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LATEINAMERIKA/1482: Uruguay - Übernahme von sechs Guantánamo-Häftlingen muss bis nach den Wahlen warten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2014

Uruguay: Übernahme von sechs Guantánamo-Häftlingen muss bis nach den Wahlen warten

von Diana Cariboni


Bild: Shane T. McCoy, U.S. Navy, gemeinfrei

Gefangene in Camp X-Ray auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba während eines Verfahrens zur Aufnahme in das Übergangslager am 11. Januar 2002
Bild: Shane T. McCoy, U.S. Navy, gemeinfrei

Montevideo, 14. Oktober (IPS) - Uruguays Präsident José Mujica hat seinen Plan, sechs US-Guantánamo-Häftlingen in dem südamerikanischen Land eine neue Heimat zu geben, bis nach den allgemeinen Wahlen verschoben. Doch für die Häftlinge, die inzwischen von jedem Terrorismusvorwurf gereinigt wurden, bedeutet jede Verzögerung einen lebensgefährlichen Wettlauf mit der Zeit.

Die Wiederansiedlung eines Palästinensers, eines Tunesiers und von vier Syrern hat sich für Mujica und seine Mitte-Links-Partei der Breiten Front im Vorfeld des Urnengangs am 26. Oktober als ein schwieriges Wahlthema erwiesen.

Von den derzeit 149 Insassen in dem von Ex-Präsident George W. Bush (2001-2009) jenseits aller Rechtstaatlichkeit installierten Militärgefängnisses auf Guantánamo warten 79 nach Angaben des 'Center for Constitutional Rights' (CCR) mit Sitz in New York seit 2010 auf ihre Freilassung. Das CCR hat einige der Häftlinge vor Gericht vertreten.

Im März erklärte sich Mujica nach einer Anfrage von US-Präsident Barack Obama bereit, sechs Menschen aus dieser Häftlingsgruppe, die zum Teil schwer traumatisiert und in schlechter körperlicher Verfassung sind, ein Leben in Uruguay zu ermöglichen.

Der 35-jährige Palästinenser Mohammed Abdullah Taha Mattan leidet unter einer schweren Depression und unter den Folgen zahlreicher Hungerstreiks, an denen er sich in den letzten Jahren beteiligt hat. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme und Auslieferung an die USA durch die pakistanischen Sicherheitskräfte war er 23 Jahre alt. Es gebe keine Beweise, die den Vorwurf terroristischer Aktivitäten rechtfertigten, ließ Lauren Carasik, eine seiner Verteidiger, wissen.

Carasik hatte in letzten Jahr in einem Meinungsbeitrag für Al Jazeera erklärt, dass ihr Mandant nicht aufgrund stichhaltiger Beweise festgenommen worden sei, sondern weil ganze Regionen Pakistans und Afghanistans mit Pamphleten gepflastert worden seien, die zur Jagd auf 'mutmaßliche Terroristen' aufgerufen und Kopfgelder in Aussicht gestellt hätten.

Dem CCR zufolge waren 86 Prozent der 789 Männer und Teenager, die ab Januar 2002 nach Guantánamo verbracht wurden, in dem Zeitraum festgenommen worden waren, als das US-Militär für die Festnahme jedes angeblichen Terroristen ein Kopfgeld von 5.000 Dollar bezahlt hatte.

Auch der nach Guantánamo verschleppte Syrer Abu Wa'el Dhiab, Vater von vier Kindern, hat seit Februar 2013 an verschiedenen Hungerstreiks teilgenommen. Er ist extrem geschwächt und sitzt im Rollstuhl. Er wartet seit 2009 auf seine Freilassung, nachdem sich die Beweislast gegen ihn in Luft aufgelöst hat.

Dhiabs Fall hat in diesem Jahr für internationale Schlagzeilen gesorgt, als seine Anwälte vor Gericht zogen, um gegen die Zwangsernährung ihres Mandanten vorzugehen. Die US-Richterin Gladys Kessler ordnete daraufhin die Freigabe von 28 als geheim eingestuften Videoaufnahmen an, die zeigen sollen, wie der Häftling gewaltsam aus seiner Zelle geholt und über einen Schlauch durch die Nase in den Magen zwangsernährt worden war. Die Frist für die Vorlage der Aufnahmen läuft am 20. Oktober ab.

In einer Mitteilung, die seine Anwälte vor Gericht verlasen, erklärte Dhiab, dass er der US-Öffentlichkeit einen Einblick geben wolle, "was heute noch in diesem Gefängnis geschieht, damit sie versteht, warum wir in den Hungerstreik treten und warum das Gefängnis geschlossen werden sollte". Im August hatte einer seiner Rechtsvertreter erklärt, dass Dhiab zu einem Skelett abgemagert sei.

Wie die britische Hilfsorganisation 'Reprieve' berichtete, hatte der Syrer mit seiner Familie in Afghanistan gelebt, von wo aus er, als nach dem 11. September 2001 der Krieg begann, nach Pakistan geflohen war. Einige Monate später wurde er dort von der pakistanischen Polizei verhaftet und den USA - möglicherweise gegen die Zahlung eines Kopfgelds - überstellt.

Im Juni forderten die Anwälte der sechs Guantánamo-Gefangenen die US-Regierung auf, den Transfer ihrer Mandanten nach Uruguay zu beschleunigen. Sie berichteten, dass eine uruguayische Delegation bereits mit den Gefangenen gesprochen hätte und diesen die Ansiedlung in Uruguay angeboten habe, "die das Angebot dankbar angenommen haben".

Mujica, ein ehemaliger Rebellenführer, der selbst 14 Jahre unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert war, gehört zu den vielen Gegnern des US-Militärgefängnisses auf Kuba. In den letzten Monaten hat er wiederholt erklärt, dass die Gefangenen von Guantánamo Bay in seinem Land als "freie Menschen" leben würden.

Doch Washington verlangt für gewöhnlich, dass die Aufnahmeländer die Häftlinge im Auge behalten und sie mit einem Ausreiseverbot belegen, was mit uruguayischem Flüchtlingsrecht jedoch nicht kompatibel ist.

"Die gleichen Ängste, die die Schließung von Guantánamo, die Freilassung unschuldiger Menschen und die Verfahren gegen mutmaßliche Terroristen vor normalen US-Gerichten verhindern, versperren nun den sechs Guantánamo-Häftlingen ein menschenwürdiges Leben in Uruguay", warnte Laura Pitter von der internationalen Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW).

Die USA seien, um Guantánamo schließen zu können, auf die Unterstützung anderer Länder angewiesen, weil die unsinnige Angst vor einem Verlust der Kontrolle über die Gefangenen als Wahlkampfthema ausgeschlachtet werde, schrieb sie in einer E-Mail an IPS. "Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Männer nicht nach Uruguay zu lassen". Dabei bedeute die Bereitschaft, sie in andere Länder ausreisen zu lassen, dass von ihnen weder für die USA noch für Uruguay oder für ein anderes Land eine Gefahr ausgehe. "Sie sind über jeden Verdacht erhaben und wurden nie eines Verbrechens angeklagt."

In einem Gespräch mit IPS im August betonte Javier Miranda, Leiter des Menschenrechtsbüros im uruguayischen Präsidialamt, dass es innerhalb der uruguayischen Gesellschafft die Angst vor dem Islamismus gebe. Doch müsse klar gestellt werden, dass sich Islam und Terrorismus nicht gleichsetzen ließen.

Miranda, der am 9. Oktober die Ankunft des ersten Kontingents von 43 syrischen Kriegsflüchtlingen in Uruguay begleitet hatte, fügte hinzu, dass "Menschen, die zwölf Jahre lang in Guatánamo eingesperrt, also quasi verschwunden waren, ein ebensolches Recht auf ein Refugium in Uruguay haben wie syrische Flüchtlinge".

Dass Mujica die Details über die rechtliche Notlage und Gesundheit der sechs Guantánamo-Häftlinge nicht bekannt gegeben hatte, führte dazu, dass das Misstrauen gegenüber den sechs Guantánamo-Häftlingen in der uruguayischen Bevölkerung zugenommen hat.

Aus einer Umfrage geht hervor, dass 66 Prozent der Uruguayer die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen in ihrem Land begrüßen. Die Zahl derjenigen jedoch, die der Aufnahme der Guantánamo-Flüchtlinge ablehnend gegenüberstehen, ist zwischen April und September von 50 auf 58 Prozent gestiegen.

Im vergangenen Monat hatte die 'New York Times' berichtet, dass US-Vizepräsident Joe Biden Mujica gedrängt habe, die sechs Häftlinge aufzunehmen. Montevideo verbat sich jedoch jeden Druck und ließ wissen, das es alleinige Sache Mujicas sei, über das Wann der Ankunft der Gefangenen zu entscheiden. Daraufhin setzte in Uruguay eine hitzige Wahldebatte zu diesem Thema ein.

Die Mitte-Rechts-Opposition Nationale Partei, die in den Umfragen den zweiten Platz belegt, hat es verstanden, aus diesem inkonsistenten Verhalten der Regierung politisch Kapital zu schlagen, indem sie erklärte, dass die Regierung offenbar unter dem "Einfluss des Imperialismus" stehe und handle.

Pitter zufolge würde Uruguay eine enorme Leistung vollbringen, wenn es "die menschliche Würde und die Menschenrechte dieser sechs Guantánamo-Häftlinge, die zur Zielscheibe einer katastrophalen Ungerechtigkeit von Seiten der USA geworden seien, wiederherstellen würde".

In den USA wird im November gewählt. Sollte es den Demokraten nicht gelingen, im Senat eine Mehrheit zu erzielen, könnten die Republikaner die Hürden, die eine Schließung von Guantánamo bisher verhindern, erneut vergrößern. Angesichts der politischen Fehlfunktionen dürfte die Lösung der humanitären Krise letztendlich von dem guten Willen von Drittstaaten abhängen.

In Uruguay sieht sich die Breite Front, die erstmals 2004 an die Macht kam, mit ihrem bisher härtesten Stimmenfang konfrontiert. Nachdem Mujica seine Äußerung, dass er allein im Fall der Guantánamo-Opfer entscheiden werde, wiederholt hatte, schaltete er in ersten Oktoberwoche wieder in den Rückwärtsgang, indem er ankündigte, die Entscheidung dem nächsten Präsidenten zu überlassen.

Sollte die Breite Front die Wahlen gewinnen, dürfen die sechs Gefangenen damit rechnen, noch vor Jahresende in dieses kleine südamerikanische Land auszureisen. Geht hingegen die Nationalpartei als Siegerin hervor, dürfte dies die Aufnahme neuer Gespräche mit Washington erforderlich machen. Mit Verhandlungen vor März 2015 wäre nicht zu rechnen. Für einige Gefangene könnte eine Lösung dann zu spät kommen. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/10/decision-uruguaya-puede-llegar-muy-tarde-a-guantanamo/
http://www.ipsnews.net/2014/10/uruguays-decision-could-come-too-late-for-gitmo-detainees/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2014