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EUROPA/765: Der Nahostkonflikt reicht bis Trondheim (ND)


Neues Deutschland - 24.11.2009

Der Nahostkonflikt reicht bis Trondheim
Die israelische Regierung mischt sich in Norwegens Wissenschaftsbetrieb ein

Von Susann Witt-Stahl


An der Universität Trondheim läuft gegenwärtig eine Vorlesungsreihe über den Nahostkonflikt. Das israelische Außenministerium hatte versucht, die Veranstaltung zu verhindern. Israelische und norwegische Gelehrte wehren sich gegen diesen Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft.

Ein Sturm der Entrüstung weht vom Mittelmeer in den Norden. Der stellvertretende Gesandte der israelischen Botschaft in Oslo, Aviad Ivri, protestierte laut der Tel Aviver Tageszeitung »Haaretz« schon vor Monaten beim Dekan der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) gegen das »voreingenommene und einseitige Seminar«. Israels Außenminister Avigdor Lieberman soll sogar von einer »feindlichen Haltung« Norwegens gegenüber seinem Land gesprochen haben.

Hauptgrund für die große Erregung ist offenbar, dass in der sechsteiligen Vortragsreihe Wissenschaftler zu Wort kommen, die wiederholt die israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik kritisiert haben. »Ein All-Star-Team von Israel-Hassern«, zitiert »Haaretz« einen Diplomaten aus Liebermans Stab. Mit den Israel-Hassern ist beispielsweise der US-amerikanische Harvard-Professor Stephen Walt gemeint, der eine Forschungsarbeit über den Einfluss der israelischen Lobby auf die US-Außenpolitik veröffentlicht hat und laut »Haaretz« von »prominenten Gelehrten« - Namen nennt die Zeitung nicht - als »antisemitisch« bezeichnet wird.

Die Protestkampagne von Liebermans Ministerium erfreut sich inzwischen der Unterstützung durch christliche und andere rechtskonservative Zionisten in aller Welt. Sie richtet sich vor allem gegen jüdische Linke, namentlich die an der Vorlesungsreihe beteiligten Historiker Ilan Pappé und Moshe Zuckermann.

Pappé, der an der britischen Universität Exeter lehrt, wurde nach der Veröffentlichung seiner Studie über die »ethnische Säuberung Palästinas« in Israel als »Verräter« geächtet und aus dem Land gemobbt. Als Argument für Zuckermanns angebliche Israel-Feindschaft führt »Haaretz« ein Interview an, das er Deutschlandradio während des Gaza-Krieges gegeben hatte. Darin hatte er versehentlich von »400 000« statt von 400 Kriegstoten auf palästinensischer Seite gesprochen. Was »Haaretz« verschweigt: Zuckermann hatte sich unmittelbar nach der Sendung in einer öffentlichen Erklärung korrigiert und für seinen Versprecher entschuldigt.

Unabhängig von der Vorlesungsreihe über den Nahostkonflikt wird an der NTNU ein akademischer Boykott Israels diskutiert. Da unter dessen Befürwortern auch Mitglieder des Programmkomitees der Veranstaltung sind, wird ihnen unterstellt, sie wollten mit der Vorlesungsreihe für diesen Boykott werben. Seit Wochen werden die Verantwortlichen der NTNU deshalb mit hasserfüllten Briefen und SMS bombardiert. Im Leserforum von »Haaretz« wird sogar die »Deportation« Zuckermanns in den Gaza-Streifen gefordert.

Mitveranstalterin Ann Rudinow Saetnan zeigt sich verwundert über den Lärm, den die israelische Regierung und ihre Anhänger machen: Die Behauptung eines Zusammenhangs zwischen der Vorlesungsreihe und einem Aufruf zum akademischen Boykott Israels sei »offenkundig so lächerlich wie die Gleichsetzung von Judentum, Zionismus und israelischer Politik«, kontert die Soziologin und weist darauf hin, dass sich die drei Wissenschaftler, die bisher referierten, »explizit gegen einen Boykott« ausgesprochen haben. »Das Ergebnis wäre ein Boykott linker Veranstaltungen durch linke Akademiker im Ausland, die sich mit ihren israelischen Kollegen solidarisieren«, begründet Zuckermann, der seinen Vortrag über die »Funktionalisierung des Antisemitismus im heutigen israelischen Selbstverständnis« bereits gehalten hat, seine Ablehnung. Dieser Auffassung hat sich die Mehrheit des NTNU-Vorstands angeschlossen: Sie stimmte dagegen, die institutionelle Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten auf Eis zu legen.

Den Vorwurf des Israel-Hasses weisen die norwegischen Wissenschaftler entschieden zurück: »Solche falschen und aggressiven Behauptungen können eigentlich nur als Versuch verstanden werden, jede Kritik am israelischen Staat und an seiner Politik im Keim zu ersticken«, erklärte Rune Skarstein, Wirtschaftswissenschaftler und Mitorganisator der Vorträge, gegenüber ND. »Es ist einmalig, dass ein fremder Staat sich in solcher Weise in den Wissenschaftsbetrieb der NTNU einmischt.« Deutliche Worte für die Grenzüberschreitung findet auch Zuckermann: »Mit welchem Recht mischt sich der israelische Botschafter in die akademischen Aktivitäten seiner Landsleute?«, rügt der Historiker das undiplomatische Vorgehen des Diplomaten. »Sein Beruf ist es, sich mit nichts anderem zu beschäftigen als mit der Reinwaschung jeder - noch so schäbigen - Handlung seines Staates.« Zuckermann weiter: »Bedenkt man, welchen Außenminister er gegenwärtig bedient, muss jeder anständige Mensch von vornherein Aussagen aus seinem Munde disqualifizieren.«


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Quelle:
Neues Deutschland vom 24.11.2009
URL: http://www.neues-deutschland.de/artikel/159798.der-nahostkonflikt-reicht-bis-trondheim.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2009