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LATEINAMERIKA/1584: Kolumbien feiert Waffenstillstand (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Kolumbien feiert Waffenstillstand

Von Eva Haule


(Bogotá/Havanna, 26. Juni 2016, amerika21) - Das Abkommen zwischen Farc-Guerilla und der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos über einen bilateralen Waffenstillstand ist in Kolumbien mit großer Freude aufgenommen worden. Zugleich betonten Vertreter*innen sozialer Organisationen und politischer Bewegungen, dass es sich nur um einen ersten Schritt hin zu einem "umfassenden Frieden mit sozialer Gerechtigkeit" handle. Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) und die Regierung haben sich nach fast dreijährigen Verhandlungen vergangene Woche auf die Niederlegung der Waffen und Sicherheitsgarantien für oppositionelle Kräfte geeinigt.

Für das Linksbündnis Marcha Patriótica erklärte David Flórez, das Abkommen bedeute, "dass wir endlich mit dem Aufbau des Friedens anfangen werden, wie wir ihn verstehen: ein demokratischeres, gerechteres Land". Die Bauernorganisation des Departamento Catatumbo (Cisca) sieht in der Vereinbarung einen Aufruf "zur Ausweitung und Stärkung der sozialen Prozesse, um weiter die Wege zu bahnen, die dieses leidende Kolumbien zu einer Gesellschaft des Guten Lebens führen."

In Medellín feierten Frauen- und Friedensgruppen sowie Organisationen wie die Koalition sozialer Bewegungen Kolumbiens (Comosoc) auf dem Plaza Botero. Auch hier verwiesen Aktivist*innen darauf, dass der Waffenstillstand nur ein erster Schritt beim Aufbau des Friedens sei. Sol Ángela Hoyos von Comosoc sagte gegenüber Colombia Informa, es müssten Lösungen für die Ursachen des Krieges gefunden werden: "Gesundheit, Bildung, Wohnraum, Recht auf Land und Recht auf Stadt." Vertreter*innen antimilitaristischer Gruppen betonten, die Gesellschaft müsse "Wege der Versöhnung, der Wahrheit und der Überwindung der Armut gehen", um den Krieg zu beenden. Für den Frieden sei zudem der Kampf gegen Kriminalität und Paramilitarismus in den Städten notwendig, fügte Teresa Muñoz vom Nationalen Bündnis für Frieden (Fenepaz) hinzu.

Die landesweite Bewegung "Kongress der Völker" begrüßte die Einigung "mit Begeisterung" und hob vor allem die Vereinbarung über die Maßnahmen hervor, die der Staat gegen "kriminelle Strukturen der extremen Rechten ergreifen muss, die sich gegen Frieden und Demokratie verschworen haben". Zugleich fordert sie die Aufnahme offizieller Friedensgespräche mit der zweitgrößten Guerilla des Landes, der Nationalen Befreiungsarmee (ELN). Die Regierung müsse zudem die beim jüngsten landesweiten Agrarstreik getroffenen Absprachen umsetzen. Von grundlegender Bedeutung sei, dass sozialer Protest respektiert und nicht länger mit Kriegsmitteln bekämpft werde.

In dem am Donnerstag unterzeichneten Abkommen haben beide Seiten einen Ablaufplan festgelegt, nach dem die Waffenniederlegung spätestens 180 Tage nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages abgeschlossen sein soll. Die Farc verpflichteten sich, ihre Waffen einem internationalen Kontrollkomitee unter der Aufsicht der Vereinten Nationen (UN) und der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac) zu übergeben. Hierfür wurden 23 Zonen in ländlichen Gebieten und acht Lager der Farc festgelegt, in denen sich die Guerilleros sammeln. Dort sollen sie auch auf die Wiedereingliederung in das Zivilleben vorbereitet werden. Die Zonen werden besonders geschützt und von den UN mit überwacht.

Ein weiterer Punkt ist die Verpflichtung des Staates, die paramilitärischen Strukturen zu bekämpfen. In jüngster Zeit haben Aktivitäten der Paramilitärs wieder stark zugenommen.

Die Regierung verpflichtet sich zudem, linke Aktivist*innen und Politiker*innen zu schützen. Dafür wurde unter anderem die Bildung einer gemischten Einheit für den Personenschutz ehemaliger Farc-Angehöriger vereinbart, die aus staatlichen Sicherheitskräften und bewaffneten Ex-Guerilleros bestehen wird.

Die Sicherheitsgarantien sind vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrung der Partei Unión Patriótica (UP) von Bedeutung: Sie war 1984 als Ergebnis der Friedensverhandlungen zwischen den Farc und der damaligen Regierung entstanden und hatte mit wachsendem Erfolg an Wahlen teilgenommen. Ab den späten 80er Jahren begann die systematische Ermordung von circa 5.000 UP-Mitgliedern. Der Oberste Gerichtshof Kolumbiens erkannte dies als Genozid an, an dem neben Paramilitärs auch Polizei und Militär massiv beteiligt waren.

Gegenüber der Presse sagte Farc-Delegationsleiter Iván Márquez am Freitag, man hoffe nun auf eine baldige Einigung bei der Frage der gesellschaftlichen und rechtlichen Verankerung des Friedensvertrages. Während die Regierung Santos ein Referendum plant, sollen nach dem Willen der Farc die Vereinbarungen in einer verfassunggebenden Versammlung diskutiert und beschlossen werden. Vor der Unterzeichnung des Friedensvertrages stehen zudem noch Fragen der Umsetzung und Überprüfung der Absprachen an.

Während das Abkommen auch international - vom US-Präsidenten bis zum Papst - auf breite Unterstützung stößt, bezeichnete Kolumbiens Ex-Präsident und aktueller Senator Álvaro Uribe es als "Beleidigung für den Frieden" und "Kapitulation vor dem Terrorismus". Seine Anhänger*innen rief er auf, sich einem Friedensvertrag weiter zu widersetzen.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2016

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