Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1098: Haiti - Armes Land, karge Böden und ein Erdbeben (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 333 - Mai 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Armes Land, karge Böden und ein Erdbeben
Nach der Katastrophe braucht das Land neue Strukturen, auch in der Landwirtschaft

Von Marcus Nürnberger


Von 1982-85 waren zu Löwensteins als Entwicklungshelfer in Haiti. Als Landwirt unterstützte Felix Prinz zu Löwenstein den Aufbau einer bäuerlichen Organisation für die Verwaltung eines Bewässerungssystems. Im Februar haben er und seine Frau Elisabeth bei einem Einsatz von Malteser International im Erdbebengebiet mitgearbeitet.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie muss man sich Landwirtschaft auf Haiti vorstellen?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Aus landwirtschaftlicher Sicht ist Haiti ein Paradebeispiel dafür, wie der Mensch in der Lage ist, seine natürlichen Ressourcen über einen "point of no return" hinaus zu vernichten. Haiti hat im Verhältnis zu den Ebenen mehr Berge als die Schweiz. Ein Großteil der ländlichen Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft und wirtschaftet so auf Flächen, die eigentlich viel zu steil sind. Das führt dazu, dass ein Großteil des Ackerbodens mittlerweile ins Meer gespült wurde. Und was im Meer liegt, ist nicht zurückholbar.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Kann man die Ackerflächen denn als fruchtbar bezeichnen?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Fruchtbar können Flächen nur sein, wenn ein Boden darauf liegt. Niederschläge gibt es zwar genug - jedenfalls in den meisten Gegenden - sie sind aber sehr unregelmäßig auf wenige Monate verteilt. Intensive Bewirtschaftung, die mehrere Ernten im Jahr ermöglicht, ist deshalb nur in den Ebenen mit Bewässerung möglich. Die zunehmende Erosion an den Hanglagen führt dazu, dass den Böden die für einen erfolgreichen Regenfeldbau erforderliche Wasserspeicherkapazität abhanden kommt.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Gibt es denn keine Ansätze, um mit diesen Problemen fertig zu werden?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Schon seit vielen Jahren beginnen immer mehr Bauern ökologisch zu wirtschaften. Nicht im Sinne eines "Zertifiziert Ökologischen Landbaus". Aber durchaus nicht nur durch Weglassen von Chemie: Sie nutzen vielfältige Fruchtfolgen, Mischkulturen, Agroforestsysteme, Kompost- und Dungwirtschaft.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Ist die schwierige Lage der Bauern der Grund für die enorme Landflucht?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Landflucht in die Städte, aber auch "Inselflucht": seit Jahren versuchen große Mengen an "boatpeople" trotz erheblicher Gefahren für Leib und Leben in die USA zu gelangen. Deshalb ist das Interesse der Amerikaner, Haiti zu einer wirtschaftlichen Entwicklung zu verhelfen, auch am größten.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Ein Großteil der ländlichen Bevölkerung betreibt Landwirtschaft. Wie hoch ist der Selbstversorgungsgrad Haitis?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Ich glaube nicht, dass Haiti heute in der Lage ist, seine 9 Millionen Einwohner selbst zu ernähren. Zwar gibt es eine unglaubliche Vielzahl an Nahrungspflanzen, die auch für den Markt angebaut werden. Die meisten Bauern haben aber so wenig Fläche, dass es kaum für die eigene Ernährung reicht. Grundnahrungsmittel wie Reis und Brotgetreide wird deshalb importiert.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Gibt es ein Handelssystem, Märkte auf denen die Landbevölkerung ihre Waren anbieten kann.

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Es gibt Märkte, Verkaufsstände an Straßen und es gibt die "Madam Sara". Das sind Frauen, die mehr oder weniger mit dem, was sie tragen können Handel betreiben und dies erstaunlich effizient organisieren und zum Teil in den USA einkaufen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Durch das Erdbeben sind Häuser und die Infrastruktur zerstört worden. Welche Auswirkungen hatte das Erdbeben für die ländliche Bevölkerung?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Die Landwirtschaft ist nicht betroffen. Es sind ja keine Felder kaputt gegangen oder Bäume umgefallen. Im Erdbebengebiet, das vielleicht 80 km im Durchmesser hat, liegen vor allem die Hauptstadt und ein paar kleinere Städte darum herum.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Gab es auf dem Land keine Zerstörung?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Es gab auch hier Häuser, die kaputt gegangen sind, aber ich gehe davon aus, dass nur wenige Menschen zu Tode gekommen sind. Es gab zwar auch Häuser in traditioneller Holz- und Lehmbauweise, die schwer beschädigt wurden, aber die haben ihre Bewohner nicht umgebracht. Das Hauptproblem liegt in den Städten. Die wenige vorhandene Infrastruktur ist jetzt weg.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Hat das auch Auswirkungen für die ländliche Bevölkerung?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Ein großes Problem ist, dass, wer immer es sich leisten kann, Kinder in die Hauptstadt schickt, damit sie dort eine Ausbildung bekommen, die sie dann befähigt, ihre Eltern und Geschwister zu unterstützen. Gerade von diesen jungen Leuten sind viele umgekommen und mit ihnen ihre Lehrer. Die Schulen und die Universität liegen in Trümmern und mit ihnen die Hoffnung auf einen Abschluss der Ausbildung für die, die überlebt haben. Wir haben die Verzweiflung dieser jungen Leute miterlebt und waren sehr betroffen davon.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Welches sind die wichtigsten Aufgaben?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Vieles hängt davon ab, ob tatsächlich soviel Geld zur Verfügung gestellt wird, wie jetzt versprochen wird. Und ob die internationale Gemeinschaft die politische Kraft hat, in Haiti gestaltend zu wirken. Es muss darum gehen, den Menschen, die jetzt in die Provinz zurückgekehrt sind, dort eine ökonomische Perspektive zu geben. Wenn jetzt nur dort, investiert wird, wo das Erdbeben gewütet hat, dann kommen all diese Menschen zurück und das Problem der Konzentration im Raum Port au Prince wird größer als zuvor.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Welche Rolle kann die haitianische Regierung übernehmen?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Die Haitianer selbst halten ihre Regierung für nicht in der Lage, den Wiederaufbau zu bewältigen. Das ist auch sicher so und zwar nicht nur wegen der Korruption, wegen der es sehr unvernünftig wäre, ihr das Geld für den Wiederaufbau anzuvertrauen. Sondern auch, weil ja ein Großteil ihrer Infrastruktur, Ministerien, Ämter etc. zerstört sind. Deshalb wird die UNO unmittelbare Verantwortung übernehmen müssen - natürlich unter gleichzeitigem Aufbau und zunehmender Beteiligung der haitianischen Regierung.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie sieht das Engagement der Malteser in Haiti aus, für die Sie in Haiti waren?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Zum einen hatte die amerikanische Assoziation der Malteser im Norden Haitis ein Krankenhaus mit 70 Betten. Das schwoll nach dem Erdbeben auf über 700 Betten an. Betten ist allerdings das falsche Wort. Es waren 700 Kranke, zuzüglich der sie begleitenden Angehörigen. All diese Menschen medizinisch und auch mit Nahrung zu versorgen war eine unglaubliche Aufgabe. Zum anderen gibt es eine kleine Gesundheitsstation In Leogane, in der Nähe des Epizentrums. In der haben wir mitgeholfen, indem wir uns um das medizinische Team gekümmert haben.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Welche Hilfsmöglichkeiten gibt es?

FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN: Zwar hat die Geberkonferenz in St. Domingo viele Milliarden versprochen. Aber dividiert durch die Anzahl der betroffenen Menschen ist das nicht schrecklich viel. Es wird deshalb auch weiterhin das Engagement von Nichtregierungs-Organisationen brauchen. Wir selbst wollen eine Pfarrei im Zentrum von Port au Prince unterstützen, die wir seit vielen Jahren begleiten und wo kaum ein Stein auf dem anderen geblieben ist. Wir konnten nach dem Erdbeben bei Misereor ein Konto einrichten, auf dem nun schon 80.000 Euro eingegangen sind. Ich sage aber allen meinen Freunden und Bekannten, die dafür gespendet haben oder noch spenden wollen: Man braucht jetzt sehr, sehr viel Geduld, um dieses Geld sinnvoll einzusetzen. Die Hilfe beim Wiederaufbau muss so eingesetzt werden, dass die Eigeninitiative der Menschen nicht geschwächt, sondern unterstützt wird. Und so was geht nicht durch schnelles Geldverteilen. Zusammen mit dem französischen Pfarrer von St. Antoine und Misereor werden wir den Einsatz der Mittel planen, sobald klar ist, was aus den staatlichen Töpfen unterstützt wird.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


*


Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 333 - Mai 2010, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2010