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GRIECHENLAND/014: Volkskomitees - Hilfe auf Gegenseitigkeit (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 51/52 vom 21. Dezember 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Hilfe auf Gegenseitigkeit
Volkskomitees - die rote Hilfe im Widerstand

von Udo Paulus



Die Verelendung in Griechenland lässt sich in den Medien längst nicht mehr verleugnen, geschweige denn verständlich begründen. Eine Gesellschaft falle ins Bodenlose, wird der Traumatologe Georg Pieper in der FAZ zitiert. Solidaritätskonten und karitative Hilfsaufrufe haben mittlerweile Konjunktur. Almosen aus dem gleichen politischen Milieu, das seit Jahren Griechenland die politische Zwangsjacke des Lohndumping und Sozialabbaus aufzwingt, passend zu dem Mitleidgesäusel von Frau Merkel unlängst in Athen. Auf der einen Seite helfen diese materiellen Fonds, retten im Einzelfall sogar Leben, auf der anderen Seite sind sie Teil der imperialistischen Ausplünderung Griechenlands wie auch aller anderen Peripherie-Länder. Vor wenigen Tagen erst ist dieser Zusammenhang bei der Verleihung des Blue Planet Award an Jean Ziegler als Menschenrechts-Heuchelei entlarvt worden.

Auch die Linkspartei eröffnete kürzlich gemeinsam mit Syriza ein Spendenkonto zur Griechenlandhilfe. Unterstützt werden sollen Selbsthilfeprojekte, die von Syriza hochstilisiert werden, als seien sie die Basis der Gesellschaft von morgen. Die Griechen sind Meister der Selbstversorgung. Die Aktivierung alter Selbsthilfestrukturen auf Gegenseitigkeit ist überall zu beobachten. Sie als Krisenlösungsmodelle zu propagieren, sät Illusionen, als könne Griechenland sich ohne Systembruch aus der Plünderungsfalle der Monopole befreien.

Seit vielen Jahren breiten sich überall in Griechenland, in den Stadtteilen, den Dörfern, selbst in Betrieben sogenannte Volkskomitees (Laiki epitropi) aus. Hilfe auf Gegenseitigkeit müsse eingebettet sein in eine große Solidaritätsbewegung des einfachen griechischen Volkes die Fesseln des Kapitals zu sprengen. Die schon lange vorhandenen und neu entstehenden Volkskomitees organisieren materielle Hilfe parallel zum entschlossenen Widerstand. "Wir schauen genau hin, wer in unserer Umgebung in materielle Not geraten ist. Wir sammeln Güter des täglichen Bedarfs unter uns, in unserer Umgebung bei Bauern, in Geschäften. Auch Geldspenden. Keine und keiner darf in unserer Umgebung mit seiner Not allein gelassen werden." So die Devise. Die Komitees stellen Kontrollgruppen zusammen, die u. a. in die Verwaltungen der Energiezentralen gehen, um zu verhindern, dass Menschen der Strom abgeschaltet wird, die ihre Rechnung nicht bezahlen können. Da kann es schon mal laut und stürmisch zur Sache gehen.

So intensivieren die Genossen/innen im Widerstand die Klassensolidarität. Gegen die Almosenhilfe der bürgerlichen Freiwilligeninitiativen bzw. NGO organisieren die Betroffenen im Klassenkampf die gegenseitige Hilfe selbst. Sie zeigen, dass sie als Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums die Schuldfrage nicht bei sich suchen, sondern in der Schuldenkrise des Kapitals die nationale und internationale Bourgeoisie für die Not der Menschen verantwortlich machen.

Volkskomitees in Nea Ionia (Attika) organisierten kürzlich ein großes Fest, bei dem sich die Solidaritätsinitiativen vernetzten: Interventionen gegen Unterernährung von Kindern, zum Schutz der Gesundheit, gegen die skandalöse Infrastruktur in den Schulen, die dem armen Teil der arbeitenden Klasse den Zugang zu ausreichender Bildung verwehrt. Erzieher/innen, Lehrer/innen und Eltern greifen in den täglichen Schulprozess ein und organisieren die materielle, medizinische und pädagogische Hilfe. Darüber hinaus sollen Ausflüge und Puppen- bzw. Theaterprojekte den psychischen Auswirkungen der Not entgegenwirken.

In Lavrion (ebenfalls Attika) organisieren Volkskomitees tägliche Schulessen und verteilen Lebensmittel in Familien, die in Not gerieten. Valsamos Syrigos, Vorsitzender des Regionalen Gewerkschaftszentrums und Mitglied des Volkskomitees berichtete, dass ein Unternehmen eine beträchtliche Menge Babynahrung für Säuglinge bereit gestellt habe. Die organisierte Sammlung von Lebensmitteln in Betrieben und Supermärkten sei mehr als erfreulich. Häufig seien in Betrieben und Fabriken Ausschüsse aktiv, die den Prozess der Solidarität intensivierten. Selbstverständlich seien die Kollegen/innen der PAME einbezogen. So habe die PAME Hausaufgabenhilfen organisiert oder Kindern aus Familien, die es sich nicht leisten können, für den Hochschulbesuch qualifiziert. Am 21. Dezember werden die Volkskomitees in Lavrion ein Fest der Hilfe und Solidarität durchführen, das den betroffenen Kindern ein buntes Unterhaltungsprogramm bietet.

In Ilion (Stadtteil von Athen) erklärte Nick Boukouvalas als Mitglied des Volkskomitees: "Wir erwarten für Mitte Dezember lang haltbare Nahrungsmittel aus großen Lebensmittel- und Milchfabriken. Das Rathaus von Petroupolis hat eine eigene Nahrungsmittelbank organisiert und wird uns eine große Menge an Lebensmitteln liefern. Wir haben uns auch schriftlich an Schulen der Region gewandt. Schon sammelt das Musikgymnasium Lebensmittel. Auch Arbeiter bei der Stadtverwaltung haben Lebensmittel gespendet, und wir befinden uns in Verhandlungen mit PASY (Bündnis der Kleinbauern). Die Lebensmittel werden bei der Sektion der Gewerkschaft der Bauarbeiter verteilt. Wir möchten, dass sich in der Zukunft auch andere Gewerkschaften beteiligen, aber auch Selbstständige und Arbeitslose. So werden die klassenkämpferischen Gewerkschaften gestärkt."

Kalomoira Zorma, ebenfalls Mitglied des Volkskomitees in Ilion, ergänzte: "Die Gesundheitsversorgung des Volkes befindet sich in einem explosiven Zustand. Es ist bezeichnend, dass nur 50 Ärzte in den zwei Behörden der IKA (staatliche Krankenkasse) die Patienten versorgen. Mehr als 65 Prozent der kleinen Unternehmer in Ilion haben keine Krankenversicherung, weil sie ihre Beiträge nicht zahlen können. Aus diesem Grund werden wir vor der IKA und OAEE (Versicherungsträger der Freiberufler und Selbstständigen) mobilisieren. Wir werden fordern, dass die Gesundheitskarten ohne Wenn und Aber gestempelt werden und dass Ärzte die Arbeitslosen untersuchen. Es haben sich schon Ärzte gemeldet, die uns bei diesen Aktionen unterstützen." Alekos Katsoulis vom Volkskomitee Menidi (Athener Stadtteil) berichtet über die Solidaritätsaktionen: "Wir organisieren Nachhilfeunterricht für Kinder von Arbeitern und Arbeitslosen, Griechen und Migranten. Es gibt schon eine ausreichende Anzahl von Lehrern, die Förder-Unterricht sowohl für Grundschulen als auch für Gymnasien und Lyzeen (gymnasiale Oberstufen) anbieten werden. Auch der teure außerschulische fremdsprachliche Unterricht (Frontistirio) ist einbezogen.

Der Unterricht kann in den Büros des Volkskomitees und der Gewerkschaft der Bauarbeiter stattfinden. Wenn die Räumlichkeiten nicht ausreichen, werden wir zusätzlich Räume im Olympischen Dorf fordern. Darüber hinaus gibt es Initiativen für kulturelle Aktivitäten der Kinder." Zum Thema Gesundheitsversorgung betonte Katsoulis:

"Wir haben uns mit den Ärzten der IKA getroffen und Untersuchungen für nicht versicherte Einwohner und Arbeitslose, Griechen und Migranten eingefordert. Nach den positiven Reaktionen von Seiten der Ärzte, werden wir in neuen Aktionen verlangen, die medikamentöse Versorgung für die Patienten abzudecken." Zum Zusammenhang zwischen materieller Hilfe und der Solidarität im Widerstand erklärte er: "Für uns ist es klar, dass wir nicht die brennenden aktuellen Probleme des Volkes beiseite lassen können, jetzt wo die Klassensolidarität der Arbeitenden verlangt wird. Wir können die Arbeitenden und Arbeitslosen nicht den NGO und den Freiwilligendiensten als gefundenes Fressen überlassen. Deswegen gibt es Komitees in allen Nachbarschaften des Bezirkes." Die seien schließlich auch der beste Schutz vor den verhängnisvollen Auswirkungen der korrupten Klientelpolitik.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, 51/52 vom 21. Dezember 2012, Seite ...
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2013