NEW YORK (IPS) - Ein unabhängiges nepalesisches Bürgerbündnis, das von Diplomaten, Journalisten, Frauenrechtlerinnen, Ärzten und ehemaligen UN-Beamten unterstützt wird, hat die internationale Staatengemeinschaft und die Vereinten Nationen dazu aufgerufen, "wirksame Schritte" zur Aufhebung der "Wirtschaftsblockade" gegen Nepal einzuleiten.

In dem Appell kam tiefe Besorgnis über die De-facto-Wirtschaftssanktionen zum Ausdruck, die Indien vor zwei Monaten gegen das Himalaja-Königreich verhängt hat. In der Folge sei das Land in eine "ernste humanitäre Krise" geraten, erklärte das Bündnis in seinem am 30. Oktober verbreiteten Aufruf. "Wir appellieren an alle beteiligten Parteien in Nepal und an die internationale Gemeinschaft einschließlich Indien, die Krise unverzüglich zu beenden."

Die Vereinten Nationen wären in der Lage, in dieser Situation eine Beendigung der indischen Blockade aus humanitären Gründen zu fordern, sagte Kul Chandra Gautam, ein ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär und Vize-Exekutivdirektor des UN-Kinderhilfswerks UNICEF.

Außerdem könnte die Weltorganisation verlangen, dass Güter des täglichen Bedarfs ohne Unterbrechung durchgelassen würden. Ferner könne der UN-Sonderberichterstatter über 'Unilaterale Zwangsmaßnahmen mit ernsthaften negativen Auswirkungen für die Wahrnehmung der Menschenrechte' die Folgen der von Indien gegen Nepal verhängten Sanktionen untersuchen.


Indien zu humanitärem Handeln aufgefordert

Selbst während Kriegen und Konflikten hätten die UN oftmals einen 'humanitären Waffenstillstand' und humanitäre Korridore angemahnt, insbesondere an Feiertagen wie Weihnachten, sagte Gautam. Momentan stünden mehrere wichtige Feiertage in Nepal an, die auch in Indien und anderen Nachbarländern begangen würden. Indien sollte sich daher großzügig gegenüber der Bevölkerung Nepals zeigen.

Die Regierung von Indien bestritt unterdessen, eine Wirtschaftsblockade verhängt zu haben. Alleiniger Grund für die Einschränkungen im Grenzverkehr seien innere Unruhen in Nepal. Die Unterzeichner des Appells sehen allerdings etliche Anzeichen für eine tatsächliche Blockade, wie etwa langsame Zollkontrollen, die Weigerung des Monopolisten 'Indian Oil Corporation', nepalesische Schiffe zu betanken sowie indische Presseberichte, denen zufolge Angehörige der Grenzpolizei 'Seema Shuraksha Bal' Schiffsladungen aufhalten sollten.

Der stellvertretende UN-Sprecher Farhan Haq erklärte, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon habe sich über die Situation bei einem Treffen am 2. Oktober mit dem stellvertretenden Regierungschef von Nepal, Prakash Man Singh beraten. Ban habe "Besorgnis über die Behinderung wichtiger Gütertransporte an der Grenze zwischen Nepal und Indien und die daraus resultierenden Schwierigkeiten" geäußert.

"Wie allgemein bekannt ist, kämpft das nepalesische Volk noch immer mit den Folgen des verheerenden Erdbebens, das sich vor sechs Monaten ereignete", heißt es in dem Appell des Bürgerbündnisses. Nach der Katastrophe und nach politischen Unruhen im Süden des Landes habe "die fortdauernde Blockade Indiens die Wirtschaft Nepals lahmgelegt und großes menschliches Leid verursacht".


Krankenhäuser unterversorgt, Schulen geschlossen

Die humanitäre Lage sei schlecht, heißt es weiter. Lebenswichtige soziale Dienstleistungen seien unterbrochen worden. Krankenhäuser verfügten nicht mehr über unverzichtbare Medikamente und Ausrüstung. Nach Schätzungen von UNICEF können mehr als 1,6 Millionen Kinder seit zwei Monaten nicht mehr zur Schule gehen. Größere Industriebetriebe und kleine Unternehmen mussten schließen, und Entwicklungsprojekte, wie der Bau neuer Infrastruktur, sind zum Stillstand gekommen.

In einem Zeit, in der der Tourismus normalerweise seine Hochsaison erlebe, kämen kaum Besucher nach Nepal, erklärt das Bürgerbündnis. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt habe sich landesweit verschlechtert. Weitere Hunderttausende Nepalesen seien gezwungen, sich nach Jobs in Indien, den Golfstaaten und Malaysia umzuschauen.

Überdies behindere die durch die Blockade verursachte Treibstoffknappheit die Lebensmittellieferungen. In allen Teilen des Landes fehle es mittlerweile an ausreichender Nahrung. Die Unterbrechungen im Personenverkehr hinderten zudem Millionen Nepalesen daran, die Feiertage mit ihren Familien zu verbringen. Die völlige Überlastung der Verkehrsmittel habe zu Unfällen mit vielen Toten geführt. Auch Frauen, Kinder und ältere Menschen hätten keine andere Wahl, als gefährliche Fahrten auf Dächern von Bussen anzutreten.

Die Unterstützer des Appells warfen Indien vor, trotz seiner großzügigen Hilfeleistungen nach dem Erdbeben nun dringende Wiederaufbaumaßnahmen in Nepal vor Einbruch des Winters zu verhindern.


Erdbeben verursachte Milliarden-Schäden

Durch das Erdbeben ist der Wirtschaft Nepals ein Schaden in Höhe von etwa sieben Milliarden US-Dollar entstanden. Schätzungen zufolge dürften die finanziellen Auswirkungen der indischen Sanktionen noch weitaus gravierender sein. Nepal werde dafür abgestraft, dass eine gewählte, repräsentative Verfassunggebende Versammlung eine fortschrittliche Staatsverfassung angenommen habe, kritisierte die Bürgerkoalition.

Den Appell unterstützten unter anderem Nilamber Acharya, ehemaliger Minister, Parlamentsabgeordneter und Botschafter Nepals in Sri Lanka; die frühere Regionaldirektorin des UN-Frauenentwicklungsfonds (UNIFEM), Chandani Joshi; der ehemalige Botschafter in Japan, Kedar Mathema; der renommierte Arzt Bhagwan Koirala sowie Anuradha Koirala, Gewinnerin des 'CNN Hero Award'. (Ende/IPS/ck/02.11.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/10/nepal-appeals-to-u-n-to-help-lift-economic-blockade/

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IPS-Tagesdienst vom 2. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2015

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