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LATEINAMERIKA/1487: Vor zwei Jahren starteten die Friedensgespräche für Kolumbien (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 43 vom 24. Oktober 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Schwierige Verhandlungen
Vor zwei Jahren starteten die Friedensgespräche für Kolumbien

von Günter Pohl



Die Signale aus Havanna sind nicht einfach zu deuten. Die Verhandlungen zwischen der Guerillaorganisation "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) und der rechtsgerichteten Regierung des Landes werden jeweils unterschiedlich interpretiert. Während die Regierung immer wieder einen kurz bevorstehenden Abschluss der Verhandlungen öffentlichkeitswirksam für das Jahresende in Rede gestellt hat, erklärten die FARC in einem Ende September verbreiteten Kommuniqué: "Nie waren wir so weit von einer Aufgabe entfernt wie jetzt."

Damit spielen die FARC auf die absurde Annahme von Präsident Juan Manuel Santos an, wonach die Guerilla deshalb am Verhandlungstisch sitzt, weil sie quasi besiegt sei. Im Gegenteil: "Wir haben die Verhandlungen mit den Oligarchen, die das Land regieren und treue Diener der imperialistischen Interessen sind, nie so gesehen, dass sie die Aufgabe unserer Ideale und den Verrat am Vaterland und an den bedürftigsten Schichten zum Ziel hätten." In dem Kommuniqué unterstreichen die FARC, dass sie den Kampf nicht beenden, bevor sie nicht die gesellschaftlichen und politischen Transformationen erreicht hätten, die die Nation wolle.

Dennoch gibt es immer wieder optimistische Bemerkungen, was den Ausgang der Gespräche angeht. Dass man inzwischen bei Punkt 5 der sechs Kapitel zählenden Agenda angekommen ist, ist dabei jedoch von relativer Aussagekraft: zum einen, weil Punkt 3 (Ende des Konflikts) erst in Punkt 6 (Umsetzung und Gültigkeit der Vereinbarungen) bearbeitet wird, es also bislang drei bearbeitete Felder gibt (Landfrage, Politische Teilhabe, Anbau illegaler Drogen); das Thema "Opfer des Krieges" wird aktuell diskutiert. Und zum anderen, weil ein genauerer Blick auf die Teilbereiche zeigt, dass es dabei meist mehr ungelöste Themen gibt als gelöste.

Hier zeigt sich, dass die konfliktursächlichen Themen noch immer am umstrittensten sind. Warum es hierbei nur wenig Anlass gibt, an ein baldiges Ende des Krieges zu glauben, gab Präsident Santos bei seiner Rede vor der UN-Versammlung in New York zum Besten: "Weder das Wirtschaftsmodell noch die Landbesitzstruktur noch die Größe des Heeres werden verhandelt." Die beiden ersten Punkte aber gehören zu den zentralen Beweggründen für den Aufstand. Das ist zu berücksichtigen, wenn auch die FARC natürlich nicht mit ihrer Maximalforderung nach sozialistischer Umgestaltung der Produktionsverhältnisse in die Verhandlung gegangen sind - aber weitreichende Kompromisse müssten schon erreicht werden.

Zum Optimismus trug auch bei, dass im Juni das Nationale Heer der Befreiung (ELN) erklärt hatte, ebenfalls in einen offiziellen Dialog mit der Regierung eintreten zu wollen. Zu konkreteren Vereinbarungen ist es indes nicht gekommen; das ELN äußerte Vorbehalte gegen "die Bedingungen, unter die sie die Regierung unterwerfen" wolle. Im August soll es in Havanna zu einem Gespräch von ELN-Vertretern mit der FARC-Verhandlungsdelegation gekommen sein, wohl um die Erfahrungen der FARC für das ELN nutzbar zu machen.

Die zwischenzeitlichen Erfolgsmeldungen sind beiderseits in der Regel schnell durch eine Beschwichtigung der anderen Seite gebremst worden. Bei der Regierung sind das dann nicht bei den Pressekonferenzen in Havanna oder in den Verhandlungen gemachte Vorschläge, sondern medial ins Spiel gebrachte Vorhaben, auf die die Guerilla dann nicht in einer Debatte reagieren kann, sondern erst später per Internet. Dadurch ist es für die kolumbianischen Zeitungen oder das Fernsehen einfach, der Guerilla mangelnden Konsenswillen vorzuwerfen, zumal diese darauf dann abermals nicht direkt antworten kann. Ein solches Beispiel ist die vor wenigen Tagen von der Regierung in Aussicht gestellte Straffreiheit für das Militär. Den FARC geht es bei einer Verfolgung von Angehörigen der regulären Streitkräfte gewiss nicht um die Verfolgung von Militärs an sich, aber sehr wohl um Verfahren gegen jene, die sich im Namen und unter dem Deckmantel der öffentlichen Ordnung schwerer bis schwerster Verbrechen schuldig gemacht haben. Es sei beispielhaft erinnert an die Zusammenarbeit der obersten Generäle mit paramilitärischen Todesschwadronen, die massenhaft Massaker an Bauerngemeinschaften verübt haben - aber auch an die so genannten "Falsos Positivos", also erlogene Erfolgsmeldungen auf der Basis, dass mindestens 1 200 Menschen aus Armenvierteln in Guerillauniformen gesteckt, erschossen und als im Kampf getötete Guerilleros präsentiert wurden. Insgesamt sind seit 1948 nach Regierungsangaben 220 000 Menschen getötet und 5,3 Millionen aus ihren Ortschaften vertrieben worden. Vor wenigen Tagen warnte die Präsidentin der Patriotischen Union (UP), Aída Avella, vor Plänen der Ermordung von Journalisten, Friedensaktivist/inn/en und Politiker/ inne/n im ganzen Land. Damit wollen rechte Kräfte die Gespräche zum Abbruch provozieren. Mitglieder der UP waren in den 80er Jahren einer massiven Tötungswelle ausgesetzt, mit bis zu 5 000 Todesopfern. Völlig deplatziert wirkt da das "Kolumbianisch-Deutsche Forum" mit seiner Veranstaltung "Versöhnung, Verantwortung und Erinnerung" am 2. Oktober in Bogotá, bei dem die deutsche Seite um einen Opferstatus buhlen durfte.

Die medialen Möglichkeiten sind ohnehin nicht vergleichbar. Während die 30 Regierungsvertreter/innen sämtliche Absprachen mit Präsident oder Regierung per Telefon oder nach ein paar Flugstunden persönlich erledigen können, ist den Guerilleros der Kontakt zu den einzelnen Fronten, denen sie angehören, oder gar zum Oberkommandierenden Timoleón Jiménez nur auf äußerst komplizierten Wegen machbar. Reisen nach Kolumbien sind auf einfacheren Wegen unmöglich, da die Aussetzung der Haftbefehle im Rahmen der Einberufung des Friedensprozesses nur für die Überführung nach Kuba galt. Dennoch war der FARC-Chef wenigstens zweimal in Havanna, wie vor wenigen Tagen durch Verteidigungsminister Juan Carlos Pinzón ausgeplaudert wurde. Die bewusste Indiskretion, mit der die Öffentlichkeit gegen einen "zu weichen Kurs" von Präsident Santos mobilisiert werden soll, unterstreicht die zweifelhafte Rolle Pinzóns, der enge Kontakte zu Uribe pflegt. Die immer wieder aufflammende Diskussion über "weiche" oder "harte Hand" gegen die FARC basiert indes auf der irrigen Idee, man hätte aufgrund einer hohen militärischen oder politischen Überlegenheit überhaupt die Möglichkeit, hier zwischen Alternativen zu entscheiden. Fakt ist im Gegenteil, dass sich nach den harten Schlägen gegen führende FARC-Kommandanten um 2008/2009 die militärische Lage nicht weiter zu Ungunsten der Guerilla entwickelt hat und die FARC im Gegenteil mit den Freigaben ziviler und Kriegsgefangener im politischen Terrain erheblich an Zustimmung gewonnen haben.

Zu den ungleichen Voraussetzungen kommt, dass die zwei Jahre begleitet waren von diversen Cyberattacken: zum einen haben Geheimdienstkreise die Mailkommunikation sogar des Regierungsverhandlungsführers, Humberto de la Calle, ausspioniert um vermutete nichtöffentliche, hoch vertrauliche Kontakte mit der Guerilla zur Torpedierung des Friedensprozesses, vielleicht aber auch zur Ortung von Guerillakommandanten nutzen zu können. Zum anderen gab es die Hackeraffäre "Sepúlveda", bei der Geheimdienstler und Ex-Präsident Álvaro Uribe gemeinsam die Gespräche hintertreiben wollten.

Ein entscheidendes Element, das eine ruhige Verhandlungsführung in Havanna verhindert, ist die Tatsache, dass inmitten des mit großer Härte geführten Krieges geredet wird. Auf die Angebote der Guerilla für einen Waffenstillstand geht die Regierung nicht ein, weil sie glaubt, ohne einige ihrer Kommandanten seien die FARC kopflos. Dann wiederum wird verbreitet, einen Waffenstillstand nutze die Guerilla, um sich zu sammeln und neu auszurüsten. In den mehr als 65 Jahren hat es aber nie Waffenstillstände gebraucht, damit sich die Guerilla koordinieren oder bewaffnen konnte - auch hier wird die regierende Clique Opfer ihrer eigenen Propaganda. Der Kampf der Aufständischen ist viel tiefer im Volk verwurzelt als die noch Herrschenden zugeben mögen.


Verfassungsversammlung für den Frieden

Auf Initiative von "Marcha Patriótica" in Europa findet vom 13. bis 15. November in Bilbao (baskischer Teil Spaniens) ein Treffen von Exilkolumbianer/inne/n statt. Sie wollen die in Kolumbien überall stattfindenden Treffen für eine neue verfassungsrechtliche Grundlage Kolumbiens in einer erhofften Nachkriegsphase aufgreifen, damit auch die durch den Konflikt Vertriebenen in Europa ihre Stimme erheben können.

Als ins Exil Gezwungene ist es ihnen wichtig, zu den Gesprächen in Havanna beizutragen, denn die Regierung verschweigt innerhalb Kolumbiens gern dieses Thema und hebt die inländischen Vertreibungen hervor, die "dem Terrorismus" , also den FARC oder - wenn es nicht anders geht - auch den Paramilitärs zur Last gelegt werden, jedoch ohne die Beziehungen des staatlichen Militärs zu den Todesschwadronen zu erwähnen. Auch wollen die nach Europa Vertriebenen ihre Arbeit mit den gesellschaftlichen Prozessen in Kolumbien verknüpfen sowie zu einer Friedensbewegung beitragen, die im Ausland wirksame Aktionen durchführen soll. In drei Arbeitskommissionen wird zudem über die juristische Situation der ins Ausland vertriebenen Opfer des Krieges geredet, Vorschläge und Initiativen zur Übermittlung nach Havanna gesammelt und eine Resolution der Friedensversammlung ausgearbeitet.


Was bislang beschlossen wurde und was aussteht

Punkt 1

Das Thema wurde in sechsmonatigen Gesprächen mit "Integrale Landreform" tituliert. Die FARC hatten zuvor einen Vorschlag zur ländlichen und agrarischen Entwicklung eingereicht, die in zwölf Kapitel eingeteilten so genannten "100 Mindestvorschläge" . Diese beruhen auf dem "Revolutionären Agrarprogramm" , das Grundlage der FARC-Vorstellungen für ein revolutionär umgestaltetes Kolumbien ist. Vereinbart wurde die Einrichtung eines Landfonds von "einigen Millionen Hektar" sowie eine Sondersubvention und ein Sonderkreditwesen für den Landkauf. Auch soll es für Vertriebene oder Haushalte, denen Frauen vorstehen, Wohnungs- und Bildungsprogramme und technische Hilfeleistung geben. Den Bauern sollen Landbesitztitel verliehen werden. Das Kataster wird aktualisiert und eine progressive Besteuerung auf Landbesitz eingeführt.

Die Rückgabe von geraubtem Land wird in Punkt 5 besprochen. Keine Einigkeit gibt es bislang über: Besitzgrenzen beim Großgrundbesitz; Erwerb von Land durch ausländische Konsortien; Bergbau; so genannte Biokraftstofflandwirtschaft; Neuverhandlung der bestehenden Freihandelsverträge; Finanzierung der Entwicklung des ländlichen und agrarischen Raums; Schaffung eines Nationalen Territorienrats sowie über das tatsächliche Recht auf Oberfläche des besessenen Lands.


Punkt 2

Die "Politische Teilhabe" wurde ebenfalls sechs Monate lang diskutiert. Die FARC hatten auch hier "100 Mindestvorschläge" eingebracht. Dazu gehörte auch die Idee einer Nationalen Verfassunggebenden Versammlung für Frieden und wirkliche Demokratisierung und Versöhnung.

Vereinbart wurde, dass die Regierung mit einer Kommission, zu der Parteien und eingetragene Bewegungen gehören werden, ein Garantiestatut zur Ausübung einer Oppositionsrolle herausgibt. Dazu gehört ein "Integrales Sicherheitssystem" , das im Rahmen der Debatte von Punkt 3 beraten wird. Das Recht auf Versammlungsfreiheit und Protest wird gewährleistet und ein Fernsehkanal mit Zugang für die Opposition eingerichtet.

Uneinig bliebe man sich bei: Politische Reform des Staates; Demokratisierung des Wahlrechts; Reform der Teilhabemechanismen; Verbot der Behandlung sozialer Proteste mit dem Kriegsrecht; freie Wahl des Staatsbevollmächtigten, des Rechnungsprüfers, des Generalstaatsanwalts und des Menschenrechtsverteidigers; Mitentscheidung des Volkes bei Außenpolitik, Sicherheit und Justizverwaltung; Demokratisierung des Zugangs zu Medien.


Punkt 3

"Ende des Konflikts"; wird mit Punkt 6 erfasst.


Punkt 4

Zum Thema "Lösung des Problems der illegalen Drogen" hatten die FARC "50 Mindestvorschläge" eingebracht, die auf der Grundlage der Beschlüsse der Guerillero-Nationalversammlung 1993 basieren, wonach es sich hier um ein gesellschaftliches Problem handelt, das nicht militärisch zu lösen ist.

Es geht um die Suche nach Gründen und Konsequenzen dieses Phänomens, mit der Konsumfrage als gesundheitlichem Ansatz und Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Der Anbau ist ein transnationales Problem. Die Drogenanbaugebiete müssen lohnende Ersatzbepflanzungen bekommen. Die Regierung verpflichtet sich dabei, das Strafmaß wegen illegaler Anbauten zu verringern. Die FARC fordern die Einstellung der Besprühungen mit Glifosat und die Entschädigung von deren Opfern sowie eine Nationalkonferenz zum Kampf gegen die Drogen.


Punkt 5

Das Thema "Opfer und Wiedergutmachung" wird derzeit diskutiert.


Punkt 6

"Umsetzung und Gültigkeit der Vereinbarungen" wäre die konkrete Umsetzung. Die geschichtlichen Vorerfahrungen lassen diesen Punkt als besonders heikel erscheinen.

Für alle erreichten Ergebnisse gilt der Grundsatz: nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 43 vom 24. Oktober 2014, Seite 12
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2014