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LATEINAMERIKA/1375: Schwierige Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 42 vom 19. Oktober 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Hühner und Schweine
Vor schwierigen Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla

von Günter Pohl



Am 17. Oktober haben in Oslo einleitende Gespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens - Volksheer (FARC-EP) begonnen. Nach wenigen Tagen sollen diese mit dem Ziel eines dauerhaften Friedens für das südamerikanische Land in Havanna fortgesetzt werden. Die norwegische und die kubanische Regierung sind Garanten der Gespräche, Venezuela und Chile unterstützen sie politisch und logistisch.


Eine der Erklärungen über die Ursprünge des Krieges in Kolumbien ist die abschlägige Haltung der damaligen Regierung gegenüber der schriftlichen Forderung der Bauern in der seit 1955 unabhängigen Zone Marquetalia "47.000 Pesos und einige Schweine und Geflügel" zu bekommen, als Entschädigungen nach Angriffen des Militärs.

Die Entschädigung kam nicht. Es galt die These des konservativen Senators Álvaro Gómez Hurtado, der im Kongress 1963 dafür warb "mit Waffen die unabhängigen Republiken der Kommunisten in Marquetalia, Río Chiquito und Guayabero zu beenden". In diesen befreiten Gebieten waren die Bauern seit Mitte der fünfziger Jahre selbstorganisiert und mussten sich beständiger Angriffe der im Dienste der Großgrundbesitzer stehenden, paramilitärischen "Pájaros" erwehren. Natürlich kann ein Krieg solcher Dimension, der nach dem erfolgreichen Zurückschlagen der Militärinvasion durch die Bauern um Manuel Marulanda 1964 zur Gründung der Revolutionären Streitkräfte und in der Folge zu einem Zehntausende Menschen starken Guerillaheer mit Präsenz in allen Zonen des kolumbianischen Festlandes führte, nicht auf ein paar Hühner und Schweine zurückgeführt werden. Auch wäre er vielleicht nicht mit einer Entschädigung verhindert worden. Aber eine Analyse der von Beginn an immer und alles ablehnenden Haltung der oligarchisch strukturierten Herrschaft in Kolumbien gibt allerdings sehr wohl Aufschluss über das kaum aufzulösende Geflecht, in dem die Herrschenden nie verstanden haben, was die Bauern damals wollten und ihre Guerillas nach Jahrzehnten des Kampfes immer noch bewegt: sie haben sie mit ihrer eigenen Korruption verwechselt.

Weder die FARC-EP noch das Nationale Befreiungsheer (ELN) haben sich um 1990 wie mehrere andere Guerillas des Landes aufgelöst und damit gleichzeitig den Nachweis erbracht, dass sie von keiner ausländischen Macht abhingen. Sie haben darüber hinaus weiterhin erklärt, dass der Frieden nur mit sozialer Gerechtigkeit zu haben ist. Also haben sie parallel zu den Kämpfen immer wieder zu Friedensgesprächen aufgefordert, zu denen es 1998/99, 2002, 2004/05 sowie noch einmal 2007 (ELN) sowie 1999-2002 (FARC-EP) kam, allerdings jeweils ohne Ergebnisse, da die Regierung nicht zu umfassenden sozialen Veränderungen bereit war. Im Falle der FARC kam hinzu, dass nach dem 11. September 2001 und dem gleichzeitigen milliardenschweren "Plan Colombia" der USA die Siegessicherheit auf Seiten der Regierung gestiegen war. Mit der Einbeziehung der beiden Guerillas in die Terroristenliste der EU im Jahr 2002 waren zudem die außenpolitischen Möglichkeiten begrenzt worden, nachdem die FARC zuvor z. B. über ein Büro in Stockholm verfügt hatten. So ist es kein Wunder, dass es nicht ein EU-Staat, sondern das unabhängige Norwegen war, das über die Jahre nicht nachgelassen hat, Bedingungen für Gespräche auszuloten. Kuba, das über bessere Beziehungen zum "guevaristischen" ELN verfügte, sorgte für oben erwähnte Verhandlungen in Havanna und Mainz; letztere auch mit Hilfe der deutschen Bischofskonferenz. Dass die aktuelle Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos sich jetzt im Gegensatz zur kriegerischen Haltung der Vorgängerregierung unter Álvaro Uribe zu Gesprächen bereit erklärt hat, ist genauso wenig ein Zeichen militärischer Schwäche wie es die Friedensangebote der Guerilla sind. Es ist auf Seiten der Regierung nur etwas Einsicht in die Nichtgewinnbarkeit des Konflikts gewonnen worden. Die Verhandlungen sind - unabhängig von ihrem Erfolg - ein Triumph der Vernunft. Und sie sind sicher auch eine kleine Genugtuung für Fidel Castro, dem es nie gelungen war die FARC zu einer vermittelnden Rolle Kubas zu bewegen. Manuel Marulanda hat die außerordentliche Rolle Fidels und der kubanischen Revolution für Lateinamerika immer hervorgehoben, aber abgelehnt nach Havanna zu reisen; Fidel sei aber im kolumbianischen Urwald willkommener Gast. So blieb es bei den erfolgreichen Vermittlungen Kubas zur Abgabe der Waffen der Revolutionäre in Zentralamerika, aber die FARC sind unter Berücksichtigung der völlig unterschiedlichen Situation in Kolumbien, vor allem wegen der Massaker der Oligarchie an in das politische Leben Reintegrierte, zu anderen Schlüssen gekommen. Fidel erwähnt in seinem einige Monate nach dem Tod Marulandas im März 2008 erschienenen Buch "Der Frieden in Kolumbien" strategische Unterschiede der damaligen kubanischen Guerilla zu den Strategien der FARC des "langanhaltenden Volkskriegs". Mit Marulandas Tod unterblieb die Möglichkeit seiner Entgegnung und auch eines grundsätzlichen Dialogs zwischen den beiden wichtigsten Guerillaführern Amerikas im 20. Jahrhundert. Ob die Verhandlungen, zu denen perspektivisch das ELN hinzukommen soll, zu einem Erfolg werden, hängt aber nicht von den Garantenstaaten und ihrer Sicht der Dinge ab, sondern von den Kontrahenten - aber auch wiederum nicht nur von ihnen. Denn in der gewählten Konstellation ist es ein Geburtsfehler, dass wie bei den gescheiterten Gesprächen mit dem ELN, aber im Gegensatz zu den dreijährigen Gesprächen der Regierung unter Präsident Andrés Pastrana mit den FARC in San Vicente del Caguán die Bevölkerung nicht einbezogen wird. An diesem Punkt wird in der Tat eine Schwäche der Guerilla deutlich, aber für sie günstigere Verhandlungen in Kolumbien hätte Santos gegen den Druck der Verhandlungsgegner in den eigenen Reihen nicht durchsetzen können, selbst wenn er es gewollt hätte. "Der Frieden ist weder allein in den Händen der Regierung noch denen der FARC, sondern das Volk muss Druck machen", sagte der FARC-Kommandierende Timoleón Jiménez nach Bekanntgabe der Verhandlungen Ende August.

Schwierig werden einzelne Themen der Gespräche, wie zum Beispiel der derzeit nicht geklärte, vordringliche Aspekt eines Waffenstillstands. Aber auch: wie können angesichts der wiederholten Massaker an ehemaligen Aufständischen (z. B. nach der Gründung der Patriotischen Union durch FARC-Kämpfer/innen wurden über viertausend ihrer Mitglieder seit 1985 ermordet) Garantien für sich in das unbewaffnete politische Leben integrierende Guerilleros aussehen? Was ist mit den gut achttausend politischen Gefangenen? Wie ist zu erreichen, dass die von Paramilitärs und Großgrundbesitzern geraubten Gebiete den fünf Millionen Vertriebenen zurückgegeben werden? Wie können Exilierte und Emigranten wieder eingegliedert werden? Wie sehr wird sich die UNASUR oder auch die CELAC in einen Friedensprozess einbringen (können)? Welche Rolle kann eine Europäische Union für Kolumbien (aber nicht nur dort) spielen, wenn sie eine "Terroristenliste" führt, auf der neben dem ELN und den FARC Aufständische aus allen Krisenregionen der Welt stehen? Was ist mit den in den USA inhaftierten Guerilleros? Mit weiteren Fragen wie Entschädigungen und Wiedergutmachungen beschäftigt sich der nachstehende Artikel.[1]

Die UZ wird die Gespräche begleiten. Zusätzlich sei Interessierten Gabriel García Márquez' "Hundert Jahre Einsamkeit" empfohlen, in dem er die Entwicklung der Klassenkämpfe in Kolumbien am Beispiel einer Siedlerfamilie über mehrere Generationen schildert. Zur Tragik Kolumbiens gehört nämlich, dass der Roman wenig von seiner Aktualität eingebüßt hat.


[1] http://www.dkp-online.de/uz/4442/s1301.htm
Krieg und Amnestie, von José Ramón Llanos

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 42 vom 19. Oktober 2012, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2012