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EUROPA/715: Italien - Zur Lage in der Kommunistischen Neugründungspartei PRC (Gerhard Feldbauer)


Zur Lage in der Kommunistischen Neugründungspartei (Partito della Rifondazione Comunista - PRC) Italiens (1)  

Von Gerhard Feldbauer


Vom 24. bis 27. Juli 2008 tagte der VII. Kongress des PRC, um die Ursachen der Niederlage der sogenannten Regenbogenlinken bei den Parlamentswahlen im April 2008 zu erörtern und neue Leitungsorgane und den Nationalsekretär zu wählen. In einer Atmosphäre erbitterter innerparteilicher Auseinandersetzungen stritten fünf Strömungen unter den 650 Delegierten über die Zukunft der Partei. Das waren die Anhänger Paolo Ferreros; die Fraktion um Fausto Bertinotti (bis zur Parlamentswahl 2006 Sekretär) und Nicola (Nichi) Vendola; die um die Zeitschrift "Ernesto" versammelten Marxisten-Leninisten, zu denen der Philosoph Domenico Losurdo gehört; der Flügel "Essere Comunisti" (Kommunisten sein), der früher zu "Ernesto" gehörte; und die kleine trotzkistisch beeinflusste Gruppe Falce e Martello" (Hammer und Sichel).

Bertinotti, Vendola und ihre Anhänger waren vor dem Parteitag nicht bereit gewesen, eine Korrektur ihrer revisionistischen Linie vorzunehmen. Auf dem Kongress verfolgten sie mit gewissen taktischen Verschleierungen ihre Konzeption der Umwandlung des PRC in eine indifferente Linkspartei, seines Zusammenschlusses mit dem Rest der Linksdemokraten und Grünen, in welcher der PRC als lose Strömung aufgehen sollte. Wie einst 1991 bei der Umwandlung der IKP in die sozialdemokratische Linkspartei (Partito Democratico della Sinistra - PDS) konnte das nur seine faktische Auflösung bedeuten.

Die Debatte verdeutlichte noch einmal, dass die seit Jahren im PRC bestehenden tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen revolutionären und reformistischen Kräften, um den Schein einer Einheit der Partei zu wahren, unter den Teppich gekehrt wurden. Nun zeigten sie sich, der Eruption eines Vulkans gleich, in einem Ausmaß, mit dem kaum gerechnet worden war. Wäre diese Niederlage nicht eingetreten, hätte dieser Prozess sich ohne Zweifel fortgesetzt und nur den Zielen der Revisionisten, die kommunistische Partei zu liquidieren, gedient.


Früherer Turiner Stahlarbeiter an die Spitze des PRC gewählt

Als Wortführer der Revisionisten agierte der von Bertinotti favorisierte Vendola, Präsident von Apulien, einer der noch von einer Mitte Linkskoalition regierten Regionen (Bundesländern vergleichbar). Im Vorfeld des Parteitages wurde der Bertinotti-Vendola-Fraktion von bürgerlichen Medien lautstark eine Mehrheit vorhergesagt. Bei der Auseinandersetzung über die Resolutionen erreichte Vendola mit 47,5 Prozent für seinen Antrag jedoch nicht die erforderliche Mehrheit. Da die Ferrero-Gruppe für ihre Resolution nur 40 Prozent erhielt, forderte Vendola ultimativ, ihn zum Sekretär zu wählen. Daraufhin trat Paolo Ferrero, früher Leitungsmitglied, gegen ihn an und wurde mit 342 zu 304 Stimmen gewählt. Die opportunistische Politik der Bertinotti-Fraktion erhielt eine Abfuhr.(2)

Der 48jährige Ferrero, ein ehemaliger Turiner Stahlarbeiter bei FIAT, gehörte in seiner Jugend der Democrazia Proletaria - DP (Proletarische Demokratie) an, die aus der aufgelösten legendären antifaschistischen Lotta Continua (Ständiger Kampf) der radikalen Linken hervorging. Tausende ihrer Mitglieder waren Ende der 60er Jahre wegen ihrer Ablehnung der reformistischen Politik der Klassenzusammenarbeit der IKP mit der großbürgerlichen Democrazia Cristiana (Historischer Kompromiss) aus der Partei ausgeschlossen worden oder hatten sie selbst verlassen. Lotta Continua hatte am bewaffneten Kampf teilgenommen, sich 1976 davon losgesagt.(3) Im selben Jahr nahm die DP an den Parlamentswahlen teil und zog mit 1,5 Prozent in die Abgeordnetenkammer ein. Noch 1987 erzielte sie 1,7 Prozent.(4) Die DP lehnte weiterhin den reformistischen Kurs der IKP ab. Nachdem diese 1991 zum sozialdemokratischen PDS mutiert war, beteiligte sie sich an der kommunistischen Neugründung (PRC). Die Herkunft Ferreros bedingt jedoch auch, dass er keine eindeutige kommunistische Identität verkörpert.

Er unterstützte in der Vergangenheit Bertinottis Kurs der Regierungsbeteiligung, hatte im Kabinett Prodis 2006-2008 das Ressort des Sozialministers inne und war Vizepremier. Er war einer der wenigen PRC-Vertreter, die kritische Akzente setzten. Nach der Massendemonstration gegen die USA-Basis in Vincenza in Norditalien im Februar 2007 forderte er vom Regierungschef, "auf Volkes Stimme zu hören". Danach fügte er sich allerdings der von Bertinotti geforderten Fraktionsdisziplin und stimmte für den Verbleib der Truppen in Afghanistan und für weitere Maßnahmen des Sozialabbaus. Auf dem Parteitag setzte er sich kritisch mit der Regierungsbeteiligung auseinander.

Der Parteitag nahm ein von Ferrero eingebrachtes politisches Dokument an, das unter Beibehaltung der Parteisymbole von Hammer und Sichel entschieden eine "Wende nach links" fordert und dazu einen Katalog kämpferischer Maßnahmen und Aktionen vorsieht. Er reicht von der Wiederbelebung des Klassenkampfes für grundlegende soziale und politische Fragen im Rahmen einer entschiedenen Opposition gegen die Regierung Berlusconi über den Aufbau einer breiten Gewerkschaftslinken bis zur Verteidigung der republikanischen Verfassung und ihrer antifaschistischen Wurzeln sowie der Wiedereinbringung der Partei in die Anti-Global- und die Friedensbewegung, in den Kampf gegen die heute weltweit geführten Kriege, gegen die NATO-und gegen alle ausländischen Militärstützpunkte, angefangen bei der USA-Basis in Vincenza und der Forderung nach dem Abzug der italienischen Truppen von allen Kriegsschauplätzen. Ausdrücklich legte dass Dokument fest, dass die Partei zu den kommenden EU-Wahlen auf einer eigenen Liste und unter ihrem eigenen Symbol mit Hammer und Sichel antreten wird. Das Dokument kann unter heutigen Gesichtspunkten als ein antikapitalistisches revolutionäres linkes Programm gewertet werden. Die Tatsache, dass mit der Verharmlosung der Berlusconi-Regierung als eines rechten Zentrums Schluss gemacht und diese als Kabinett der Rechten eingeschätzt wird, lässt hoffen, dass die Partei sich auch einer tiefergehenden Analyse der neuzeitlichen Erscheinungsformen der von der Berlusconi-Regierung ausgehenden faschistischen und rassistischen Gefahren zuwenden wird. Ein Schwachpunkt des Dokuments ist, dass die weltanschaulichen Grundlagen der Partei ausgeklammert werden, noch nicht einmal auf Antonio Gramsci Bezug genommen wird. Das mag dem Kompromisscharakter des Dokumentes geschuldet sein, wird aber ebenso wie die anstehende Auseinandersetzung mit dem vor allem von Bertinotti ausgehenden Opportunismus auf die Dauer nicht ständig vertagt werden können.


Ein Schritt in Richtung kommunistischer Einheit

Der Ferrero-Flügel, konnte sich, da er selbst nur etwa 40 Prozent der Delegierten hinter sich hatte, nicht allein gegen die Bertinotti-Vendola-Fraktion durchsetzen. Er erreichte seine Mehrheit von zirka 52 Prozent vor allem nach Absprachen mit den erwähnten Strömungen, die für ihn stimmten, darunter "Ernesto" (acht Prozent) und "Falce e Martello" (3,5 Prozent). Zugunsten von Ferrero wirkte, was in der "Liberazione" tunlichst verschwiegen wurde, in beträchtlichem Maße der Appell der über 100 kommunistischen Persönlichkeiten zur Rettung der traditionsreichen kommunistischen Bewegung Italiens, unter ihnen ihr führender Philosoph, Professor Domenico Losurdo.(5) Er richtete sich an den PRC, den PdCI und alle italienischen Kommunisten, ihre organisierten Ausdrucksformen nicht aufzugeben, sondern einen offenen, auf den Bau eines "gemeinsamen Hauses der Kommunisten" ausgerichteten Prozess der Erneuerung einzuleiten. Der Appell war von der "Liberazione" nicht veröffentlicht worden. "Ernesto", der ihn nach Erscheinen sofort unterstützte, machte ihn jedoch an der Basis bekannt. Oliviero Diliberto. Sekretär des PdCI, der sich 1998 vom PRC abspaltete, übermittelte Ferrero nach dessen Wahl "die besten Wünsche für eine gute Arbeit" und "für eine aktive Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien".(6) Schon vor dem Parteitag hatte er die Bereitschaft des PdCI erklärt, sich wieder mit dem PRC zu vereinigen. Der PRC lehnte jedoch auch unter Ferrero bisher einen solchen Schritt ab.

Auch am Beispiel des PdCI zeigt sich die widersprüchliche Situation der kommunistischen Bewegung Italiens. Sein früherer Vorsitzender Armando Cossutta, langjähriges Politbüromitglied der IKP, stand 1991 an der Spitze der Gründer des PRC. Als der 1998 die zwei Jahre vorher nach dem Wahlsieg der linken Mitte gewährte parlamentarische Unterstützung der damals schon von Romano Prodi geführten Regierung wegen der Teilnahme an der NATO-Aggression gegen Jugoslawien und der Fortsetzung des Sozialabbaus beendete, verließ Cossutta den PRC und gründete den PdCI. Etwa ein Fünftel der damals 130.000 Mitglieder des PRC und etwa ein Drittel der Parlamentarier folgten ihm. Die Cossutta-Partei trat in die Regierung ein, was mit zwei Ministerämtern belohnt wurde. Der PdCI zählt heute schätzungsweise zirka 20.000 Mitglieder. Unter seinem jetzigen Sekretär Diliberto hat er eine kritische Einschätzung der Regierungsbeteiligung 2006-2008 vorgenommen. Die Haltung 1998 wird dagegen öffentlich mit Stillschweigen übergangen.

Die Ausführungen Ferreros und das angenommene politische Dokument enthielten viel Kritik an der von Bertinotti getragenen opportunistischen Entwicklung des PRC. Offen und konkret angesprochen wurde dieser Ballast, den die Partei seit ihrer Gründung 1991 mit sich herumschleppt, kaum. Domenico Losurdo schätzte ein, Bertinotti sei nie Kommunist gewesen.(7) Er war viele Jahre Führer der größten, einst der IKP nahestehenden Gewerkschaft CGIL. Als die Revisionisten in der IKP im Dezember 1991 die Partei in den sozialdemokratischen PDS umwandelten, gehörte er nicht zu den Gründern des PRC.(8) Er verblieb zunächst im PDS, trat der Neugründung dann 1993 bei und wurde 1994 an Stelle Sergio Garavinis, der den PRC als Strömung in den PDS einbringen wollte, zum Sekretär gewählt.


Der erneute Versuch, die kommunistische Partei zu beseitigen

Verfolgt man den Weg Bertinottis an der Spitze des PRC, dann zeigen sich beim näheren Hinsehen etwa ab 2000 immer öfter Zweideutigkeiten und gegensätzliche Gesichtspunkte. Auf sein 2000 erschienenes aufschlussreiches Buch "Le Idee che non muoiono" (Ideen, die nicht sterben), bin ich bereits in offensiv, Nr. 6/2008 eingegangen. Stärker noch kommt seine Haltung in Interviews zum Ausdruck, die er 2002 beginnend bis 2005 jährlich gab. Sie erschienen 2007 bei Mondatori, in Deutsch im Frühjahr 2008 bei Karl Dietz Berlin unter dem Titel "Fausto Bertinotti. Gespräche mit dem italienischen Reformkommunisten". Der Vorsitzende der Partei Die Linke, Lothar Bisky, schrieb dazu ein Vorwort. In diesen Interviews werden verbal einige soziale Fragen angesprochen, der Weltherrschaftsanspruch der USA thematisiert, die Antikriegsfrage angeführt. Nach einer Erwähnung der Rolle des PRC, einem Bekenntnis zum Kommunismus oder wenigstens der sozialistischen Perspektive sucht man vergebens. Bertinotti spricht viel von einer "politischen Linken", wohl um den Begriff der revolutionären Linken, den er 2005 auf dem VI. Parteitag gebrauchte, um die Zustimmung zur Regierungsbeteiligung zu erhalten, vergessen zu machen. Nebenbei bemerkt, stellt sich die Frage gibt es überhaupt eine unpolitische Linke?(9) Als das Buch bei Dietz in Druck ging, war Bertinotti sicher davon überzeugt, dass seine Regenbogenlinke 2008 wieder in Parlament und Senat einziehen werde und seine Interviews zur Leitlinie der von ihm geplanten nichtkommunistischen Linkspartei gehören würden. Losurdo schätzte ein, dass Bertinotti zur kommunistischen Bewegung "nie eine ausbalancierte Bewertung vorgenommen" hat, er nach der Auflösung der IKP 1991 jetzt "den zweiten Versuch, die Kommunistische Partei abzuschaffen", repräsentiere.(10)

Als pure Demagogie muss heute Bertinottis Rede auf dem VI. Parteitag 2005 erscheinen, in der er zur Begründung der Regierungsbeteiligung des PRC eine "programmatische Regierungsalternative" vorlegte, mit der ein Weg sozialer und struktureller Reformen eingeschlagen, eine "partizipative Demokratie" entwickelt, dem Klassenkonflikt neue Räume für die Transformation der Gesellschaft eröffnet werden sollten. Bertinotti plädierte für einen "gesunden Antagonismus" zwischen reformerischer und radikaler Linker.(11) Ausgenommen den Truppenrückzug aus Irak und die Annullierung des Regierungsdekrets Berlusconis über die Einführung eines Präsidialregimes in einem Referendum wurde dieses gesamte Programm von der PRC-Führung und Bertinotti selbst, der für seine Verwirklichung als Parlamentspräsident dazu über beträchtliche Möglichkeiten verfügte, völlig ignoriert. Höhepunkt dieses Verlustes jeder politischen Glaubwürdigkeit, der entscheidend zur Wahlniederlage beitrug, war, dass der PRC dann in der Regierung und im Parlament dem weiteren Sozialabbau und dem Verbleib der italienischen Truppen in Afghanistan zustimmte. Letzteres war Verrat an der Friedensbewegung, die den Abzug forderte.


Revisionisten gescheitert

Wie zu erwarten, gingen die Auseinandersetzungen im PRC nach dem Parteitag weiter. Dabei wurde deutlich, dass die vorherrschende Einschätzung, er stelle eine "Wende nach links" dar, nur unter Vorbehalten zu sehen war. Der neue Sekretär lud den unterlegenen Vendola ein, in der neuen Leitung mitzuarbeiten und an der Verwirklichung des politischen Dokuments mitzuwirken, das auch den Vorstellungen einer linken Einheit entspreche. Er appellierte, die Einheit der Partei zu wahren. Vendola lehnte brüsk ab und beharrte auf der Konzeption der Umwandlung bzw. des Eintritts des PRC in eine Linkspartei. Bereits einen Tag nach dem Ende des Parteitages drohte er mit der Abspaltung seiner Fraktion und kündigte die Bildung einer "Rifondazione per la Sinistra" an.(12) Es stellte schon eine ganz schöne Portion politischer Unverfrorenheit dar, eine von Dreiviertel der bisherigen Wähler abgelehnte und somit abgestrafte Konzeption weiter zu vertreten. Abgesehen davon, dass der, wenn auch knappe Mehrheitswille des Parteitages in einer nicht zu überbietenden Arroganz missachtet wurde.

Im weiteren Vorgehen lavierte Vendola jedoch zunächst und interpretierte seine Konzeption als Herstellung eines breiten Linksbündnisses. Es gehe "um keine Spaltung, sondern vielmehr um eine Erweiterung" der linken Basis. Das Linksbündnis sollte schnellstmöglich als gemeinsame Wahlplattform für die EU-Wahlen im Juni 2009 verwirklicht werden. Damit wollte Vendola die im Politischen Dokument des Parteitages als eine der wichtigsten Lehren aus der Wahlniederlage 2008 festgelegte Linie, dass der PRC allein und unter Hammer und Sichel zur EU-Wahl antritt, aushebeln. Zur Beratung darüber forderte er, einen Sonderparteitag einzuberufen. Es war offensichtlich, dass es ihm darum ging, wie im Wahlkampf 2008 von Bertinotti praktiziert, eine solche Wahlkoalition erneut als faktische Geburt der "neuen Linken", in welcher der PRC lediglich eine Strömung bilden sollte, zu kreieren. Es ging Vendola darum, auf einem Sonderparteitag die grundsätzlichen Fragen der Strategie des PRC neu aufzuwerfen und zu versuchen, die Mehrheitsverhältnisse zu seinen Gunsten zu verändern.(13) Die Nationale Leitung folgte jedoch Ferrero und lehnte einen Sonderparteitag ab, appellierte dennoch erneut an Vendola, an der Beratung und Beschlussfassung über eine gemeinsame Kandidatenliste des PRC teilzunehmen. Nachdem Bertinotti/Vendola mit ihren Manövern nicht zum Ziel kamen, ließen sie die Maske fallen und schritten, entgegen ihren vorherigen Beteuerungen, keine Spaltung zu wollen, zum Bruch mit dem PRC. Nachdem Bertinotti am 9. Januar mitgeteilt hatte, "ich erkenne den PRC nicht mehr an", teilte Vendola am 21. Januar mit, "ich verlasse den PRC", den er als eine "entartete Gemeinschaft" beschimpfte. Ferrero konterte und nannte die Entscheidung Vendolas "törricht und unbesonnen". Ein Kongress der "Rifondazione per la Sinistra" (Neugründung für die Linke) soll für Juli 2009 einberufen werden. Da der PRC zur Zeit einen Umtausch der Mitgliedskarten durchführt, dürfte die Trennung an der Basis vor allem dergestalt erfolgen, dass die Anhänger Vendolas ihre PRC-Mitgliedschaft nicht erneuern.(14)


PRC bleibt stärkste kommunistische Kraft

Was ist zur bisherigen und weiteren Entwicklung zu sagen bzw. zu prognostizieren: Zunächst einmal ist Ferreros unternommener typisch zentristischer Versuch, sich mit den Revisionisten auszusöhnen um die Einheit der Partei zu erhalten, gescheitert. Wenn es in etwa bei der Kräftekonstellation bleibt, die auf dem Parteitag im Juli 2008 bestand, müsste damit gerechnet werden, dass etwa 30.000 bis 40.000 der derzeit 90.000 Mitglieder Bertinotti/Vendola folgen. Wie viele es sein werden, wird auch ein Test dafür sein, ob die Mitglieder, welche die Delegierten für den Parteitag 2008 wählten, die dann für Vendola stimmten, nun auch den Weg der Spaltung mitgehen. Jedenfalls bliebe der PRC mit wahrscheinlich wenigstens noch gut 50.000 oder auch mehr Mitgliedern trotz der Verluste die zahlenmäßig stärkste und auch einflussreichste kommunistische Kraft. Er wird sich der wichtigsten politisch-ideologischen Aufgabe zuwenden müssen, seine kommunistische Identität zu stärken und zur Basis einer Sammlungsbewegung der verschiedenen kommunistischen Kräfte zu Herstellung ihrer Einheit zu werden, wozu, wie bereits angeführt, mehr als hundert kommunistische Persönlichkeiten, aufgerufen haben.

Der PRC steht in diesem Prozess vor Schwierigkeiten, wie sie wohl in der Geschichte der kommunistischen Bewegung des Landes noch nie existierten. Die revisionistische Politik Bertinottis hat dazu geführt, dass 2006 aus Protest gegen die erneute Regierungsbeteiligung etwa 10.000 Mitglieder die Partei verließen und eigene Organisationen bildeten, darunter die Kommunistische Arbeiterpartei (Partito Comunista dei Lavoratori, - PCL) und die Kritische Linke (Sinistra Critica - SC). Ihre nicht unbeträchtliche Basis verdeutlichten die Ergebnisse, die sie im Alleingang bei den Parlamentswahlen 2008 erreichten: PCL 0,5 und SC 0,4 Prozent. Das waren zusammen annähernd 300.000 Wähler. Es waren Stimmen, die dem PRC fehlten, um die Regenbogenlinke über die Vier Prozent-Hürde zu bringen. Im PRC selbst bestehen neben Ferreros eigener Mehrheitsfraktion die Eingangs angeführten Gruppen "Ernesto", "Essere Comunisti" und "Falce e Martello".

Viel wird davon abhängen, ob Ferrero den Effekt der Niederlage des Projekts Bertinottis/Vendolas zu nutzen versteht und die Auseinandersetzung mit deren Opportunismus beginnt. Im Kampf um die politische Linie der Partei trieb er schlimmste antikommunistische Blüten. Eine der übelsten bestand in der Aufnahme eines Bildes vom Fall der Berliner Mauer in die Mitgliedskarte des Kommunistischen Jugendverbandes, zu dem die "Liberazione" die Schlagzeile brachte: "Der Fall der Mauer hat auch uns Kommunisten befreit". Im übelsten Stil, den man sonst nur von den rechten Medien kennt, wurde dann der Sieg der Konterrevolution, unter anderem in der DDR, begrüßt, die Befreiung von der "Tyrannei der Einheitsparteien, der Staatsgewerkschaften, der Prawda, der Bürokratie und der Stasi" gefeiert, und die von den bürgerlichen Ideologen fabrizierte Stalinismuskeule geschwungen.(15) Das offenbart, dass sich im PRC nie mit den Ursachen der Niederlage des Sozialismus in Europa 1989/90 auseinandergesetzt wurde, keine Analyse der Komplexität des Sozialismus in seiner historischen Rolle, zum Beispiel als Friedensfaktor, seiner Erfolge und Stärken, seiner Schwächen und Defizite erfolgte. Es gab gegen diese Veröffentlichungen zahlreiche nachhaltige Proteste. Aber dazu wie zu anderen grundsätzlichen ideologischen Fragen kann die Auseinandersetzung nicht als abgeschlossen angesehen werden.


Auseinandersetzung mit Opportunismus zwingend erforderlich

Auch in der Auswertung des Parteitages und der Lehren der Niederlage zeigte sich, dass die "Liberazione" den Anforderungen nicht genügte, sie oft mehr als Sprachrohr der Revisionisten denn der revolutionären Fraktionen agierte. Das dürfte den Nationalsekretär veranlasst haben, einen Wechsel an der Spitze der Parteizeitung vorzunehmen und an Stelle des bisherigen Direktors,(16) Piero Sansonetti, mit Dino Greco sicher einen Mann seines Vertrauens einzusetzen. Mit ihm tritt ein angesehener Vertreter der Gewerkschaftslinken an die Spitze des Parteiblattes, der zweifelsohne den Fragen des sozialen Kampfes hohe Priorität einräumen wird. Dass Bertinotti persönlich gegen die Ablösung Sansonettis protestierte, mag als Beweis gelten, dass der Abgelöste ihm nahe stand. Der neue Direktor steht vor einer weiteren schwierigen Aufgabe. Er muss die Existenz des Blattes sichern. Vordergründig infolge der Wahlniederlage, ursächlich aber des Fehlens einer kommunistischen Linie, hat die Zeitung 2008 fast die Hälfte ihrer einst gut 100.000 Abonnenten verloren. Hinzu kommt, dass die Berlusconi-Regierung ihr wie auch "Manifesto" als genossenschaftlichen Medien die staatlichen Subventionen entzogen hat. Die Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi hatte für 2006 das letzte Mal 3,7 Millionen Euro gewährt. Der Ausfall führte zu jetzt 3,5 Millionen Euro Schulden. Es ist bereits vom Verkauf der Zeitung die Rede. Als möglicher Interessent ist der Verleger Luca Bonaccorsi im Gespräch, der aber auch die von Bertinotti für seine Linksparteigründung und gegen den PRC agierende "Alternativa per il Socialismo" finanziert.

Wenn Ferrero den kämpferischen Elan, mit dem er auf dem Parteitag auftrat, und die Entschlossenheit, mit der er die Angriffe Vendolas zurückwies, beibehält, in diesem Sinne beginnt, um die Verwirklichung des vom Parteitag beschlossenen politischen Dokuments zu kämpfen, dazu die Basis mobilisiert, die Debatte in der Öffentlichkeit führt, kann der Prozess der Stärkung der revolutionären Positionen voranschreiten. Das vor allem dann, wenn er bereit ist, sich auf die "Ernesto"-Gruppe zu stützen. Sie erhielt auf dem Parteitag acht Prozent der Delegiertenstimmen, aber ihr Einfluss an der Basis ist bedeutend höher. Massendemonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmern, ein Generalstreik und zahlreiche weitere Arbeitsniederlegungen im vergangenen Oktober waren hoffnungsvolle Zeichen dafür, dass es, wie Ferrero erklärte, "mit dem Rückzug Schluss sei" und man "zum Angriff übergehe".(17)

Als erster Schritt wird erwartet, dass Ferrero seine Ablehnung aufgibt und der PRC sich mit dem PdCI zusammenschließt und so ein Zeichen in Richtung kommunistischer Einheit gesetzt wird. Zumal auch im PdCI die rechten Kräfte sich für ein Zusammengehen mit Vendola ausgesprochen haben und die Partei verlassen.


Auf Gramsci besinnen

Nur so können die Möglichkeiten zur Mobilisierung der Massen wachsen, um die Bedingungen zur Beseitigung der Herrschaft des Mediendiktators Berlusconi zu schaffen, den von ihm ausgehenden faschistischen und rassistischen Gefahren Einhalt zu gebieten. Denn die Liquidierung der IKP 1991 durch die Opportunisten hat einer reaktionären Wende Auftrieb gegeben, die bis in die Gegenwart reicht, die Niederlage der Linken Mitte 2008 bewirkte und Berlusconi zusammen mit AN-Faschisten und Lega-Rassisten zum dritten Mal an die Regierung brachte. Eine entscheidende Rolle wird dabei spielen müssen, wie das PRC-Leitungsmitglied Alberto Burgio, Professor für Philosophie an der Universität Bologna, in einem Interview für "junge Welt" sagte, "auf das Terrain der Arbeit und des sozialen Konflikts zurückzukehren".(18) Das ist übrigens eine Lehre, die der Kampf gegen Berlusconis erste Regierung vermittelt. Sie wurde 1994 nach nur 226 Tagen Amtszeit durch machtvolle soziale Massenaktionen und einen Generalstreik gestürzt.(19)

Die erste Bewährungsprobe für den PRC werden die EU-Wahlen im Juni sein, zu denen er unter Hammer und Sichel antreten will. Der Einzug ins EU-Parlament wird dann als gesichert gelten können, wenn es gelingt, einen Schritt zur kommunistischen Einheit zu gehen und die bestehenden kommunistischen Parteien und Organisationen auf einer gemeinsamen Liste des PRC zu vereinen, um die Vier Prozent-Sperrklausel (Berlusconi plant, sie sogar auf fünf Prozent zu erhöhen) sicher zu überwinden. Alles weitere wird ein langer Prozess sein, dessen Vorantreiben vor allem erfordert, zum Erbe Gramscis zurückzufinden, insbesondere zu dem von ihm geprägten Grundsatz der Erringung der Hegemonie der Arbeiterklasse. So dürfte wohl auch Alberto Burgio zu verstehen sein, wenn er im eben erwähnten Interview davon sprach, die abhängig Beschäftigten, die Lohnarbeiter wieder als Subjekt zu sehen, "auf das man sich bei der gesellschaftlichen Umwälzung stützen muss". An der Spitze dieses Subjekts, das heißt der Arbeiterklasse, zu führen, heißt für eine kommunistische Partei, diesen Anspruch als Erstes damit zu verkünden, indem sie den Massen den Weg und die Richtung des Kampfes zeigt, dessen Endziel in der Beendigung der Herrschaft des Kapitals und der Errichtung einer sozial gerechten Gesellschaft besteht, die man seit der Zeit von Marx und Engels mit einem ismus versah und Sozialismus nannte.


Anmerkungen:

(1) Der Beitrag geht aus von der Analyse "Zu den Ursachen der Niederlage der Kommunisten und Linken bei den Parlamentswahlen im April 2008 in Italien" in "offensiv" Nr. 6/2008.
Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
siehe im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Medien -> Alternativ-Presse ->
OFFENSIV/072: Ausgabe Januar-Februar 2008 6/08

(2) Ausführlich dazu siehe Stefano Azzara: "Die Suche nach Identität", in "jW" v. 30. Juli 2008.

(3) Zum bewaffneten Kampf der radikalen Linken siehe Feldbauer:
Geschichte Italiens - Vom Risorgimento bis heute, Papyrossa, Köln 2008, S. 209 ff.

(4) Zu dieser Zeit gab es noch keine Sperrklausel.

(5) Veröffentlicht in "jW", 23. April 2008. Siehe dazu auch Interview mit Domenico Losurdo in "jW", 19./20. April 2008.

(6) "Liberazione", 29. Juli 2008.

(7) "JW", 19./20. April 2008.

(8) Seltsamer Weise hält sich ein das Gegenteil behauptendes Gerücht, Bertinotti sei der Gründer des PRC gewesen. So auch jüngst wieder im "ND" vom 26. Jan. 2008 in dem Beitrag "Nichi Vendola will die 'Volksinitiative' schaffen". Absicht , um das Image des "Reformkommunisten" aufzupolieren, oder nur fehlende Geschichtskenntnisse?

(9) Siehe dazu Rezension des Autors "Indifferente Linke. Die Wende des Fausto Bertinotti" des Buches "Fausto Bertinotti: Gespräche mit dem italienischen Reformkommunisten". Dietz-Verlag Berlin 2008 in ND, 16. Okt. 2008.

(10) Interview für "jW", 19./20. April 2008.

(11) Vortrag des Autors auf einer Veranstaltung der sozialistischen Linken der Partei die Linke am 12. Juni 2008 in Berlin. Veröffentlicht in Mitteilungen der KPF, Nr. 8/2008.

(12) "Liberazione", 30. Juli 2008.

(13) "Liberazione", 8. Nov. 2008.

(14) Ebd. 10., 22. u. 25. Jan. 2009.

(15) 18. Dez. 2008.

(16) Der Direktor übt die in deutschen Medien übliche Funktion des Chefredakteurs aus.

(17) Bericht des Autor in "UZ", 24. Oktober 2008.

(18) Interview für "jW", 19. Jan. 2009.

(19) Beitrag des Autors "Italien unter Berlusconi", "jW", 31. Jan./1.Febr. 2009.


Erstveröffentlicht in "offen-siv"
Zeitschrift für Sozialismus und Frieden, Nr. 1/09, Ausgabe Januar-Februar 2009


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Quelle:
Gerhard Feldbauer
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion offen-siv


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2009