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LATEINAMERIKA/1244: Mexiko - Nahrungsmittelpreise verschlingen Erdöleinnahmen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. März 2011

Mexiko: Nahrungsmittelpreise verschlingen Erdöleinnahmen

Von Emilio Godoy


Mexiko-Stadt, 8. März (IPS) - Die Entwicklung auf den internationalen Märkten hält für Mexiko widersprüchliche Botschaften bereit. Zum einen werden sich seine Erdöleinnahmen drastisch erhöhen, zum anderen steigende Importkosten das lateinamerikanische Land an den Rand einer Ernährungskrise treiben.

Den Haushaltsberechnungen für 2011 liegt ein Erdölpreis von 65 US-Dollar das Barrel zugrunde. Doch die Preise auf den internationalen Märkten sind aufgrund der Volksaufstände in den arabischen Ländern und insbesondere in Libyen in der ersten Märzwoche dramatisch angestiegen. So erzielte die mexikanische Exportmischung über 100 Dollar das Barrel.

Analysten gehen bereits davon aus, dass Mexiko als zweitgrößter Erdölproduzent Lateinamerikas nach Venezuela in diesem Jahr Gewinne in Höhe von elf Milliarden zusätzlich zu den im Haushalt veranschlagten 27 Milliarden Dollar einfahren wird.

"Eigentlich ist anzunehmen, dass sich derartige Zusatzeinnahmen zum Wohl Mexikos verwenden ließen. Doch das ist nicht gesagt, zumal die Bundesregierung und die Bundesstaaten keine Anstalten in diese Richtung unternommen haben", kritisierte José Luís de la Cruz, Wissenschaftler am privaten Technologieinstitut für höhere Studien in Monterrey.

Zwischen 2003 und 2008 konnte Mexiko seine 'Petrodollar' von 16,7 Milliarden allmählich auf 43,2 Milliarden Dollar steigern. Doch die Weltfinanzkrise, die 2008 in den USA ihren Anfang nahm, ließ die Einkünfte aus den Erdölexporten im Jahr darauf auf 25,7 Milliarden abschmieren. 2010 erzielten die Exporte nach amtlichen Angaben 36 Milliarden Dollar.


Regierung Zweckentfremdung der Mittel vorgeworfen

Zwei Institutionen des mexikanischen Zweikammerparlaments, das Studienzentrum für öffentliche Finanzmittel und der Bundesrechnungshof, werfen der Regierung von Staatspräsident Felipe Calderón vor, die Zusatzeinnahmen nicht wie gesetzlich vorgesehen für soziale und Infrastrukturprojekte ausgegeben zu haben.

Nach mexikanischem Recht müssen außergewöhnliche Einnahmen auf unterschiedliche Töpfe der 32 mexikanischen Bundesstaaten verteilt werden und für Investitionen in das staatliche Erdölunternehmen Pemex ausgegeben werden. Das Verteilungsschema ist umstritten, da sich die Verwendung dieser Gelder nur schwerlich nachvollziehen lässt.

Pemex zufolge belief sich die Erdölproduktion 2010 auf durchschnittlich 2,5 Millionen Barrel pro Tag. 60 Prozent des 'schwarzen Goldes' wurde zur Bedienung des stets wachsenden und subventionierten Binnenmarktes verwendet. Allerdings importiert das 111 Millionen Einwohner zählende Land Erdölderivate und -produkte im Wert seiner Erdölexporte, sodass von einer positiven Erdölbilanz nicht die Rede sein kann.

Was Mexiko noch mehr Sorgen bereitet, ist der dramatische Anstieg der Nahrungsmittelpreise. Schon 2007 hatte der schwindelerregende Anstieg der Maispreise das lateinamerikanische Land in die sogenannte 'Tortillakrise' gestürzt. Auch lassen die Verzerrungen auf den Erdöl- und Lebensmittelmärkten befürchten, dass die Zeiträume der wirtschaftlichen Erholung nach der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums um sechs Prozent 2009 und dem Verlust von 900.000 Arbeitsplätzen immer kürzer werden.

Im vergangenen Jahr legte die Wirtschaft nach offiziellen Angaben um 5,5 Prozent zu, was zu 700.000 neuen Arbeitsplätzen führte. Für das laufende Jahr wird von einem Wachstum zwischen 4,2 bis 4,5 Prozent ausgegangen. Nach Ansicht von Max Correa, dem Generalsekretär des Bauernverbands 'Central Campesina Cardenista' steht dem Land ein schwieriges Jahr bevor. Er geht von einem erhöhten Druck auf die Produktionskosten und die Herstellung von Düngemitteln aus Erdöl aus.

Der erneute Anstieg der Lebensmittelpreise offenbare Strukturschwächen der mexikanischen Nahrungsmittelproduktion, heißt es in Expertenkreisen. Doch auch die Kältewelle in diesem Jahr im Norden des Landes, hatte ihren Preis. So ist dort der für den menschlichen Konsum gedachte weiße Mais fast vollständig erfroren, was die Regierung veranlasst hat, über eine weitere Aussaat nachzudenken. Das Land produziert jährlich 22 Millionen Tonnen Mais. 70 Prozent ist für den Eigenbedarf bestimmt. Der Rest wird importiert.


Handelsbilanzdefizit bei Nahrungsmitteln

Wie schon in den vorangegangenen Jahren zuvor war die Handelsbilanz, was die Nahrungsmittel betrifft, 2010 defizitär. So standen den Gesamtexporten im Wert von 18,6 Milliarden Dollar Importe im Wert von 21,7 Milliarden Dollar gegenüber.

"Mexiko ist von Lebensmittelimporten abhängig und hat die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, verloren", kritisiert José Luís de la Cruz. So sei das Land nicht in der Lage, internationale Negativentwicklungen abzufedern. Aus diesem Grund sei es wichtig, ein Nahrungsmittelproduktionsprogramm aufzulegen und die Ärmsten im Land finanziell zu unterstützen.

Nichtregierungsorganisationen haben die Regierung aufgefordert, den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, den Belgier Olivier de Schutter, einzuladen, damit er die Ernährungslage in Mexiko einer kritischen Prüfung unterzieht. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.cccardenista.net/
http://www3.diputados.gob.mx/camara/001_diputados/006_centros_de_estudio/02_centro_de_estudios_de_finanzas_publicas__1
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97694

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2011