Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1389: Bolivien - In der erdölreichen Chaco-Region haben Indigene das Sagen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Januar 2013

Bolivien: In der erdölreichen Chaco-Region haben Indigene das Sagen

von Rafael Sagárnaga López


Bild: © Rafael Sagárnaga López/IPS

Guaraní-Repräsentant Justino Zambrana
Bild: © Rafael Sagárnaga López/IP

Tarija, Bolivien, 3. Januar (IPS) - Drei Vertreter indigener Gemeinschaften der südbolivianischen Region Gran Chaco haben einen überraschend schnellen politischen Aufstieg hinter sich. Nachdem sie 2009 ins Parlament des Departements Tarija gewählt wurden, werden sie von den verschiedenen politischen Lagern umworben.

Jahrhundertelang galt die semiaride Region als praktisch unbewohnbar. Die Temperaturen steigen zeitweise auf 45 Grad Celsius, und in der kargen Landschaft stehen kaum Schatten spendende Bäume. Darüber hinaus liegt der Chaco weitab von den politischen Machtzentren.

Auch während der Kolonialisierung durch die Spanier schreckten die Lebensbedingungen in der Region die Invasoren ab, und der Chaco blieb weitgehend verschont. Von 1933 bis 1935 versuchten zunächst die Bolivianer, dann die Paraguayer die Region mit Waffengewalt unter ihre Herrschaft zu bringen. Doch beide versagten.

Dadurch sind noch heute weite Teile des Gebietes den Indigenen vorbehalten, die hier bereits seit Jahrhunderten leben: vor allem Guaraní, Weenhayek und Tapiete. Obwohl in den vergangenen Jahren immer mehr Straßen durch den Chaco gezogen und weitere Infrastruktur aufgebaut wurde, um die reichen Öl- und Gasreserven zu erschließen, gibt es noch immer Winkel, in die nur Indigene vorgedrungen sind.

Doch die Ureinwohner waren lange weitgehend von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und mussten ohne staatliche Unterstützung jeglicher Art auskommen. Gründe waren die geographische Distanz zu den politischen Zentren sowie die Tatsache, dass sie ausschließlich indigener Sprachen mächtig waren. Außerdem unterschieden sich ihre Konzepte von Gesellschaft und Politik vom Mainstream.

2009 änderte sich das. Lange hatten die Indigenen, die 60 Prozent der elf Millionen Einwohner des Landes stellen, vor allem mit Protestmärschen um politische Rechte gekämpft. Die neue Verfassung von 2009 erklärte Bolivien zu einem plurinationalen Staat und erkannte offiziell 36 Ethnien an. Darüber hinaus wurden die Regionalparlamente in den neun Departements, in die Bolivien unterteilt ist, dazu verpflichtet, Vertreter der lokalen indigenen Gemeinschaften aufzunehmen.


Historischer Sieg für Indigene

"Das war ein historischer Sieg für die Konföderation der Indigenen Völker Boliviens, für die Versammlung der Guaraní und für alle politischen Indigenenvertretungen", sagt der Guaraní Justino Zambrana gegenüber IPS. "Endlich konnten wir unsere eigenen Repräsentanten wählen, Menschen, die mit uns eine Kultur teilen." Zambrana ist einer von drei Indigenenvertretern, die im Parlament des Departements Tarija sitzen.

Der Verfassungsreform war drei Jahre zuvor die Wahl des ersten indigenen Präsidenten Boliviens vorausgegangen. Evo Morales gehört zu den Aymara, die vorwiegend in den Anden im Westen des Landes beheimatet sind. 2011 wurde Morales zum zweiten Mal für weitere fünf Jahre gewählt.

Die Anhänger und Gegner von Morales haben im Parlament von Tarija ungefähr die gleiche Stimmenanzahl. Das machte die neu gewählten Indigenenvertreter sehr begehrt. Die politischen Parteien haben sich auf die Strategie verlegt, um die Zustimmung von Zambrana, dem Guaraní-Vertreter, von Antonio Tato, dem Weenhayek-Repräsentanten und Vicente Ferreira von den Tapiete zu werben.

"Erst waren wir ihnen egal, aber als ihnen klar wurde, dass unsere Stimmen Gewicht hatten, kamen sie plötzlich von allen Seiten", sagt Ferreira. "Der Anfang war sehr schwierig für mich. Ich wusste nicht, auf wessen Seite ich mich stellen sollte - und parallel musste ich erst noch einiges über die politischen Prozesse und die bolivianischen Gesetze lernen."


Indigene übernehmen höhere politische Ämter

Doch noch schwierigere Entscheidungen warteten auf die Volksvertreter. Im Mai 2009 stand die Wahl des Parlamentspräsidenten an. Weil die drei Indigenen mit Morales' Partei Bewegung für den Sozialismus sympathisierten, wählten sie deren Aymara-Kandidatin Aluida Vilte. Zambrana wurde daraufhin zum Vizepräsidenten gewählt.

Sieben Monate später stand die Entscheidung an, den Gouverneur Mario Cossío, der der Opposition angehörte, wegen Korruption seines Amtes zu entheben. Die Stimmen der drei Indigenen waren schließlich entscheidend für seine Abwahl. Das ebnete den Weg für einen Gouverneur vom Volk der Aymara, Lindo Condori.

"Es geht nicht um politische Gefälligkeiten. Wir haben uns an das Gesetz gehalten, und das bedeutete, dass Cossío gehen musste", sagt Zambrana. Im Mai 2010 wurde dann Zambrana selbst Parlamentspräsident - mit den Stimmen der Oppositionspartei 'Weg zum Wandel'. Ein Jahr später wurde er im Amt bestätigt.

Doch nicht alle Indigenen sind mit der Arbeit der drei Vertreter zufrieden. Weenhayek-Chief Moisés Sapirenda kann sich vorstellen, bei den nächsten Wahlen Antonio Tato nicht mehr ins Rennen zu schicken. "Es gibt viele Themen, die er nicht angesprochen hat." Auch darüber hinaus fehlen ihm greifbare Besserungen der indigenen Lebensbedingungen. "Wir sind und bleiben eine Minderheit." (Ende/IPS/jt/2013)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102121
http://www.ipsnews.net/2012/12/power-in-bolivias-gas-rich-chaco-region-thrust-into-indigenous-hands/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. Januar 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2013