Folterer erstmals seit 10 Jahren wieder verurteilt
Von Ralf Streck - 30. Dezember 2010
Es geht spanisch zu in Spanien. Da werden baskische Anwälte
angezeigt, weil sie auf einer Pressekonferenz die Aussagen ihrer
Mandanten wiedergeben, dass sie von den Sicherheitskräften schwer
gefoltert wurden. Das passierte Haizea Ziluaga und Alfonso Zenon,
die neun Personen vertreten, die im Fischerort Ondarroa am 8.
Februar verhaftet wurden. Das Ziel ist klar, sie sollen mundtot
gemacht werden. Über Folter soll öffentlich nicht mehr gesprochen
werden. Deshalb werden auch Bücher in Spanien zensiert, die sich mit
Folter in einem Land mitten in der Europäischen Union
auseinandersetzen. Dass die Folter eine traurige Realität ist und
weiterhin Urstände feiert, das wurde gerade am Donnerstag belegt.
Ausnahmsweise hat nach zehn Jahren wieder ein Gericht vier
Mitglieder der berüchtigten Guardia Civil wegen Folter zu
Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren verurteilt,
weil die Beweise gegen 4 der 15 Angeklagten erdrückend waren.
Allerdings wurden die Angeklagten schon zuvor zu einer Haftstrafe
von über 1000 Jahren verurteilt. Dabei geht aus dem Urteil hervor,
dass man sich vor allem auf ihre Geständnisse stützt, die erfoltert
wurden.
Doch eins nach dem anderen. Die Folterpraxis ist eine traurige
Kontinuität. Sie wurde früher von der faschistischen Diktatur
angewendet und heute von einer Regierung, deren Mitglieder noch
selbst die Erfahrung der Folter machen durften. Peinlich für
die Parteilinke in Spanien allgemein ist, dass das Antiterror-Gesetz
sogar mit den Stimmen der Kommunisten (PCE) einst verabschiedet
wurde. PCE und die sogenannten "Sozialisten" (PSOE) hatten schnell
ihren Frieden mit der neuen Monarchie (vom Diktator restauriert)
gemacht und 1978 mit der Ultrarechten das Gesetz verabschiedet.
Allen Folterberichten und Straflosigkeit der Peiniger zum Trotz
ließen sich PSOE und die PCE auch nicht davon abhalten, die
Antiterrorgesetze 1980 sogar zum organischen Gesetz (einem
Grundgesetz ähnlich) zu erheben. Sie äußerten angesichts der
Folterberichte lediglich die Hoffnung, dass sich das, was sie
einzelnes Fehlverhalten nannten, bald ändern werde. Geändert hat
sich nichts, wie die jährlichen Menschenrechtsberichte zeigen. Es
sind diese Gesetze, die es bis heute erlauben, eine Person für bis
zu 13 Tage zu inhaftieren, bevor sie einem Haftrichter vorgeführt
oder frei gelassen wird. In der Zeit ist sie völlig abgeschirmt,
erhält keinen Kontakt zu ihrer Familie, ihrem Anwalt oder einem Arzt
des Vertrauens, was nach Angaben der Menschenrechtsorganisationen
"gewöhnlich zur Misshandlung von Gefangenen beiträgt."
Wie die Folter hat es auch eine Kontinuität, egal welche Regierung
gerade in Madrid regiert, dass stets abgestritten wird, dass während
dieser berüchtigten Kontaktsperre (Incomunicado-Haft) Menschen
gefoltert werden
(http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12359/1.html), die nach
dem Antiterror-Gesetz verhaftet werden. Spanien
weigert sich stets, die Folter anzuerkennen und gegen sie
vorzugehen. Das geschah zum Beispiel, als Theo van Boven,
UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, das Land 2004 vor der
UNO-Vollversammlung 2004 anklagte. Er hatte zuvor Spanien besucht
und war mit Folteropfern zusammen getroffen. Er stellte in seinem
Bericht fest, dass in Spanien "mehr als sporadisch auf Praktiken wie
Folter, Misshandlungen, grausame oder unmenschliche Behandlung
zurückgegriffen wird." Da Spanien derlei nicht anerkennt, werden
auch die Forderungen der UNO, von Amnesty International und anderen
bis heute zurückgewiesen, der Folter vorzubeugen. Bis heute fordert
Van Bovens Nachfolger Martin Scheinin immer wieder die Abschaffung
der Kontaktsperre und bis dahin die lückenlose Aufzeichnung per
Video, während ein Verhafteter isoliert ist.
Sonst kommt es nämlich oft zu den üblichen Erstickungsmethoden,
Elektroschocks und Schlägen. Dazu kommen bisweilen auch
Vergewaltigungen, vaginal oder anal mit Pistolenläufen, Knüppeln
oder anderen Gegenständen. Dazu kommt auch psychologische Folter,
wie Scheinerschießungen, Schlafentzug und zum Beispiel die
Drohungen, auch die Freunde oder Familienangehörige zu verhaften, um
sie der gleichen Tortur zu unterziehen. Das sind nur einige der
Folterpraktiken, die zumeist in den ersten vier Tagen der
Incomunicado-Haft angewendet wird
(http://es.wikipedia.org/wiki/Legislación_antiterrorista_española#Incomunicaci.C3.B3n),
die bis zu 13 Tage verlängert werden kann. Das geschient meist
nicht, um die Folter fortzusetzen, sondern damit Wunden verheilen
und Beweise verschwinden, bevor der Geschundene freigelassen oder im
Gefängnis abgeliefert wird.
All diese Vorgänge hat Xabier Makazaga ausführlich in seinem Buch
"Manual del torturador español" (Handbuch des spanischen Folterers)
dargestellt, das im baskischen Verlag Txalaparta erschienen ist.
Wie die Regierung unter der konservativen Volkspartei (PP) die
Folterberichte aus den Jahren 1996 bis 1999 der Madrider
"Vereinigung gegen die Folter" zensierte, gibt es nun auch gegen
dieses Buch Zensurmaßnahmen. Führte ausgerechnet die PP einst als
Argument den Datenschutz im Internet an, so geht die
Nachfolgeregierung, die sich sozialistisch nennt, bisher auch eher
subtil vor.
So wurde zunächst ein publizistischer Feldzug gegen das Buch
gestartet, um es zum Beispiel aus den Bibliotheken zu verbannen.
Anders als Makazaga aber schreibt, wurde der Stein nicht von der
rechten Zeitung El Mundo ins Rollen gebracht. Schon vor El Mundo
hatte die noch deutlich weiter rechts stehende Zeitung La Razón die
Hatz eröffnet. Erneut wird das "Umfeld von Batasuna" (Hervorhebung
im Original), der verbotenen baskischen Partei bemüht, welches das
Buch angeblich verlegt habe. Dass sich Batasuna klar von der Gewalt
der Untergrundorganisation ETA distanziert hat, wird nicht zur
Kenntnis genommen und nun wird auch noch Txalaparta in den Topf geworfen.
Mit derlei Hinweisen erübrigt sich in Spanien dann zumeist jede
Erörterung darüber, ob, wie in diesem Fall, der Inhalt des Buchs
richtig oder falsch ist. Schließlich, so wird stereotyp behauptet,
gäbe es Folter nicht. Die ETA weise aber ihre Mitglieder an, Folter
anzuzeigen, um Spanien zu diskreditieren.
Der Kampagne hatte sich derweil auch die größte Tageszeitung El País
angeschlossen. Auch El País, die der sozialdemokratischen Regierung
nahe steht, spricht wortgleich vom "Umfeld von Batasuna" und
"angeblicher Folter". Sie berichtete über den Erfolg, dass die
sozialdemokratische Bürgermeisterin der baskischen Stadt Basauri das
Buch aus der Stadtbibliothek entfernt hat und über den Druck auf
andere, diesem Beispiel zu folgen. Man fragt sich, ob eine Zeitung,
die gegen Folter vor der eigenen Haustür die Augen verschließt und
Zensurmaßnahmen feiert, zum Beispiel ein geeigneter Ort ist, um die
Wikileaks-Dokumente zu veröffentlichen.
Doch zurück zur Folter. Man fragt sich, wie es El País nach dem
Urteil im Fall der baskischen Journalistenkollegen der Tageszeitung
"Egunkaria" weiterhin fertig bringt, die Augen vor der Folter in
Spanien zu verschließen. Denn sogar der Nationale Gerichtshof hat
mit den Freisprüchen anerkannt, dass auch angesehne Journalisten von
der Guardia Civil gefoltert wurden. Was aber passiert mit
unbekannten Jugendlichen, wenn auch wir so behandelt werden, fragte
sich der Chefredakteur der Zeitung nach seiner Freilassung. Das
Geständnis von Martxelo Otamendi und seinen Kollegen musste sogar
das Sondergericht verwerfen, die aus den Journalisten während der
Kontaktsperre heraus geprügelt worden waren. Zudem stellte es fest,
dass die geschilderten Folterungen "kompatibel mit den Gutachten von
forensischen Ärzten sind, die bei der Aufnahme im Gefängnis erstellt
wurden." In diesem Fall wurden die Folteranzeigen auch nicht als
"Beweis" dafür gewertet, dass man es hier mit gefährlichen
ETA-Mitgliedern zu tun habe, wie es in anderen Verfahren immer
wieder geschieht.
Als Reaktion auf die Zensur gegen das Buch von Makazaga hatte sich
der Verlag Txalaparta dazu entschieden, dass Buch auf seinen
Webseiten zum freien Download[1] anzubieten, um es auch im Rest des
Landes zur Verfügung zu stellen und um der Zensur zu begegnen. Es
würde den aufmerksamen Beobachter nicht wundern, wenn der Verlag
demnächst von der Guardia Civil gestürmt und geschlossen werden
würde. Schließlich waren es auch die Paramilitärs, die das Vorgehen
gegen Egunkaria diktiert hatten. Es wäre nicht der erste Fall. Und
fast immer ging eine entsprechende "Umfeld"-Kampagne der Stürmung
voraus. Da hilft es auch wenig, wenn schließlich nach 11 Jahren
höchstrichterlich festgestellt wird, dass das "vorläufiges Verbot"
schlicht "illegal" war.
Haben die Vorgänge um das Buch vielleicht auch etwas damit zu tun,
dass am Donnerstag vier Guardia Civil Beamte wegen Folter vor einem
baskischen Gericht in Donostia - San Sebastian zu Haftstrafen
zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren verurteilt wurden?
Jedenfalls stellte dieses Gericht fest, dass Juan Jesús Casas
García, José Manuel Escamilla Martín, Sergio García Andrade und
Sergio Martínez Tomé die beiden mutmaßlichen ETA-Mitglieder Igor
Portu und Mattin Sarasola gefoltert haben.
Leider passiert es selten, dass so starke Beweise für Folter
vorliegen, wie im Fall dieser beiden jungen Leute aus der kleinen
Stadt Lesaka im Norden von Navarra. So wurde Portu am Tag nach der
Verhaftung mit schwersten Verletzungen auf die Intensivstation eines
Krankenhauses eingeliefert. Die Zivilgarden hatten behauptet, die
Verletzungen seien die Folge des Widerstands bei der Verhaftung in
einer Straßenkontrolle gewesen. Doch ein Zeuge bestätigte ihre
Aussagen, keine Gegenwehr geleistet zu haben. Zudem konnte die
Guardia Civil die vielen Stunden nicht erklären, die zwischen
Verhaftung und Einlieferung ins Krankenhaus vergangen waren. Als
die Verhafteten zur Hausdurchsuchung ihre Familien sehen konnten,
waren sie ebenfalls noch nicht in einem solch bedauernswerten
Zustand, wie er später im Krankenhaus attestiert wurde. Dass Portu
eine gebrochene Rippe aufwies, welche die Lunge verletzt hatte,
deckte sich mit den Schutzbehauptungen der Guardia Civil genauso
wenig, wie die im Krankenhaus festgestellten Blutergüsse im
Brustbereich, auf dem Rücken und am Auge.
Trotz der deutlichen Hinweise auf Folter, wurden aber genau diese
beiden Personen für den Anschlag verantwortlich gemacht, mit dem die
ETA den Friedensprozess 2006 gesprengt hatte. Sie wurden im Mai vom
Nationalen Gerichtshof dafür zu jeweils mehr als 1000 Jahre Haft
verurteilt. Die Forderungen der Verteidigung, zunächst die
Entscheidung im Folterverfahren abzuwarten, wurden verworfen. Nun
darf man gespannt sein, was nun mit dem Urteil gegen die beiden
Folteropfer geschieht. Schließlich hatte das Madrider Sondergericht
im Urteil ausdrücklich vermerkt, ihre Geständnisse hätten sie in der
Incomunicado-Haft freiwillig unterschrieben. Sie seien "nicht das
Ergebnis irgendeiner Art von Folter, physischer oder psychischer
Misshandlung", steht im Urteil. Die Selbstbezichtigungen waren sogar
die Hauptbeweismittel, die zu den Verurteilungen führten. In einem
normalen Land würde auch ein Innenminister zurücktreten, der sich
vorbehaltlos hinter die Darstellungen der Guardia Civil gestellt
hatte und damit Folter zu decken versuchte. Stattdessen wurde die
Bürgermeisterin von Hernani dafür als ETA-Unterstützerin angeklagt,
weil sie den Folteropfern verbal von einer Veranstaltung aus eine
feste Umarmung in den Knast geschickt hatte. Man darf auch gespannt
sein, ob die Folterer ebenfalls bald begnadigt werden, wie bisher
meist üblich.
Ende Spaltenformat
[1] http://www.txalaparta.com/upload/productos/Manual_del_torturador.pdf
*
Quelle:
© Ralf Streck, den 30.12.2010
mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2011
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