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EUROPA/774: Justizposse in Madrid (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 1. Februar 2010

Justizposse in Madrid

Gericht vergißt, Hauptbeweismittel im Verfahren wegen
Verherrlichung des Terrorismus gegen Otegi zu übersetzen

Von Ingo Niebel


Spanien ist um ein Kapitel Justizwillkür reicher. Dort ist eine Anklage möglich, ohne daß das Hauptbeweismittel in einer gerichtsverwertbaren Weise vorliegt. Schauplatz dieser Justizposse war am vergangenen Donnerstag die Audiencia Nacional, das Sondergericht für Terror- und Drogendelikte in Madrid. Vor ihm müssen sich der Sprecher der verbotenen baskischen Linkspartei Batasuna (Einheit), Arnaldo Otegi, und drei weitere Angeklagte des Vorwurfs erwehren, den Terrorismus und die Untergrundorganisation ETA verherrlicht zu haben. Sie hatten 2005 die Freiheit des 1980 inhaftierten ETA-Mitglieds Joxe Mari Sagardui gefordert.

Die Anklage stützt sich auf das Video eines Fernsehsenders, in dem die Reden der Beschuldigten auf Baskisch zu hören sind. Um so größer war die Überraschung, als Richterin Ángela Murillo nach dem Abspielen des Videobandes feststellte: »Ich verstehe nur Bahnhof.« Dem stimmten auch Staatsanwältin und Nebenklage zu. Der Grund: In fünf Jahren hatten es weder die Anklage noch das Gericht für nötig befunden, das Hauptbeweismittel ins Spanische übersetzen zu lassen.

Murillo machte die Blamage noch größer, als sie die offizielle Baskisch-Übersetzerin der Audiencia zwang, innerhalb einer halben Stunde einen spanischen Text vorzulegen. Wieder einmal wurden dabei die Defizite des Sondergerichts beim Umgang mit der baskischen Sprache deutlich, denn die spanische Übersetzung entsprach nicht dem baskischen Original. Die Verhandlung wurde vertagt.

Als dann am Freitag endlich ein brauchbarer Text vorlag, wurde klar, daß es schwierig sein würde, die vier Angeklagten zu verurteilen, weil ihre Reden keinen Straftatbestand erfüllten. Trotzdem drohen ihnen zwischen 18 Monate und fünf Jahren Haft.

Otegi nutzte sein Schlußwort, um erneut für eine Verhandlungslösung unter internationaler Beteiligung zu werben: »Meine Berufung, mein Vorschlag, meine Intention und die der linken Unabhängigkeitsbewegung sind einzig und allein, auf die politischen und demokratischen Mittel zu setzen.« Das hatte er schon am ersten Verhandlungstag gesagt, woraufhin ihn Richterin Murillo fragte, ob er die Anschläge der ETA verurteile. Otegi verweigerte die Aussage. Das Urteil steht noch aus.


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Quelle:
junge Welt vom 01.02.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2010