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LATEINAMERIKA/1394: In Havanna gehen die Gespräche weiter - in Kolumbien der Krieg (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 4 vom 25. Januar 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Regierungsseite bleibt stur
In Havanna gehen die Gespräche weiter - in Kolumbien der Krieg

von Günter Pohl



Nach einer Pause zum Jahreswechsel sind im "Palacio de Convenciones" in Havanna die Verhandlungen zwischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens am 14. Januar in die zweite Runde gegangen. Nach wie vor geht es um die Agrarproblematik, für die beide Seiten die Ergebnisse von Diskussionen der kolumbianischen Bevölkerung sowie die Vorschläge auf der offiziellen Friedensverhandlungs-Homepage einbeziehen sollen.

Von Regierungsseite ist bislang wenig Bereitschaft geäußert worden, auf die 546 Vorschläge aus dem Volk einzugehen, die bei einem Treffen Mitte Dezember in Bogotá erarbeitet worden waren; 1.346 Delegierte aus allen Teilen des Landes hatten dabei unter Federführung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen und der Nationaluniversität elf Veröffentlichungen für eine Bodenreform verabschiedet. Die dreizehn Guerilleras und siebzehn Guerilleros, die in Havanna für die FARC verhandeln, mussten im Gegenteil am 18. Januar auf den ungeminderten Ausverkauf des Bodens an ausländische Konsortien, Privatpersonen und Unternehmen hinweisen: "Stück für Stück wird das ganze Land verscherbelt", hieß es in einem Kommuniqué. Darin wird Landwirtschaftsminister Restrepo aufgefordert an den Beratungen in Havanna teilzunehmen. Denn die zur Verabschiedung anstehenden Gesetzesvorhaben zur Entwicklung des ländlichen Raumes würden die an die Verhandelnden gerichteten Vorschläge in keiner Weise berücksichtigen. Auch die UN-Welternährungsorganisation (FAO) warne, so die FARC, vor "Auslandsbesitz an Grund und Boden" - aber in Kolumbien nehme dieses Phänomen gerade an Fahrt auf. Die FARC legten bei der ersten Pressekonferenz 2013 einen ersten und am 19. Januar zwei weitere der "Zehn Vorschläge für eine Politik der integralen ländlichen und agrarischen Entwicklung" vor, bei denen die gesamte Landproblematik angegangen wird. In einem Interview verwies Iván Márquez, Chefunterhändler der Guerilla, zudem auf die mit einem Gini-Index von 0,89 extremst ungleiche Besitzsituation im ländlichen Kolumbien hin.

Experten äußern nach wie vor erhebliche Zweifel bezüglich der Erfolgsaussichten der Friedensgespräche in Havanna, da die Regierung konstruktive Lösungen oder gar eine Diskussion über das Wirtschaftsmodell oder den Extraktivismus ablehnt und ohnehin fast alles mit einer Kapitulation der FARC verbindet, die nicht kommen wird. Auch gibt es nach wie vor keine Angebote an das ELN (Nationales Befreiungsheer), das sich bereit erklärt hatte, an den Verhandlungen teilzunehmen. Sollte es irgendwann doch zu einem dauerhaften Frieden kommen, will Präsident Santos keiner Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung zustimmen, wie die FARC es verlangen (und wie es 1991 nach der Demobilisierung einiger Guerillas gemacht wurde), sondern er will die ausgehandelten Ergebnisse dem Volk bestenfalls zu einem Referendum vorlegen. Unterdessen ist der einseitige Waffenstillstand, den die Guerilla im November für 60 Tage ausgerufen haben, am 20. Januar zu Ende gegangen. Eine Verlängerung der Maßnahme, die den Einheiten der FARC Angriffsmaßnahmen untersagte, war der FARC-Führung politisch nicht mehr möglich, nachdem sich die Regierung geweigert hatte, selbst ebenfalls Angriffe auf Stellungen und Camps der Guerilla zu unterlassen. "Leider kehren wir wieder zum Krieg zurück, den niemand im Land will", sagte Iván Márquez am Sonntag. Nach Regierungsangaben wurden bei Bombenangriffen in dieser Zeit 34 KämpferInnen der FARC ermordet.

Schon in der geheimen Vorgesprächsphase, die seit Februar 2012 ebenfalls in Havanna zwischen Regierungsvertretern und einer kleinen Gruppe von Guerilleros geführt worden war, hatte die Regierungsseite nicht nur die "normalen" militärischen Aktionen fortgeführt. In "Le Monde Diplomatique" erläuterte Hernando Calvo Ospina, in Frankreich exilierter kolumbianischer Journalist, am 14. Januar in dem Artikel "Conversando con la Guerrilla" (basierend auf Gesprächen, die er vor wenigen Wochen in Havanna führte) die heikle Situation in einem Gespräch mit dem FARC-Unterhändler Ricardo Téllez alias "Rodrigo Granda". Dabei wird deutlich, dass die ersten Verhandlungen lange vor der erwähnten Vorgesprächsphase begonnen hatten und wie sie im Wortsinn torpediert wurden: "Granda erzählt, dass es der gerade (Juni 2010) gewählte Präsident Manuel Santos war, der den andauernden Vorschlag der FARC für eine politische Konfliktlösung akzeptiert hatte. Santos schickte eine Mitteilung an die FARC über einen ihrer Hauptanführer, Jorge Briceño, besser bekannt als 'Mono Jojoy'. Er machte das, obwohl 'Jojoy' als der 'Hauptfeind Kolumbiens' betrachtet wurde. Die Gespräche sollten ohne Öffentlichkeit stattfinden; die Guerillaführung stimmte zu. 'Genau dann, am 22. September 2010, fielen 30 Tonnen Bomben auf das Camp von Mono Jojoy, wovon sieben auf seinen Schlafplatz fielen.' Das war die Operation 'Sodom'. Zwanzig Tage vorher hatte Briceño in einem Interview gesagt: 'Der Krieg endet nicht mit Bomben und Raketen und Flugzeugen, sondern mit einem denkenden Kopf, mit Politik und Lösungen für das Volk.' (...) Statt einer heftigen militärischen Reaktion kam ein Kommuniqué der FARC:

'Der einzige Weg ist die politische und friedliche Lösung für den bewaffneten, gesellschaftlichen Konflikt'. Die FARC entschieden die geheimen Gespräche weiterzuführen, aber Santos befahl sie zu vernichten, wenn sie sich nicht ergäben. Am 4. November 2011 wurde der Oberkommandierende der FARC, Alfonso Cano, von achthundert Soldaten der Spezialkräfte umzingelt, die von Hubschraubern und Flugzeugen unterstützt waren. Er selbst war begleitet von vier Männern und einem Hund. 'Seine Ermordung war sehr hart, aber wir entschieden unser Denken fortzuführen: Die Fahne des Friedens ist die unsere. Und wiederum unterbrachen wir die Gespräche mit den Gesandten von Santos nicht', erläuterte Granda. Und dann sandte der neue FARC-Chef, Timoleón Jiménez alias 'Timochenko', einen offenen Brief an den Präsidenten, der so endete: 'So geht es nicht, Santos, so nicht.' Als Antwort befahl der Präsident die militärischen Operationen zu verstärken."

Trotz dieser Aggressionen gegen die Friedensbemühungen haben es die FARC geschafft, die Regierungen zu Verhandlungen zu zwingen. Die Regierungsversion, dass es just die diversen Schläge gegen führende FARC-Guerilleros und eine drohende militärische Niederlage gewesen seien, die die FARC zum Reden zwangen, wird angesichts dieser Veröffentlichungen genau andersherum zum Schuh: Immerhin ein Teil der kolumbianischen Machtclique hat begriffen, dass mit feigen Morden die Moral der FARC nicht zu brechen ist. Eher tritt das Gegenteil ein.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 4 vom 25. Januar 2013, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2013