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LATEINAMERIKA/1666: Ecuador - Eine Epoche geht zu Ende (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Perspektive | FES Ecuador

Ecuador: Eine Epoche geht zu Ende
Präsidentschaftswahlen 2017

von Manuela Celi Moscoso, Februar 2017


• Die allgemeinen Wahlen im Februar 2017 stehen im Zeichen der Beschränkungen des ecuadorianischen politischen Systems. Nach einem Jahrzehnt fast uneingeschränkter Vorherrschaft der Bewegung Alianza PAIS als hegemonischer Kraft auf nationaler Ebene zeichnet sich heute eine Tendenz zur Herausbildung einer neuen politischen Landschaft ab, die jedoch angesichts der Starrheit der Regierungspolitik und des erneuten Auftretens der alten konservativen Sektoren unter neuen Parteinamen keine Alternative bildet.

• Der politische Verschleiß der Alianza PAIS, die schweren Wirtschaftsprobleme des Landes und die Schwächung der progressiven Kräfte in der Region sind nur einige Elemente, die zu einer größeren Bandbreite der Wahloptionen beitragen. Dass der jetzige Präsident Rafael Correa, der seit 2006 im Amt ist, nicht mehr kandidiert, wirkt sich zudem direkt auf die Chancen seiner Partei aus; und es belegt ihren niedrigen Organisationsgrad und ihre nachgeordnete Stellung angesichts eines ausgeprägten Präsidentialismus.

• Hinsichtlich ihrer Diskurse decken die acht für die Präsidentschaftswahl registrierten Kandidat_innen ein relativ klar definiertes programmatisches Spektrum ab. Die Auseinandersetzung reduziert sich auf einen Wettbewerb zwischen zwei Sektoren der politischen Rechten und dem Kandidaten der Alianza PAIS, der ideologisch mehrdeutige Positionen vertritt. Ohne große Erfolgsaussichten, aber mit einer gewissen Fähigkeit, die politischen Szenarien mitzugestalten, nimmt auch die traditionelle Sozialdemokratie teil, die ein Bündnis mit anderen Kräften eingegangen ist, die sich selbst der Mitte oder dem Mitte-links-Spektrum zurechnen.

• Die Wahltendenzen schwanken zwischen einem möglichen knappen Sieg der Alianza PAIS im ersten Durchgang und einer Stichwahl, bei welcher der Regierungskandidat, Lenin Moreno, gegen den Vertreter oder die Vertreterin der Rechten - Guillermo Lasso oder Cynthia Viteri - antreten würde, die zurzeit noch um den zweiten Platz kämpfen.

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Das Wahlszenarium 2017: Viel Lärm um so gut wie nichts

Ecuador steht vor allgemeinen Wahlen zur Bestimmung eines neuen Präsidenten oder einer neuen Präsidentin, der 137 Mitglieder der Nationalversammlung sowie von fünf Abgeordneten des Andenparlaments. Bei der Präsident_innenwahl ist eine Stichwahl vorgesehen, sofern keiner der Kandidat_innen die absolute Mehrheit oder aber 40 Prozent der Stimmen mit einem Vorsprung von mindestens zehn Prozentpunkten vor dem nächsten Kandidaten erhält. Trotz Wahlpflicht besteht natürlich die Möglichkeit, den Wahlzettel als ungültig oder als Enthaltung zu markieren.

Acht Kandidat_innen für die Präsidentschaft und die Vizepräsidentschaft stehen zur Wahl, die ein relativ klar definiertes programmatisches Spektrum abdecken. Wenige Tage vor den Wahlen reduziert sich der Wahlkampf jedoch auf eine Auseinandersetzung zwischen zwei Sektoren der politischen Rechten(1) und dem von der Regierungspartei unterstützten Kandidaten, der ideologisch mehrdeutige Positionen vertritt. Fast alle Kandidat_innen und die sie unterstützenden Organisationen waren früher bereits politisch aktiv. Die Hälfte der Kandidat_innen hat ein Bündnis oder eine Vereinbarung mit anderen Kräften geschlossen. Drei Kandidat_innen haben sich schon einmal auf das Präsidentenamt beworben, fünf bekleideten bereits öffentliche Ämter.

Diese Wahlen sind insofern ungewöhnlich, als es sich unabhängig von ihrem Ausgang um das Ende einer Etappe handelt, die im Zeichen der zehnjährigen Präsidentschaft Rafael Correas stand. Zudem wird die Regierungspartei voraussichtlich nicht mehr die gewohnte parlamentarische Mehrheit erzielen. Unabhängig von den Vorhersagen verweisen die Wahlen jedoch auf die bestehenden Beschränkungen des ecuadorianischen politischen Systems. Nach einem Jahrzehnt fast uneingeschränkter Vorherrschaft der Alianza PAIS (AP) als hegemonische Kraft auf nationaler Ebene zeichnet sich heute eine Tendenz zur Herausbildung einer neuen politischen Landschaft ab, die jedoch angesichts der Starrheit der Regierungspolitik und des erneuten Auftretens der alten konservativen Sektoren unter neuen Parteinamen keine Alternative bildet.

Mit dem Erfolg Rafael Correas bei der Präsidentschaftswahl 2006 begann ein erfolgreiches Jahrzehnt, in dem sich die politische Vorherrschaft der Alianza PAIS auf der Grundlage einer bis dahin unbekannten plebiszitären Legitimierung festigen konnte. Der weitgehende Verschleiß der Personen und Organisationen, die für den Aufbau einer Eliten-Demokratie im Land verantwortlich waren, trug während der ersten Jahre der selbst ernannten »Bürgerrevolution« zu deren zunehmender Isolierung und zu einem Auflösungsprozess bei, an dessen Ende die Herausbildung eines Systems mit einer Art Staatspartei stand. Das Führungsmodell und die fehlende institutionelle Struktur führten zu einer hierarchisch aufgebauten, vertikalen Führungsstruktur, bei der allmählich die Grenzen zwischen Regierung, Staat und Partei verschmolzen.

Bei der Kommunalwahl von 2014 zeichneten sich jedoch die ersten Hinweise auf einen Übergang zu einem neuen Parteienpanorama ab, als es einigen Sektoren der Rechten gelang, sich als neue Parteien auf kommunaler Ebene zu positionieren.(2) Diese Tendenz wird sich im aktuellen Wahlszenario in einem Kontext verstärken, in dem drei Elemente die relative Schwäche der AP erklären können: die wirtschaftlichen Probleme des Landes, der politische Verschleiß der Organisation und eine politische Konjunktur, in der die progressiven Kräfte in der Region geschwächt sind.

Zu den unzweifelhaften Fortschritten der »Bürgerrevolution« gehört die deutliche Steigerung der Sozialausgaben, deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den vergangenen elf Jahren von 3,9 auf 9,9 Prozent gestiegen ist. Dies trug dazu bei, dass rund 1,3 Millionen Menschen die Armut hinter sich lassen konnten, die Mittelschicht wuchs und der soziale Wohlstand zunahm. Die seit Ende 2015 zu beobachtende wirtschaftliche Stagnation könnte diese Erfolge jedoch gefährden.

Zwei wichtige Entwicklungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen, seit die Krise vor mehr als einem Jahr spürbar wurde: Die Aufwertung des US-Dollar - seit der Finanzkrise im Jahr 2000 ist der Dollar die Landeswährung - wirkt sich direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit der ecuadorianischen Exportprodukte aus, und in einem Land, dessen Wirtschaft weitgehend von Ölexporten abhängig ist, machen sich natürlich die Folgen des rasanten Verfalls der internationalen Commodity-Preise bemerkbar.(3) Hinzu kommen die Auswirkungen des Erdbebens, das die Küstenregion Ecuadors im April 2016 mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala traf, wodurch das für 2016 erwartete Wachstum des BIP um 0,7 Prozent niedriger ausfallen wird. Für den Wiederaufbau der Küstenregion hat die Regierung 3,34 Milliarden Dollar veranschlagt.

In einem konjunkturellen Umfeld abnehmender wirtschaftlicher Dynamik ist die nationale Arbeitslosenrate von 2015 bis 2016 von 4,3 auf 5,2 Prozent gestiegen. Nach Angaben der Nationalen Statistik- und Zensusbehörde ging die reguläre Beschäftigung um sieben Prozentpunkte zurück, während sich die Unterbeschäftigung von 14,8 auf 19,4 Prozent erhöhte. Dies hatte aufgrund des geringeren Konsums der Haushalte einen Rückgang der Inlandsnachfrage zur Folge, woraus sich ersehen lässt, dass sich die Situation direkt auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung auswirkt. Angesichts der Unzufriedenheit der Bevölkerung treten weitere parteilose Kandidat_innen an, wodurch die Wahloptionen zugenommen haben. Sie werfen der Regierung vor, durch ihre Wirtschaftspolitik, die Überschuldung und die Verschwendung öffentlicher Mittel für die Krise verantwortlich zu sein.

Zur Wirtschaftsproblematik kommt der politische Verschleiß der aktuellen Regierung und ihrer Partei. Der auf Konfrontation angelegte Diskurs von Rafael Correa, die autoritären Tendenzen seines Führungsstils, die Diffamierung von Kritiker_innen sowie die Verweigerung des Dialogs mit anderen politischen und gesellschaftlichen Akteuren haben das Image der AP beschädigt und in Teilen der Zivilgesellschaft zu heftiger Ablehnung geführt.

Die AP hat sich zu keiner Zeit als organisch aufgebaute Bewegung mit innerparteilicher Demokratie und Mechanismen zur Integration der Basis konstituiert. Ihre anfänglichen Bündnispartner und ein großer Teil ihrer mit sozialen Bewegungen verbundenen Basis verweigern ihr mittlerweile die Unterstützung und werfen ihr vor, von ihrem ursprünglich progressiv-linken Projekt abzuweichen. Dabei geht es insbesondere um die Konflikte mit Umweltorganisationen infolge der bergbaufreundlichen Regierungspolitik sowie mit indigenen Bevölkerungsgruppen und politischen Akteuren, die von der Regierung als repräsentative Gesprächspartner_innen anerkannt werden wollen, um so ihre Forderungen vertreten zu können. Darüber hinaus steht die politische Konzentration auf den Präsidenten dem Aufbau neuer Führungspersonen im Weg. So geht die Partei heute ohne einen Kandidaten in die Wahl, der die Stafette mit der notwendigen Unabhängigkeit und Legitimität übernehmen könnte.


Das Wahlangebot: Fragmentierung, fehlgeschlagene Bündnisse und Personenorientierung

Als Anfang 2016 mögliche Kandidaturen für die Präsidentschaftswahl genannt wurden, setzte die Opposition, die sich ihrer Schwäche bewusst war, auf die Bildung von Bündnissen, um gegen die Regierungspartei anzutreten. Dieses Szenario wurde jedoch bald von der Profilierungssucht der Kandidat_innen im Führungsstreit der jeweiligen politischen Plattformen überlagert. Letztlich stehen acht Kandidatenpaare zur Wahl.

Wenige Tage vor der Wahl führen drei Kandidat_innen die Prognosen an: Lenin Moreno von AP, Guillermo Lasso von der Bewegung CREO und Cinthya Viteri von der Christlich-Sozialen Partei (PSC). Paco Moncayo, der Kandidat der Demokratischen Linken (Izquierda Democratica, ID), vereinigt mit rund acht Prozent einen so geringen Stimmenanteil auf sich, dass er bei den Endergebnissen für die Präsidentschaftswahl nicht ins Gewicht fällt. Das gilt auch für die übrigen vier Kandidaturen, die bei einem voraussichtlichen Stimmenanteil von unter vier Prozent nicht relevant sind.(4)

Die Wahl von Lenin Moreno als Kandidat der Regierungspartei war das Ergebnis eines innerparteilichen Verhandlungsprozesses der AP, bei dem die Bruchlinien, Interessen und Sektoren innerhalb der Organisation deutlich wurden. Jorge Glas, der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten und aktueller Vizepräsident Correas bis zur Wahl, ist der Vertreter eines konservativen, den Finanzeliten nahestehenden Flügels. Er vertritt die bergbaufreundliche Politik der jetzigen Regierung und steht für die Umsetzung von gewaltigen Infrastrukturvorhaben sowie für die Beibehaltung der Abhängigkeit von der Erdölförderung.

Lenin Moreno, Correas ehemaliger Vizepräsident, genießt dank seines weitgehend konfrontationsfreien Auftretens und seines Einsatzes für Projekte zur Unterstützung von sozial benachteiligten Gruppen einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung. Er tritt heute für eine Politik der Kontinuität mit Änderungen ein und will sich von der Politik der vergangenen Jahre und dem Regierungsstil Rafael Correas absetzen. Zugleich versucht er jedoch, diese Verbindung für seine eigene Legitimierung zu nutzen. Sein Führungsstil ist von Aufrufen zum Dialog und zur Versöhnung geprägt, und sein Diskurs stützt sich auf Begriffe wie »Liebe« und »Solidarität«. Zudem besteht Moreno auf der Unterscheidung zwischen zwei miteinander konkurrierenden Projekten: das von der AP vertretene, dem eine »sozialistische Vision« zugrunde liege, und das der übrigen Kandidat_innen, die sich an einer »neoliberalen Vision« orientierten.

Guillermo Lasso trat bereits 2013 als Kandidat an und wird von Teilen des Bankensektors unterstützt. Für seine Kampagne stützt er sich auf eine Organisationsstruktur, wie sie ausschließlich für seine persönliche Lobbyarbeit erforderlich ist. Als Persönlichkeit ist Lasso umstritten, nicht nur wegen seines fehlenden Charismas und seiner Distanz zu sozialen Problemen, sondern auch weil seine politische Laufbahn mit der Finanzkrise des Jahres 2000 verbunden ist, die zur Dollarisierung des Landes und zu einer Bankenrettung führte, unter der die große Mehrheit der Bevölkerung zu leiden hatte. Er dürfte heute ungefähr so viele Stimmen auf sich vereinigen wie bei der Wahl von 2013 (22,68 Prozent). Andrés Páez, sein Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, hat keine neuen Wähler_innen mobilisiert. Bei ihm handelt es sich um einen Repräsentanten der traditionellen Politik, der sich früher in der ID engagierte. Sein Wechsel von der Sozialdemokratie zur Rechten belegt seine ideologisch-programmatische Flexibilität. Die politische Bewegung CREO nimmt aus konservativer Perspektive eine radikale, direkte Kritik an der Regierung und ihrer Partei vor. Sie tritt für persönliche Freiheit, Privateigentum und freie Marktwirtschaft bei gleichzeitiger Reduzierung der Rolle des Staates ein.

Cynthia Viteri repräsentiert die traditionelle Rechte Ecuadors und die Partei, die unter Präsident León Febres Cordero wegen ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik und der offenen Verletzung der Menschenrechte kritisiert wurde. Sie kandidierte 2006 für das Amt der Präsidentin und erhielt damals 9,63 Prozent der Stimmen. Zudem gehörte sie mehrmals der Nationalversammlung an. Mauricio Pozo, ihr Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, ist ein liberaler Wirtschaftswissenschaftler mit Verbindungen zu Unternehmer- und Finanzkreisen, der jedoch öffentlich wenig in Erscheinung tritt und kaum Stimmen beiträgt.

Paco Moncayo, eine angesehene Persönlichkeit des - militärischen und politischen - öffentlichen Lebens mit langjähriger Erfahrung,(5) bietet schließlich all denen, die sich von den programmatisch rechten Vorschlägen nicht repräsentiert fühlen, eine Alternative zur AP. Seine Kandidatur wird von der seit Kurzem wieder registrierten ID unterstützt. In der Vergangenheit war die ID daran interessiert, auf der Grundlage ihrer sozialdemokratischen Orientierung über ihre Organisationsstruktur und ihre programmatischen Perspektiven zu diskutieren. Ihr Ziel war die Schaffung einer Massenorganisation. Die Schwächung ihrer wichtigsten Persönlichkeiten in den 1990er Jahren und die internen Machtkämpfe während der ersten zehn Jahre des neuen Jahrhunderts hatten jedoch zu einer tiefen Spaltung der Partei geführt. Seit ungefähr einem Jahr arbeitet die ID intensiv an ihrer Neuaufstellung. Mit Unterstützung einiger historischer Parteiführer versucht sie, die Bedingungen für die politische Mitwirkung jüngerer Mitglieder zu schaffen und so die seit ihrem Zusammenbruch vakante Nische der sozialdemokratischen Repräsentanz zu füllen. Mit Moncayos Kandidatur bietet sie Sektoren wie Pachakutik - dem politischen Arm der Indigena-Bewegung -, aber auch der Unidad Popular - der maoistischen Linken - und manchen AP-Dissident_innen eine Gelegenheit zur Mitwirkung und die Chance, auf dem politischen Spielfeld präsent zu bleiben. Auch wenn die Präsidentschaftskandidatur nicht erfolgreich sein wird, hat das Bündnis gute Chancen die Politik in Zukunft von der Nationalversammlung aus mitzugestalten.

Die drei aussichtsreichsten Wahloptionen sind ein Spiegel der Beschränkungen des ecuadorianischen Parteiensystems. Sie zeugen von einer Fragmentierung angesichts der Unfähigkeit, programmatische Vereinbarungen zu treffen, vom Fehlen substanzieller Vorschläge inmitten belangloser Debatten sowie von Personenstatt Parteienorientierung. Die Organisationen und ihre Führungspersönlichkeiten reproduzieren aufgrund des traditionellen Regionalismus der Politik die Unfähigkeit, Projekte für das ganze Land aufzustellen. Generell fehlt es den Parteien bzw. politischen Bewegungen an Struktur und Organisation. Sie dienen primär als Wahlmaschinen, sind jedoch kaum imstande, die Unterstützung an der Basis zu organisieren oder ein ideologisch-politisches Zugehörigkeitsgefühl herzustellen.

Unterschiedliche Motive begründen den hohen Prozentsatz voraussichtlich ungültiger Stimmen und Stimmenthaltungen sowie unentschlossener Wähler_innen (16 bis 20 Prozent). Sie sind Ausdruck der verbreiteten Politikverdrossenheit, die auf ein Repräsentationsproblem schließen lässt.

Andererseits ist auch eine Tendenz zu erkennen, die aktuelle Regierungspartei (AP) abzustrafen, da sie nach Meinung der Wähler_innen keine überzeugende politische Alternative anzubieten habe. Dies gilt für mehrere Wählergruppen: zivilgesellschaftliche Basisorganisationen, die aufgrund einer Beeinträchtigung ihrer Interessen oder einer ihrer Ansicht nach fehlenden Repräsentation mit der Regierung im Konflikt sind; die Basis von ehemaligen Bündnisparteien, die aufgrund ideologischer Differenzen nun Teil der Opposition sind; und frühere Anhänger_innen in der Bevölkerung, welche die AP heute aufgrund einer Abkehr von ihrem ursprünglichen Projekt kritisieren. Ein Wahlverhalten dieser Art könnte dem sozialdemokratischen Kandidaten Paco Moncayo und seinem Bündnis zugute kommen.


Mögliche Szenarien und Prognosen

Bei der Präsidentschaftswahl 2017 zeichnen sich zwei mögliche Szenarien ab. Das erste wäre ein Sieg in der ersten Runde, den nur die Regierungspartei erzielen könnte, und zwar nur unter der Voraussetzung, dass ein Teil derer, die sich als unentschlossen definiert haben, letztlich für Moreno stimmen. Auf jeden Fall dürfte die AP nach dem derzeitigen Stand ein Ergebnis erzielen, das unter den bisherigen Resultaten liegt, und damit in eine neue Etappe mit geringerem Rückhalt in der Bevölkerung eintreten. Ihre Kandidaten - Moreno und Glas - dürften kaum die Popularitätswerte Rafael Correas erreichen.

Angesichts des Verschleißes der AP ist damit zu rechnen, dass die Parteienvielfalt in der Nationalversammlung zunimmt, weshalb es nötig sein wird, Kompromisse zu schließen und Vereinbarungen zu treffen. Laut den neuesten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Perfiles de Opinión zur Wahl der lokalen Abgeordneten für die Nationalversammlung ergeben sich die folgenden Präferenzen: AP (35 %) PSC (17 %) ungültig oder Enthaltung (15 %) CREO (14 %) unentschieden (8 %) ID (7 %) Fuerza Ecuador (4 %). Diese Konstellation könnte einerseits die Überwindung der Machtkonzentration bedeuten, andererseits aber auch zu einer konfliktiven Gesetzgebungsarbeit führen.

Sollte es der AP gelingen, weitere vier Jahre an der Macht zu bleiben, so dürften sich manche Probleme verstärken, insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit natürlichen Ressourcen und deren Ausbeutung. Angesichts einer kritischeren Zivilgesellschaft und einer verbesserten Positionierung einiger Sektoren der politischen Opposition ist kaum mit einem Rückgang der Konfliktintensität zu rechnen.

Das zweite Szenarium ist eine Stichwahl Anfang April, bei der Lenin Moreno gegen einen der Kandidat_innen der Rechten - Lasso oder Viteri - antreten würde, die zurzeit in den Meinungsumfragen an der Spitze liegen. Aktuell sprechen die Tendenzen eher für Lasso. Beide Optionen würden jedoch auf jeden Fall zu einem großen Teil von den Stimmen der unterlegenen konservativen Bewerber_innen profitieren. Dagegen ist das weitere Verhalten der Wähler_innen von Moncayo schwerer vorherzusehen, zumal ihm ein großer Teil der Stimmen zugute kommen dürfte, welche die AP abstrafen, die aber höchstwahrscheinlich in einer Stichwahl nicht nach rechts abwandern. Es ist zwar anzunehmen, dass der Kandidat der ID, getreu seinem Diskurs, wonach er die erzielten Fortschritte der letzten zehn Jahre beibehalten möchte, die Kandidatur Morenos unterstützt. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass ihn seine Bündnispartner - Unidad Popular und Pachakutik - angesichts ihres offenen Konflikts mit der Regierung auf diesem Weg begleiten.

Unabhängig von diesen Szenarien liegt die Bedeutung dieser Wahlen darin, dass sie die allgemeine Lage des politischen Systems und seiner Akteure erkennen lassen. Nach zehn Jahren Hegemonie von AP ist das Fehlen einer tiefgreifenden Transformation vor allem an einer politischen Konjunktur abzulesen, in der es weder basisdemokratische Parteien noch ideologische Zugehörigkeiten, sondern nur Kandidat_innen gibt. Die politische Lage vor den Wahlen beschränkt sich somit auf eine Auseinandersetzung zwischen Persönlichkeiten, welche die starken gesellschaftlichen und ideologischprogrammatischen Beschränkungen der Eliten und ihrer Optionen widerspiegeln. Gleichzeitig offenbart sich die Kontinuität einer Krise, in der es sowohl an sozialem Bewusstsein, politischer Organisation und insbesondere an einer verbesserten Repräsentation fehlt.


Anmerkungen

(1) Wenn von linken oder rechten politischen Tendenzen in der ecuadorianischen politischen Landschaft die Rede ist, wird von der Prämisse ausgegangen, dass der Begriff »Linke« in Ecuador für eine Vielzahl von Positionen ohne feste weltanschaulich-programmatische Zuordnung steht, die ein breites Spektrum abdecken, vom traditionellen sozialistischen, kommunistischen und maoistischen Selbstverständnis bis zu sozialdemokratischen Positionen lokaler Färbung. Dagegen steht der Begriff »Rechte« für verschiedene Ausdrucksformen des Establishments in der liberal-konservativen Tradition, die in der Form lokal orientierter Führungsfiguren fortbestehen, die als politisch-weltanschauliche Vertreter_innen der Oligarchien und wirtschaftlichen Eliten auftreten.

(2) Beispiele sind CREO in Guayaquil, SUMA in Quito und sogar AVANZA, ein ehemaliger Bündnispartner der AP, die sich ursprünglich im sozialdemokratischen Spektrum einordneten.

(3) Der für Ecuador maßgebliche Referenzpreis für Erdöl der Sorte WTI lag 2006 bei 61 US-Dollar. 2012 erreichte er einen Spitzenwert von 110 US-Dollar, lag jedoch 2016 bei lediglich 41 US-Dollar. Vgl.
http://www.opec.org/opec_web/en/data_graphs/40.htm.

(4) Dabei handelt es sich um die Abgeordneten der Nationalversammlung, Abdalá Bucaram Pulley (Partei Fuerza Ecuador), Patricio Zuquilanda (Partei Sociedad Patriótica), Iván Espinel (Bewegung Fuerza Compromiso Social) und den ehemaligen Generalstaatsanwalt Washington Pesantez (Bewegung Unión Ecuatoriana).

(5) Er war Heeresgeneral, Bürgermeister von Quito und mehrfaches Mitglied der Nationalversammlung.


Über die Autorin

Manuela Celi Moscoso, Studium der Soziologie an der Universidad de Chile und Master in Lateinamerikastudien am Universitätsforschungsinstitut Ortega y Gasset in Spanien. Zurzeit ist sie PhD-Kandidatin an der Universität Complutense in Madrid mit einem Forschungsaufenthalt am Institut für Lateinamerikastudien der Universität London. Vor ihrer Doktorarbeit hat sie als Projektkoordinatorin bei der FES in Ecuador sowie als Beraterin und politische Analystin im öffentlichen Sektor gearbeitet.


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ISBN
978-3-95861-761-2

URL der Originalpublikation:
http://library.fes.de/pdf-files/iez/13190.pdf

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2017

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