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LATEINAMERIKA/1068: El Salvador - Vom weiblichen Antlitz der Krise (Presente)


presente - Bulletin der Christlichen Initiative Romero 3/2009

Frauensichten aus El Salvador
Vom weiblichen Antlitz der Krise

Interview von Maik Pflaum (CIR)


Frauen sind in besonderer Weise Opfer der Wirtschaftskrise: Sie werden in Fabriken jetzt stärker als ohnehin schon ausgebeutet, müssen das Überleben ihrer Familien sichern, sehen sich zu Hause mit zunehmender innerfamiliärer Gewalt konfrontiert. presente hat mit Deysi Cheyne, Direktorin der salvadorianischen Frauenorganisation Instituto de la Mujer (IMU), über Auswirkungen der Krise auf die Frauen in ihrem Land gesprochen.


PRESENTE: Sind Frauen in Mittelamerika in besonderer Weise durch die Folgen der Wirtschaftskrise betroffen?

DEYSI CHEYNE: Krisen sind Extremsituationen, die Auswirkungen auf jede Familie und jeden Haushalt haben. Frauen haben aufgrund ihrer Stellung in den Haushalten eine besondere Verantwortung für alle Familienmitglieder. Sie übernehmen die Ernährung, widmen sich der Gesundheit der Familie und passen auf die Kinder auf. Wenn es dann zu Problemen kommt, müssen Frauen oftmals ihren Einsatz verdoppeln oder verdreifachen, um das Überleben der Familie zu sichern. Das hat natürlich Auswirkung auf ihren physischen und psychischen Zustand.

Gesellschaft und Regierung erkennen jedoch den Stellenwert der Arbeit der Frauen nicht an. Sie sehen nicht, dass diese für die Familienmitglieder essenziell ist. Daher wird der enorme Überanstrengung der Frauen auch relativ gleichgültig begegnet.


PRESENTE: Arbeit für Frauen in El Salvador, das bedeutet sehr oft Arbeit in der Maquila-Industrie. Dieser Wirtschaftszweig leidet ebenfalls unter den Folgen der Krise. Wie wirkt sich das auf die Arbeiterinnen aus?

CHEYNE: Dadurch, dass die Produktion zurückgefahren wird, verschärfen sich die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. Der Einsatz der Frauen für höhere Löhne und die gewerkschaftliche Organisation nehmen ab, denn viele sind froh, dass sie überhaupt noch Arbeit haben. Die Frauen akzeptieren die Ausbeutung, da sie ihnen weniger schlimm erscheint als der Verlust ihrer Arbeit. Dies nutzen die Fabrikbesitzer aus, wälzen noch mehr Arbeit auf die Arbeiterinnen ab und senken gleichzeitig die Löhne. In Krisenzeiten scheint sogar die Ausbeutung ein Privileg, denn das Schlimmste ist, völlig ohne Job dazustehen.


PRESENTE: Welche Auswirkungen hat der Rückgang der Rücküberweisungen aus dem Ausland?

CHEYNE: Die Remesas, wie diese Rücküberweisungen genannt werden, sind im ersten Halbjahr 2009 um ein Viertel zurückgegangen. Dazu kommt aber noch, dass die Kosten für den Basiswarenkorb mit den grundlegenden Nahrungsmitteln 2008 in den Städten um 25 Prozent gestiegen sind. Auf dem Land ist er sogar um 30 Prozent teurer geworden. Vor allem die Familien auf dem Land, mit denen das IMU intensiv zusammenarbeitet, sind hiervon betroffen.


PRESENTE: Gibt es, bedingt durch die Folgen der wirtschaftlichen Krise, einen Anstieg familiärer Gewalt?

CHEYNE: Tatsächlich gibt es einen proportionalen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Armut und dem der Gewalt, vor allem bei wirtschaftlich motivierter Gewalt und Gewalt in den Familien. Mir liegen dazu keine Daten aus diesem Jahr vor, aber 2008 stiegen die Morde an Frauen auf ein besorgniserregendes Niveau an.


PRESENTE: Welche Probleme entstehen durch Rückkehrer?

CHEYNE: Viele der zurückkehrenden Männer
sind auf einmal wirtschaftlich abhängig von den
Frauen. Die Mütter, Schwestern oder Ehefrauen
müssen ihre Anstrengungen noch weiter intensivieren,
bis es den Männern gelingt, wieder
eine Arbeit zu finden. Und das ist natürlich wegen
der Krise besonders schwer.


PRESENTE: Glaubst du, dass El Salvadors neuer linker Präsident Funes eine positive Rolle spielt, um die Auswirkungen der Krise zu mindern?

CHEYNE: Ich denke schon. Momentan gibt es schon einen Dialog mit der Regierung, mit wöchentlichen Treffen auf höchster Ebene. Dort werden die wichtigsten Probleme in Angriff genommen. Im Herbst wird darüber hinaus der Consejo Économico Social tagen, ein Rat für Wirtschaft und Soziales, bei dem sich Vertreter der Regierung, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft treffen. Es werden Diskussionen und Verhandlungen über die öffentliche Politik geführt, die wir schon seit langem fordern. Die neue Regierung bemüht sich wirklich um Veränderungen, aber die internationale Krise und die Krisensituation im Land nach 20 Jahren ARENA-Regierung erschweren die Regierungsführung. Ich denke aber, dass die Möglichkeit des Dialogs, die uns als sozialer Bewegung von der Regierung gegeben wird, eine große Chance ist, am Wiederaufbau des Landes mitzuwirken und unsere Perspektive für Gerechtigkeit und Humanität in diesen Wiederaufbau einfließen zu lassen.

Übersetzung: Mirko Klein (CIR)


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Quelle:
Presente 3/09, September 2009, Seite 7-8
Herausgeberin: Christliche Initiative Romero e.V. (CIR)
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Telefax: 0251/82 541
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2009