Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

SPANIEN/005: Spanien nach den geplatzten Blasenträumen - Ein Lehrstück (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 18 vom 4. Mai 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Das Armenhaus
Spanien nach den geplatzten Blasenträumen. Ein Lehrstück

von Klaus Wagener



"Die Entscheidung macht eine ohnedies kritische Situation in Spanien noch etwas kritischer", erkannte Wolfgang Schäuble, diesmal nicht ganz unzutreffend. Der Finanzminister spielte an auf eine Meldung der Ratingagentur Standard & Poor's. Sie hatte in der letzten Woche die Bewertung für Spanien von A auf BBB+ zurückgestuft. Mit negativem Ausblick. Damit hat Spanien mit dem auch nicht gerade brillant dastehenden Italien gleichgezogen. Nun muss man aus Ratings von S&P kein Gottesurteil stricken. Es handelt sich wie bei den Agenturen um private Unternehmen, die ihre Meinungen verkaufen, um Profite zu erzielen. Wie der schwunghafte Handel mit "strukturierten" Papieren zeigte, manchmal durchaus im doppelten Wortsinn. Allerdings, in diesem Fall liegt S&P wohl so völlig falsch nicht.

Die Analysen der Agenturen klingen in der letzten Zeit zunehmend deutlicher nach Kritik am herrschenden Euro-Rettungskurs. Im Falle Spaniens: Die Versuche der Partido-Popular-Regierung mit einer 27 Mrd. schweren Streichorgie den Haushalt über die Ausgaben zu sanieren, würden unter dem Strich auf absehbare Zeit keine Jobs schaffen. Wie auch. Dazu dürfte das Streichkonzert ohnehin vergebliche "Liebesmüh" sein, denn der spanische Bankensektor wackelt bedenklich und dürfte bald neue Staatsknete brauchen. Und zu allem Überfluss ist Spanien wieder in die Rezession gerutscht. Im ersten Quartal um 0,4 Prozent. Aufs ganze Jahr gesehen rechnet S&P mit einem Minus von 1,5 Prozent. Der Internationale Währungsfonds (IWF) liegt bei minus 1,7 Prozent. "Was Spanien an Reformen auf den Weg gebracht hat, das ist wirklich sehr beeindruckend", verkündete Wolfgang Schäuble. Beeindruckend. In der Tat.

Das spanische Statistikamt INE meldete eine Arbeitslosenquote von 24,44 Prozent. Jeder Vierte, 5,63 Mio. Menschen waren im ersten Quartal 2012 - offiziell - arbeitslos. In Andalusien sind es 33,17 Prozent. Jeder Dritte. Als beschäftigt gilt, wer in der Woche mindestens eine Stunde gegen Entgelt gearbeitet hat. Bei einer erwerbsfähigen Bevölkerung (über 16 Jahren) von 38,49 Mio. gelten 15,42 Mio. ohnehin als "inactive", also dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehend. Bei einer Bevölkerung von 47 Mio. umfasst der "active" Teil somit nur 17,433 Mio. Menschen. Das liegt nun sicher nicht daran, dass im Lande der Wohlstand ausgebrochen ist. Würden Teile der als "inaktiv" Ausgegliederten in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, sähe die noch betrüblicher aus. Aber auch die "sehr beeindruckende" Jugendarbeitslosigkeit kann sich sehen lassen. Sie liegt nach letzten verfügbaren Zahlen (Februar 2012) gleichauf mit Griechenland, bei 50,5 Prozent. Jeder zweite.


Armut

Die Euro-"Rettung" von IWF, EU und Kanzleramt hat das neoliberale "race to the bottom", das Rennen zu den niedrigsten Standards, auf bizarre Weise zu einer Art Sprint verkürzt. Die Staaten der Euro-Peripherie überbieten sich unter dem Druck der von Berlin entfesselten "Märkte" mit Maßnahmen zur Verarmung der Bevölkerung und Strangulierung der Wirtschaft. Die Regierung Rajoy darf sich rühmen, hier die Nase ziemlich vorn zu haben. Die Cáritas Española, der nicht gerade eine übertriebene Distanz zur PP-Regierung nachgesagt werden kann, hat einen 73-seitigen Sozialreport "Exclusión y Desarrollo Social" vorgelegt. Danach wird die spanische Armutsquote in Europa nur noch von Rumänien und Lettland getoppt. Arbeitslosengeld wird maximal zwei Jahre gezahlt. Sozialhilfe sechs Monate. Danach ist Schluss. Zum Jahresende waren laut Studie 580.000 Haushalte ohne Einkommen und ohne jede Unterstützung. Wer kein Einkommen hat, kann natürlich auch seine Hypotheken nicht zahlen. Die Zahl der Obdachlosen nimmt sprunghaft zu, weil die zahlungsunfähig gewordenen Menschen aus ihren kreditfinanzierten Häusern oder Wohnungen geworfen werden. Die Zahl der Zwangsräumungen seit Ausbruch der Krise liegt laut Cáritas Española bei 350.000. Damit ist für die Zwangsgeräumten die Schulden-Odyssee aber in der Regel noch längst nicht vorbei. Anders als in den USA, wo sich die Bank mit dem Haus, oder was davon noch steht, zufrieden geben muss, akzeptieren die spanischen Banken bei Zwangsräumung lediglich 50 Prozent des früheren Zeitwertes. Der offizielle Hauspreisindex ist laut INE allerdings "nur" um 21,71 Prozent gesunken. Die spanischen Cajas haben offensichtlich den gleichen "negativen Ausblick" wie S&P.


Stamokap

Nach seinem Sieg über das republikanische Spanien setzte der Franco-Faschismus wirtschaftspolitisch auf Grund seiner Isolierung, des Krieges und aus ideologischen Motiven auf Autarkie und Industrialisierung. Das INE (Instituto Nacional de Industria) gegründet 1941, wurde zum Instrument einer staatskapitalistisch massiv geförderten nachholenden Industrialisierung. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam aber auch das Ende des Autarkie-Konzeptes. Die Marshall-Milliarden flossen, im Gegensatz zu Westeuropa, nicht auf die iberische Halbinsel. Spanien stand am Rande der Pleite. Mit der Krise der Autarkie kamen Ende der 1950er Jahre IWF, Weltbank und OECD ins Boot. Es begann die Phase der stärker privatkapitalistisch orientierten "Stabilisierungs- und Liberalisierungspläne". Francos Tod 1975‍ ‍war dann auch das Ende von Wirtschaftsautarkie und Entwicklungsplänen. Nach der Periode der Transición entwickelte vor allem die González-Regierung eine Art Post-Franco-Keynesianismus, der sich stärker auf den internationalen Markt ausrichtete als die bisherigen angestrebten Selbstversorgungsstrukturen.

Nur elf Jahre danach, 1986, wurde Spanien Mitglied der EU. Die Aussichten auf EU-Mittel waren beträchtlich. Das Land erhält, nach Polen, heute die größten Zuweisungen aus den Europäischen Strukturfonds. Die Kehrseite dieser "Hilfen" war die volle Liberalisierung der jahrzehntelang abgeschotteten, mit hohen Zöllen geschützten spanischen Wirtschaft. Und die von Maastricht und Lissabon festgeschriebene Währungsunion unter der Vorgabe einer radikal einseitigen, neoliberalen Formierung. Erstes prominentes Opfer war das franquistische Prestigeprojekt SEAT (Sociedad Española de Automóviles de Tourismo). SEAT ging noch im Jahr des EU-Beitritts an VW. Die spanische Wirtschaft geriet immer mehr in direkte Konkurrenz zum Weltmarkt, vor allem zu der deutschen Exportmaschine. Eine Konkurrenz, die weder über Zölle noch Währungsabwertungen abgemildert werden konnte. Das Außenhandelsbilanzdefizit kletterte seit Einführung des Euro beständig. Bis zum Ausbruch der Krise auf fast 10 Mrd. Euro/Monat. Allerdings hatte die nun geschaffene Gemeinschaftswährung auch einen "Vorteil". Die Zinsen sanken beträchtlich. Zwar wurde es deutlich schwerer Geld zu verdienen, dafür aber immer leichter, es zu leihen. In der Europa- und Globalisierungseuphorie der frühen Jahre wurde den Spaniern das Geld geradezu aufgedrängt.


Die Blase

Die Blasenökonomie des Kapitalismus lebt von dem angenehmen Grundgefühl, dass alles irgendwie besser wird, dass es wirtschaftlich voran geht, und dass daher irgendwo viel Geld aus dem Felsen zu schlagen ist. Manchmal reicht auch letzteres. Die Bewusstseinsindustrie, die diese Vorstellung erzeugt, verbreitet dann bei einer großen Zahl von Zeitgenossen die geradezu existentielle Angst, sie hätten ihr Leben vertan, wenn sie nicht auf Biegen und Brechen, an diesem Geschäft des Jahrhunderts, zu dem sich diese Phantasie regelmäßig binnen kurzem verdichtet, versuchten teilzuhaben. Wobei es da realwirtschaftlich geht ist relativ belanglos. Es können sowohl Telekom-Aktien wie Lehman-Zertifikate sein. Von Vorteil ist es aber, wenn das Objekt der Spekulation genügend Volumen aggregieren kann, so dass der erzeugte Effekt im Bereich der volkswirtschaftlichen Relevanz liegt. Im 19. Jh. waren das gewöhnlich Eisenbahnen oder Kanäle in fernen Kontinenten. In letzter Zeit ging es weniger exotisch zu. Der absolute Hit der letzten 25 Jahre war der Glaube an die wunderbare Wertvermehrung der eigenen Behausung.

Da Spekulanten von ihrem Tun missionarisch beseelt sind, ist der Hinweis natürlich müßig, dass schon andere, beispielsweise Japaner, mit Immobilienspekulationen nicht ausschließlich brillante Erfahrungen gemacht haben. "Diesmal ist alles anders". So auch in Spanien. In den Spitzenzeiten des Booms, der Spanien seit Ende der 1990er Jahre in Atem hielt, wurden hier mehr Häuser gebaut als in Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik zusammen. Also für eine Bevölkerung, die gerade einmal ein Fünftel dieser drei Länder zählte. Diese Goldgräberstimmung ist natürlich nicht so sinnlos wie sie aussieht. Wie in der klassischen Variante in Alaska und Kalifornien verdienen einige Leute viel Geld dabei. Die Goldgräber selbst natürlich nur in den seltensten Fällen. Dafür diejenigen, die die Schaufeln, die Ausrüstung, die Verpflegung und die Kleidung lieferten, umso mehr. Heute sind die Ausrüster und Zulieferer international agierende Konzerne. Häufiger mit Sitz in Deutschland oder China. Praktischerweise diente der so erzeugte Mehrwert dieser Konzerne, über das Bankensystem ins "Goldgräberland" recycelt, dazu, neue Kredite für neue Projekte bereit zu stellen. Eine Art Perpetuum mobile, allerdings mit begrenzter Laufzeit. Bei Überschuldung ist Schluss. Doch die Immobilienblasen in den USA, England, Irland und Spanien verhalfen dem neoliberal entgrenzten Kapitalismus zu einer letzten Blüte, bevor er im Sumpf der Weltwirtschaftskrise versank.

Nun stehen allein in Spanien 700.000 Häuser und Wohnungen leer. Monoton steigend. Wieder waren es nicht die "Goldgräber" selbst, die das Geschäft machten. Eine Trendumkehr ist angesichts der sozialen Dynamik kaum in Sicht. Wer keinen Job und kein Geld hat kann sicher keine Zinsen zahlen, noch weniger kann er neue Häuser kaufen. Spanien sitzt, wie die "Dritte-Welt"-Länder der 1990er Jahre, und wie nun die Euro-Staaten Griechenland, Italien, Irland und Portugal in der Schuldenfalle. Weitere Kandidaten stehen schon bereit. Im Unterschied zu Mexiko, Argentinien, Indonesien und Co. kann Spanien aber weder abwerten noch eigenständig Pleite machen.


Die Banken

Schneller noch als die Zahl der leer stehenden Häuser, steigt die Zahl der säumigen Kredite. Mittlerweile sind, wie die Banco de España, die spanische Zentralbank, ausweist, 8,16 Prozent aller Kredite spanischer Banken im Verzug von 90 Tagen und mehr. Macht bei einem Gesamtkreditvolumen von 1,763 Bio. Euro (private Pro-Kopf-Verschuldung: 37 500 Euro) ein Rückstand von 143,815 Mrd. Euro. Die Summe der im Feuer stehenden Kredite schießt geradezu nach oben. Dabei gelten die ohnehin nicht sehr sympathischen Zahlen angesichts eines Wertverlustes von 21,71 Prozent und einer Arbeitslosenquote von 24,44 Prozent noch als zweifelhaft, da es naturgemäß ein Interesse gibt, die wahre Dimension der Bedrohung des spanischen Bankensektors unter der Decke zu halten. Risiken könnten beispielsweise durch Asset Swaps bilanztechnisch ausgelagert werden.

Die EZB hatte dem wackelnden europäischen Bankensektor mit zwei gigantischen Geldspritzen, LTRO 1 und 2 (Long Term Refinancing Operation) im Volumen von mehr als einer Billion Euro unter die Arme gegriffen. Das hat der Sache nach die Probleme der spanischen Banken nicht beseitigt, aber verschoben. Die Institute blieben solvent, konnten Verbindlichkeiten bedienen und - wie in Griechenland - Kapitalflucht ermöglichen. Dafür ist die Verschuldung der spanischen Banken gegenüber dem Eurosystem massiv gestiegen. Der Target2-Saldo der Banco de España ist auf -276,033 Mrd. Euro hochgeschossen. Nur zwei Monate nach Mario Draghis Einsatz seiner "Dicken Bertha" sind die Zinsen für 10-jährige Staatsanleihen wieder bei 6 Prozent angelangt. Zwei Monate nach der wieder einmal definitiven Euro-Rettung ist die Krise zurück - in den Schlagzeilen. In der Wirklichkeit war sie natürlich nie weg.


Spirale nach Unten

Die Regierung Rajoy scheint wild entschlossen, die Vorgaben aus Berlin und Frankfurt erfüllen zu wollen. Es geht ja immer noch schlechter. Die radikalen Ausgabenkürzungen werden weder den Staatshaushalt sanieren noch Arbeitsplätze schaffen. Im Gegenteil. Mit dem Fiskalpakt wird der gegenwärtige Katastrophen-Kurs zu einer Art ewigem Grundgesetz der Eurozone. In einem ohnehin global rezessiven Umfeld wird die Spirale nach Unten zusätzlich nach Kräften in Schwung gehalten. Die "Euro-Retter" scheinen nicht eher zufrieden zu sein, bis die Verhungerten auf dem Pflaster liegen.

*

Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 18 vom 4. Mai 2012, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de
 
Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2012