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LATEINAMERIKA/1184: Kuba - Öffentliche Debatte über Wirtschaftsreformen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. November 2010

Kuba: Öffentliche Debatte über Wirtschaftsreformen - Staat will sich weiter zurückziehen

Von Patricia Grogg


Havanna, 11. November (IPS) - Kuba will seine Wirtschaft auf neue Grundlagen stellen. Unter anderem plant der sozialistische Karibikstaat, ausländisches Kapital als Ergänzung nationaler Investitionen zu akzeptieren und mehr private Initiativen zuzulassen. Das geht aus Richtlinien der Regierung hervor, die zunächst auf breiter gesellschaftlicher Ebene diskutiert werden sollen.

Der Staat will offenbar von seiner paternalistischen Haltung abrücken. Das bedeutet auch, dass Gratifikationen und Bezugskarten für rationierte Lebensmittel abgeschafft werden. Der Entwurf für die neuen Richtlinien für Wirtschafts- und Sozialpolitik wurde im ganzen Land verbreitet, bevor der Sechste Kongress der regierenden Kubanischen Kommunistischen Partei (PCC) in der zweiten Aprilhälfte 2011 darüber beraten wird.

Der seit 2002 bereits mehrmals verschobene Kongress wird sich ausschließlich mit der Modernisierung der Wirtschaftsstrukturen des Inselstaates befassen, wie Präsident Raúl Castro ankündigte. Die Regierungspartei kann neue Reformmaßnahmen annehmen und andere bekräftigen, die bereits in der Landwirtschaft und etlichen Arbeitsbereichen umgesetzt werden. Der Staatschef betonte, dass Vorschläge der Bürger bei der Annahme des Dokuments berücksichtigt würden.

Viele Kubaner reagierten erstaunt auf die Ankündigung Castros. In akademischen Kreisen wird es allerdings als folgerichtig betrachtet, dass die Regierung schwerpunktmäßig über den künftigen ökonomischen Kurs beraten will. "Die Wirtschaft ist das Fundament, auf dem alles ruht", sagte ein Wissenschaftler, der ungenannt bleiben wollte, IPS.


Große Nachfrage nach Entwurf für Reformrichtlinien

Vom 1. Dezember bis 28. Februar kommenden Jahres sollen die Kubaner die Möglichkeit haben, in öffentlichen Foren über das Reformprogramm zu diskutieren. Bereits jetzt findet das 32 Seiten umfassende Dokument auf der Insel reißenden Absatz. "Die Leute haben es mir praktisch aus der Hand gerissen", sagte ein Postbeamter, der die Richtlinien verkauft. Er hoffe, dass noch viele Exemplare nachgeliefert würden, damit die hohe Nachfrage befriedigt werden könne.

Beobachter sehen es an der Zeit, dass die Regierung die bisherigen improvisierten Wirtschaftsmaßnahmen zu einer klar definierten Strategie weiterentwickelt. Unter die Epoche des 'real existierenden Sozialismus', in der Kuba Seite an Seite mit den Verbündeten des Ostblocks stand, müsse endlich ein Schlussstrich gezogen werden, hieß es. Stattdessen sollten die gegenwärtigen Bedürfnisse des Landes berücksichtigt werden.

Laut den Richtlinien sollen die Staatsunternehmen nach wie vor der tragende Pfeiler der Wirtschaft bleiben. Andererseits sollen aber auch gemischte Kapitalgesellschaften und Kooperativen zulässig sein. Der Staat will zudem Bauern das Recht geben, brachliegendes Land zu nutzen. Kubaner dürfen demnach künftig auch Vermieter sein und als Selbstständige arbeiten. Ziel sei es, "die Effizienz der sozialen Arbeit zu steigern", geht aus dem Papier hervor.

Vorgesehen ist außerdem, dass nichtstaatliche Firmen ihre Waren zu unsubventionierten Großhandelspreisen einkaufen können. Kubaner, die eines der 178 anerkannten Gewerbe und selbstständigen Tätigkeiten ausüben wollen, bestehen auf Vorzugspreisen. Die Regierung will die Großhandelspreise jedoch nur unter Vorbehalt garantieren, so lange der Staat diese aufrecht erhalten kann.

Die anvisierte "Vereinheitlichung der Zahlungsmittel" stieß in der Bevölkerung auf großes Interesse. Bisher gilt in Kuba ein duales System, in dem neben dem kubanischen Peso als nationale Währung der 'konvertible Peso' (CUC) als harte Parallelwährung existiert. 2004 hatte CUC den bis dahin auf der Insel zugelassenen US-Dollar ersetzt.

Wie die Richtlinien besagen, werden die Reformen aber davon abhängen, wie rasch die Produktivität steige, wie effizient die Verteilungsmechanismen funktionierten und in welchem Maße Waren und Dienstleistungen verfügbar seien. Ein besonders sensibler Punkt ist die geplante Abschaffung der 'libreta de abastecimiento' (Bezugsbuch), über das alle Bürger Nahrungsmittel zu Niedrigpreisen erhalten.


Venezuela bleibt der wichtigste Partner

Auf internationaler Ebene will Kuba vor allem weiter mit der von Venezuela geführten Boliviarischen Allianz für die Völker unseres Amerikas (ALBA) zusammenarbeiten. Als "strategisches Ziel" wurde zudem die aktive Teilhabe an der Wirtschaftsbündnissen der übrigen Länder Lateinamerikas und der Karibik formuliert. Kuba will auch weiterhin Mitglied der Lateinamerikanischen Integrationsvereinigung (ALADI), der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) und des Erdölabkommens 'Petrocaribe' bleiben.

Auch wenn die Richtlinien dies nicht explizit hervorheben, will Kuba auch künftig die Beziehungen zu Venezuela in den Vordergrund stellen. Castro erklärte, dass die beiden Länder noch engere wirtschaftliche Verbindungen anstrebten. Ein 2000 auf zehn Jahre geschlossenes Kooperationsabkommen wurde um weitere zehn Jahre verlängert. (Ende/IPS/ck/2010)


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IPS-Tagesdienst vom 11. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2010